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Gezim Myshketa, Katja Danowski, Alexander Roslavets, Chor der Hamburgischen Staatsoper. Foto: Brinkhoff/Mögenburg

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Die Seele in den Koloraturen – Gaetano Donizettis „Maria Stuarda“ an der Staatsoper Hamburg

Vorspann / Teaser

Begegnet sind sich die schottische katholische Maria Stuart und die englische protestantische Elisabeth I, von Geburt aus Cousinen, in der Wirklichkeit der Reformation und Gegenreformation nie. Maria wurde 1587 hingerichtet, weil sie an einem Mordkomplott gegen Elisabeth, auf deren Thron sie Anspruch geltend machte, beteiligt gewesen sein soll. Im Zentrum steht das von Friedrich Schiller erfundene fiktive Treffen von Maria und Elisabeth. Nach seinem Werk schrieb Donizetti 1835 eine der großen Opern des sogenannten Belcanto-Gesanges.

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Es war die Jahrhundertleistung von Maria Callas, Opern aus dem italienischen Belcanto-Repertoire wiederentdeckt zu haben. Die Sängerin machte auf einzigartige Weise deutlich, dass hinter den selbstgefällig-virtuosen Koloraturen – so die weitverbreitete Meinung – viel mehr steckt: im Sinne des Dramas in jedem Ton, in jeder Verzierung, in jeder Melodie der ganze Reichtum der seelischen Bewegung. Donizettis siebzig Opern verlangen entsprechende Top-Besetzungen. Karin Beier legte ihrer charismatischen Inszenierung eine mittelalterliche Theorie zugrunde, nach der Monarchen einerseits politische und andererseits biologische Körper haben. Das sieht sie in jedem/r PolitikerIn heute noch. Ermonela Jaho als Maria baut ihren Schafott-Tod nicht als Opfer oder als Märtyrerin auf, sondern inszeniert sich als Siegerin. Kahlgeschoren singt und spielt sie mit atemberaubender und siegender Intensität ihre der Gegnerin verzeihenden Größe. Elisabeth, die sich so lange nicht entschließen kann, den Hinrichtungsbefehl zu unterschreiben, eine mächtige, aber todunglückliche Frau, der Leicester seine Liebe zu Maria gnadenlos um die Ohren haut, handelt zwar despotisch, hat aber gar keine Macht: Barno Ismatullaeva gelingt das erschütternd. Diese Konstellation wird mit weiteren Mitteln unterstrichen: Elisabeths Farben sind weiß und rot, Marias schwarz, aber am Ende trägt auch sie rot (Kostüme von Eva Dessecker). Beide Frauen haben mehrere Doubles, die im Innern andere Fässer aufmachen als das, was nach außen klingt: so, als Elisabeth das Urteil unterschreibt und zusammengekauert an der Seite weint. 

Ein weiterer feministischer Aspekt wird damit radikal offengelegt: nicht nur bekriegen sich die beiden Frauen, sondern beide stehen unter dem Einfluss und damit permanentem Druck von Männern. Gewalttätig drängt Cecil Elisabeth, das Urteil zu unterschreiben und Maria wird angehalten, gefälligst demütig zu sein: in den Frauen sieht es anders aus. Vor diesem Hintergrund: groß der Gesang – Long Long als Leicester, Alexander Roslavets als Talbot, Gezim Myshketa als Cecil und Aebh Kelly als Maria liebevoll begleitende Anna. Natürlich klar bei Karin Beier: die Genauigkeiten in den Details, in den Blicken, in den Gesten, in den Körperhaltungen und den Gängen – alles ganz großes und unvergessliches Theater. Abstrakt und kalt, das mauernhafte Bühnenbild von Amber Vandenbeck, gut erläuternde Videos von Severin Renke.

Antonino Fogliani dirigierte das Staatsorchester sehr genau von tiefstem und total leisem Schmerz bis zu rasender Wut mit voller Kraft. Blitzsauber auch die Unterschiedlichkeit von Elisabeths und Marias Musik: kontrollierte und härter die eine, verspielt und frei, mit nicht enden wollenden Linien die andere. Fogliani räumte furios mit dem Vorurteil auf, die Musik Donizettis sei mehr oder weniger starke und vor allem schmissige Untermalung der Singstimmen. Aufregende Perspektiven der Klangfarben besonders der Bläser, der zupackenden Wucht, der geschmeidigen Feinsinnigkeit der Melodien und vor allem die unter die Haut gehende Deutlichkeit der Affekte machten auch den Orchesterpart zu einem Ereignis. 

  • Nächste Aufführungen: 19., 22., 25., 28. und 30.3. und 2.4. 

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