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Staatstheater Nürnberg (Oper): „La Bohème“ (Premiere: 21.11.2015) von links im Bild: Hrachuhí Bassénz, Ilker Arcayürek - Foto: Jutta Missbach
Staatstheater Nürnberg (Oper): „La Bohème“ (Premiere: 21.11.2015) von links im Bild: Hrachuhí Bassénz, Ilker Arcayürek - Foto: Jutta Missbach
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„dolcezza pucciniana“ – Bravissima!

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Ein weibliches Bühnenteam sucht an Nürnbergs Oper neue Aspekte in Puccinis „La Bohème“. Wolf-Dieter Peter begleitete sie dabei.

Für Mimis Sterbephase – wenn die Freunde Rodolfo und die schwindsüchtig verlöschende junge Näherin alleine lassen – hat das für Regie, Bühne und Kostüme engagierte ungarischstämmige, aber überwiegend in Salzburg und München ausgebildete Duo Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka die schönste Lösung gefunden. Wortwörtlich wie musikalisch erinnern sich da ja Mimi und Rodolfo an ihre erste Begegnung, die verlöschten und gezielt gelöschten Kerzen und das eiskalte Händchen … in der kaum verändert chaotischen Dachkammer der Nürnberger Neuinszenierung tun die beiden das anhand von entsprechenden Stellen in Rodolfos Romanmanuskript. Mimi ist fasziniert und gerührt: Rodolfo scheint durch Liebesglück, Trennungsschmerz und Erlebnis ihrer unheilbaren Krankheit letztendlich zum Autor gereift; er wird - wohl unter dem Pseudonym Henri Murger! - „Scènes de la Vie de Bohème“ veröffentlichen und damit letztlich Mimi unsterblich machen. Das war neu, überzeugend und anrührend.

Auch eine Bühnenbildidee gelang beeindruckend: noch vor aller Musik fuhr der rechte Teil des schwarzen Zwischenvorhang hoch und gab ganz oben eine kleine, graue Dachkammer frei, unter deren Oberlicht und schwachen Sonnenstrahlen Mimi ihre Blumen stickte – das Bild für den schwelgerischen Höhepunkt ihres späteren Arienselbstporträts. Dann fuhr dieser Vorhang zu und der größere linke Teil fuhr auf: die kärgliche Mansarde mit Bücherstapeln, die auch den Tisch stützen, einem Stuhl, einem Kanonenöfchen und einem großen Mauerriss. Bei Mimis Tod blieb das Dachkämmerchen leer zurück. Gelungen.

Doch dann wollte das Bühnen-Duo mehr. Akzeptabel geriet noch, dass Mimi zur Verzauberung durch Rodolfos Arie gleichsam aus dem Raum auf die träumerisch hellblau ausgeleuchtete Vorderbühne trat – beider erster Liebesrausch verklärt eben die Realität. Dass dann zu beider Schlussduett der Mauerriss glutrot weiter aufging und beide statt via Tür zum Cafe Momus eben mit Fortissimo-Tönen aller Realität entschwanden – damit begann ein Strang an surrealen Hinzuerfindungen, die nicht gelangen.

Im Trubel des Momus im Jahre 1945 ff – mit Schwarzhandel, bestechlicher Polizei und generösen US-Soldaten – führte Musetta ihren alten Alcindoro im Hundegeschirr auf allen Vieren herein; Spielzeughändler Parpignol war ein Kinderdreirad fahrender, von allen herumgeschubster, debiler Clochard, der in Abfalltonnen wühlen musste; zur Auseinandersetzung Marcello-Rodolfo fuhr die halbe Dachkammer herein, in der die damit wohl surreal versteckte Mimi zunächst in schwarzem(!) Schneegeriesel umherging. Der von Szemerèdy-Parditka im Programmheft umrissene Reifeprozess des männlichen Künstler-Quartetts blieb insgesamt Behauptung ohne szenischen Beleg. Zu Recht mischte sich ins Bravo auch Buh.

Nicht wirklich Buh, aber deutlich geminderten Beifall hätte auch Dirigent Gábor Kali verdient: er ließ die Staatsphilharmonie immer wieder zu knallig laut aufspielen – als Hausdirigent sollte er doch sein Theater besser kennen und seine Assistenten sollten in den Endproben kritischer zuhören. Dennoch klangen Chor, Kinderchor und die Solisten um den viel zu jungen Vermieter von Suren Manukyan gut.

Insbesondere Nicolai Karnolsky mit Collines Mantel-Arie und Levent Bakircis Marcello mit herrlich baritonalem Temperament überzeugten. Ilker Arcayüreks Rodolfo vereinte fesche jungmännliche Bühnenerscheinung und tenorale Strahlkraft, die ohne Premierenanspannung in der Höhe wohl noch freier leuchten wird. Anrührender Mittelpunkt des Abends aber war Hrachuhí Bassénz. Magdolna Parditka hatte ihre weiblich bildhübsche Bühnenerscheinung nicht „wegkostümiert“, sondern viel zu edel gekleidet ausgestellt, doch vokal und in der Ausstrahlung war um Bassénz’ Mimi der Hauch von träumerischer Sehnsucht nach einem Stückchen glücklichen Lebens - und dann die glutvolle Hingabe an die „letzte Möglichkeit mit Rodolfo“. Sie verstrahlte mit herrlich runden, warmen Soprantönen das, was sich in besten Puccini-Abenden einstellt: „dolcezza pucciniana“ – Bravissima!

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