Wenn Will Humburg Verdi dirigiert, ist das eigentlich ein Pflichttermin. Nicht weil man unbedingt hin müsste, sondern weil man hin will. Wenn Humburg – wie jetzt in Bonn – dann nach gut zweidreiviertel Stunden zum Schlussapplaus nassgeschwitzt auf die Bühne kommt, ahnt man, wie hart er sich an der Partitur abgearbeitet und das im Übrigen brillant spielende Beethoven Orchester Bonn geknechtet hat. Das sieht man aber nicht nur, das hört man auch. Man kann es nicht anders sagen: Verdi und Humburg, das ist ein musikalisches Dream-Team, vom ersten bis zum letzten Takt.

Ioan Hotea, Charlotte Quadt, Chor und Extrachor. Foto: © Matthias Jung
Dream-Team – Musikalische Hochspannung, szenische Abstraktion: Verdis Nabucco in Bonn
In Bonn kommt in Gestalt von Roland Schwab noch ein Regisseur dazu, der Verdis Überwältigungstheater ebenso klug wie abstrakt auf den Punkt bringt und den Nabucco als ebenso zeitlose wie pointierte Parabel über politische Macht interpretiert. Auch ihn kann man zweifellos zum Dream-Team hinzuzählen.
In Bonn greift das musiktheatralische Räderwerk punktgenau ineinander: Ein glutvoll spielendes Orchester, ein famoses Ensemble und eine Inszenierung, die nicht in eine historische Falle tappt, sondern sich ebendieser durch eine überaus gelungene Reduzierung auf den dramaturgischen Kern des Stoffes entzieht. Natürlich geht es in Nabuccos Geschichte auch um Liebe, sogar um eine eigentlich unmögliche Liebe zwischen dem Hebräer Ismaele und der Babylonischen Prinzessin Fenena, und auch der von seiner eigenen unehelichen Tochter Abigaille verratene und am Ende wahnsinnige König Nabucco birgt dramatisches Potential, was Schwab durch seine psychologisch stimmige Personenführung auch sehr genau auf den Punkt bringt.
Der Kern seiner Inszenierung ist jedoch ein anderer. Schwab verortet Verdis Nabucco zwar durch das reduzierte aber atmosphärisch sehr dichte Bühnenbild von Piero Vinciguerra in keiner konkreten Zeit, stellt aber sehr aktuelle Bezüge her. Eine Installation aus Leuchtbändern, die wie ein Damoklesschwert über Nabucco niederfährt und Zitate von vergangenen oder aktuellen Diktatoren - inklusive Trump – präsentiert ist der offensichtlichste Bezug, und am Ende des zweiten Aktes, wenn Nabucco mit allerlei Blitz und Donner dem Wahn verfällt, auch der spektakulärste. Ansonsten enthält sich Schwab aber jeglicher dramaturgischer Taschenspielertricks und punktet mit einer wohltuend unaufgeregten aber ungemein konzentrierten Inszenierung. Sie ist zudem ein eindringliches Plädoyer gegen jeglichen Fanatismus und Extremismus.

Aluda Todua. Foto: © Matthias Jung
Darüber hinaus kommt der Inszenierung zugute, dass das Ensemble durchweg aus starken Bühnenpersönlichkeiten besteht, die sowohl stimmlich als auch darstellerisch eine enorme Wirkung entfalten. Aluda Todua etwa, der als Nabucco in den ersten beiden Akten nur auf dem Thron durch die Gegend gefahren wird, aber allein durch eine phänomenale Präsenz besticht. Das ist zweifellos auch seinem ebenso voluminösen wie klangvollen Bariton geschuldet, den er – etwa auch in den aufwühlenden Gefängsnisszenen in dritten und vierten Akt – facettenreich einsetzt. Selbiges tut auch Erika Grimaldi als Abigaille. Sie gibt die zutiefst unsympathische und machtgeile Giftspritze so überzeugend, dass man ihr das sofort abkauft. Dazu dreht sie stimmlich zwar auch mal auf, setzt aber ebenso auf sehr bewusst und dosiert überzeichnete Stimmfarben, die ihren Charakter und die Dramatik der Situation sehr treffend unterstreichen.
Auch Derrick Ballard als Zaccaria, Ioan Hotea als Ismaele und Christopher Jähnig als Hohepriester des Baal liefern brillante Rollenportraits ab. Ballard strahlt eine enorme virile Autorität aus ohne es damit zu übertreiben oder zu poltern, Jähnigs sonorer Bass klingt außerordentlich rund und edel und Hotea ist als Tenor fast allein auf weiter Flur (und das bei Verdi…..), vermag sich aber mit kantabler Durchschlagskraft durchzusetzen. Charlotte Quadt, die als Fenena in jeder Hinsicht in diesem außerordentlichen stimmigen Ensemble mithalten kann, überzeugt ebenfalls durchweg. Sie bleibt nicht weniger in Erinnerung als Ralf Rachbauer (Abdallo) und Marie Heeschen (Anna) in kleineren Rollen.
Bleiben noch Chor und Extrachor des Theaters Bonn. Beide wurden von Chordirektor André Kellinghaus perfekt vorbereitet. Selten hört man so ein substanzielles, schönes und auch noch homogenes Piano wie im ersten Akt. Aber auch wenn mehr Nachdruck gefragt ist, bleibt der Klang immer schön austariert, sauber, präzise. Der Chormoment schlechthin, das „Va, pensiero“ im dritten Akt, ist ein zutiefst eindrucksvoller Moment, nicht nur, weil der Chor hier vom zarten Piano bis zum Fortissimo eine enorme Steigerung gestaltet, sondern auch, weil Roland Schwab diesen Gänsehautmoment bezwingend schlicht und doch ungemein unter die Haut gehend in Szene setzt. Da wäre man wieder beim Dream-Team, zu dem natürlich auch das Beethoven Orchester Bonn gehört. Was dieses Orchester zu leisten vermag – und auch tut – zeigen schon die ersten Takte der Ouvertüre, die Schwab – das nur ganz nebenbei – auch Ouvertüre sein lässt und sich szenisch noch zurückhält. Auf äußerst nobel und edel klingende Posaunen folgt unmittelbar die Abteilung Attacke. Zwischen diesen beiden Extremen treibt Will Humburg das Orchester gnadenlos durch die Partitur – mit phänomenalem Ergebnis.
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