Zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz gastierte das Jewish Chamber Orchestra Munich an der Berliner Volksbühne mit dem Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais, der 1956 erstmals in großem Maße Bilder des Holocaust an die Öffentlichkeit trug und damit seinerzeit große Diskussionen auslöste. Die konzertant zum Film vorgetragene Musik stammt im Original aus der Feder von Hanns Eisler.
DER TOD IST EIN MEISTER AUS DEUTSCHLAND – mahnend und gleichsam bedrohlich kränzen die Kuppel der Volksbühne jene Worte aus der „Todesfuge“ von Paul Celan. Celan war es auch, der die deutschsprachige Textfassung nach dem französischen Original von Jean Cayrol erstellte. Gesprochen wird sie an diesem Abend vom 25 Jahre jungen Schauspieler Theo Trebs.
Behutsam setzt er dem innerlichen Aufschrei, den die schockierenden Bildaufnahmen auslösen, eine ruhige Sprechweise entgegen – geleitet so einfühlsam und beherrscht durchs Werk. Dies steht ganz im Einklang mit Eislers Musik, die an großen Ausbrüchen spart, oft geradezu idyllisch und verspielt auftritt. In brillanter Balance stellt das JCOM unter dem Dirigat von Daniel Grossmann die Vielfältigkeit der Tonsprache heraus. Fein führt dieser die kleinen wuchtigen Entladungen, die aus der eher zarten klanglichen Grundierung brechen. Besonders der kammermusikalische Anspruch des Ensembles kommt der Interpretation zugute. Das Spannungsfeld zwischen Einzelinstrument und Gruppe spiegelt jenes zwischen Individuum und Masse wieder, das auch den Film selbst auf zahlreichen Ebenen durchdringt.
Erinnerung im Dialog
Dass „Nacht und Nebel“ nicht neu im Programm ist – bereits vor etwa einem Jahr gab das JCOM Aufführungen in München und Dachau – daraus macht Grossmann keinen Hehl. Ergänzt wurde der etwa halbstündige Film dort wie nun auch in Berlin durch ein vorangestelltes Gespräch mit Eva Umlauf, promovierte Psychologin und Zeitzeugin. Geboren 1942 im Arbeitslager Nováky in der Slowakei wurde sie mit ihrer schwangeren Mutter in den letzten Monaten vor der Befreiung nach Auschwitz deportiert, wo ihre Schwester zur Welt kam. Als „großes Glück“, ja als „Wunder“ bezeichnet Umlauf ihr Überleben aus heutiger Perspektive. Ohne eigene aktive Erinnerungen an diese Zeit ist ihr das jedoch erst allmählich über die Jahre hinweg bewusst geworden. Ebenso wie sie erst nach und nach das Traumatisierende jener ersten Lebensjahre aufarbeiten konnte – ein essenzieller Grund für das Studium von Psychologie und Psychoanalyse. Ein weiser Schluss, den sie aus all der Auseinandersetzung mit den Schrecken der Vergangenheit zieht und mit auf den Weg geben kann: Verarbeitung von Vergangenheit bedeutet, dass die Erinnerung tatsächlicher Teil von einem wird. Somit bleibt die Erinnerung stets anwesend und ist dennoch nicht mit der Übermacht präsent, die von einem Besitz ergreift und handlungsunfähig machen würde.
Barbarei als Alltag
Was „Nacht und Nebel“ so besonders macht, dass er im Gegensatz zu späteren Beschäftigungen mit dem Holocaust so nah an den Ereignissen liegt, sind nicht nur die schrecklichen Bilder von Aufnahmen der Alliierten bei der Befreiung. Es ist noch mehr die Darstellung der Alltäglichkeit dieser Schrecken: die Planung der Lager ja selbst der Krematorien durch Architekten als wären es irgendwelche herkömmlichen Staatsgebäude; die Abhandlung der Häftlinge als seien diese Besucher einer ganz gewöhnlichen Unterkunft; die regelmäßige Erschießung einzelner Häftlinge durch SS-Soldaten auf den Wachtürmen als sei dies ein grundsätzlich üblicher Pausensport.
Gezeigt wird die kollektive Konstruktion einer Hölle, in der die Folterer sich in ihrem grausamen täglichen Geschäft ununterbrochen selbst bestätigen bis Brutalität zu Normalität wird und Entwürdigung zu Trott. Gespräch, Film und Konzertrahmen generieren im Zusammenspiel eine sehr besondere Behandlung der nationalsozialistischen Gräueltaten, die bildet ohne plakativ zu sein und ergreift ohne pietätlos zu werden. Bedauerlich, dass die Reihen an diesem Abend im Haus am Rosa-Luxemburg-Platz eher karg besetzt sind. Die Anwesenden jedoch wurden sichtlich erreicht, denn die Spannung im Saal war enorm – besonders zum Schluss. Auf diese Bilder kann kein Applaus folgen. Auch als die Musikerinnen und Musiker die Bühne verlassen bleibt es ganz stumm, ehe sich die ersten aus dem Publikum erheben und sich der Saal allmählich leert. Still bleibt es auch beim Hinausgehen. Andachtsvolle schmerzlich-tiefste Ergriffenheit.
Was bleibt.
„Nacht und Nebel“ ist eben keine Inszenierung des Grauens, sondern ein künstlerisch ausgedrückter Zeitbericht – ohne Anspruch auf journalistische Objektivität und Gesamtdarstellung und doch nüchterner und zugleich vielsagender als viele journalistische Medienbeiträge heutzutage. Kein perfider melodramatischer Schmuck hat hier Platz. Kein aus Sensationssucht geborenes Spektakel. Nur die rein menschliche Brutalität und wir, die dazu aufgerufen sind zu urteilen. Über das was Verbrechen war, ist und immer wieder sein kann.
- Für die Jahressaison 2020 hat das Jewish Chamber Orchestra Munich ein umfangreiches Programm auf die Beine gestellt – schließlich feiert das Ensemble, das sich der Vermittlung und Schaffung jüdischer Gegenwartskultur als festem Bestandteil der allgemeinen Kulturlandschaft verpflichtet hat, sein 15. Jubiläum. Neben live begleiteten Filmvorführungen und Gesprächskonzerten steht im Frühjahr auch Philip Glass' Oper „The Fall of the House of Usher“ an, die auch kurz nach der Gründung das erste große Projekt markierte.