Eine Produktion von „Tristan und Isolde“ mit dieser hohen musikalischen Qualität und einer Besetzung nur aus dem eigenen Ensemble ist ein durchschlagskräftiger Leistungsbeweis. Verena Stoiber präsentierte ihre zweite Meininger Inszenierung nach „Salome“. GMD Killian Farrell und die Meininger Hofkapelle zelebrierten Richard Wagners Extremwerk mit packenden Kontrasten von ‚Realität‘ und Rausch, bis Stoibers Regie schwächelte. Marco Jentzsch ist ein eher leichter und beglückend intelligenter Tristan, Lena Kutzner eine klarstimmig imposante Isolde.

Drogenabenteuer ohne Liebestod: „Tristan und Isolde“ in Meiningen
Zwei wesentliche Handlungsmomente gibt es in dem 1865 im Münchner Hof- und Nationaltheater uraufgeführten Musikdrama: Das Einnehmen des Liebestranks durch die irische Königstochter Isolde und den ‚best man‘ ihres königlichen Bräutigams Marke von Cornwall, später die tödliche Verwundung Tristans nach dem hier leider gekürzten Liebesduett. Ersteres gelang Verena Stoiber brillant, letzteres matt und nach brisanter Videoflash-Aktualisierung nur mit einem anachronistischen Schwert als banaler Notlösung ohne symbolischen Mehrwert. Schade, denn mit dem Verwässern der Regieidee versandete auch das Spannungspotenzial der Musik. Das Ringen um Originalität und die allzu bemühte Vermeidung von aus der Vergangenheit bekannten Plattheiten war im dritten Aufzug spürbar. Dabei bemühte sich Stoiber auch um eine Transformation der komödiantischen Momente aus dem Epos des Gottfried von Strassburg, welche Wagner in seiner hyperpathetischen Dichtung allesamt eliminiert hatte.
Dabei begann der Abend intelligent und faszinierend, weil Stoiber mit dem Kunstmittel Video – wie zum Beispiel schon in ihrer Weimarer „Gärtnerin aus Liebe“ – sinnfällig, mit klug beißendem Witz und dem Ganzen zuträglich umzugehen weiß. GMD Killian Farrell modellierte in der ersten Stunde sehr klar, mit hier logischerweise geerdet singenden Streichern und einer sehr ariosen Struktur für Isoldes lange Rekapitulation. Der Gemeinschaftsraum auf dem Schiff verschwimmt immer wieder hinter den See- und Wellenbildern, welche natürlich mit den psychischen Sturmböen harmonieren. Noch verlaufen die Handlung und Jonas Dahls Videos, die Stoibers und Wagners Erzählen auf mindestens drei Ebenen begleitet, parallel. Susanne Gschwender steuert im zweiten Akt Markes und Isoldes in beider Ekstase schnell zum Traumboot umfunktioniertes Ehebett, im dritten ein muffiges Krankenzimmer mit edlem Bücherregal bei.
Klangrausch-Apokalypse mit Nervengift-Zulage
Scharfer Knackpunkt wird einmal mehr der Liebestrank, an dessen nachhaltiger Wirkung die Generationen U70 notorisch zweifeln. Nicht erst durch diesen, sondern schon längst vorher sind sich Isolde und Tristan über die Qualität ihrer Beziehung einig. Einmal ist keinmal und später schiebt das Paar immer wieder eine Dosis Droge nach. Dazu entfesselt Farrell bis zum Ende des Liebesduetts eine Klangrausch-Apokalypse mit Nervengift-Zulage. Das Liebespaar feiert seine Ekstase auf einem romantischen See, mit einem Champagner-Rendezvous hinter Tudor-Historismus und einem wilden Easyrider-Trip durch die Rocky Mountains analog zu Wagners ekstatischem Stretta-Finale. Klar, dass Isolde auch in Dahls imposanten Video-Panoramen steuert und er hinter ihr sitzt: Ein Exzess von Bewusstseinserweiterung wie in Filmen Christopher Nolans, erklärtermaßen Stoibers Ideengeber.
Die Moral- und Strafinstanzen Marke und Melot erscheinen als keltisch-mittelalterliche Figuren wie aus einer antiquierten Wagner-Inszenierung oder Thingspielen aus den 1930er Jahren. Jetzt beginnen der Sinn-Schlamassel und die Talfahrt der Regie, wo im dritten Akt Stoiber nur noch um Individualität ringt und den Tenor Marco Jentzsch bei der brutalsten Kraftsportübung des gesamten Musiktheaterrepertoires mit Kapitulation vor Sinn und Form im Stich lässt. Schön dabei die Ebene, dass Tristan und Isolde zu Beginn als glücklich spielende Kinder in der Sonne gezeigt werden. Am Ende bleibt Tristan lebend, aber einsam zurück. Die wenig überzeugende Inhaltsverschiebung bedingt das drastische Nachlassen von gesanglicher Dringlichkeit in der zweiten Dramenhälfte, welche mit dem langen und ähnlich unstrukturierten Marke-Monolog beginnt.

In Meiningen agiert ein bemerkenswert junges Ensemble, in dem sich auch die mit Clara Hertels Kostümen als Schattenfiguren angelegten Partien von Brangäne und Kurwenal bemerkenswert erfreulich positionieren. Tamta Tarielashvili gibt mit üppigem Mezzo eine beeindruckend ungewöhnliche Brängäne, welche die sogar von prominenten Sängerinnen in dieser Partie geübte Zurückhaltung überwindet und einen nachdrücklich mediterranen, in der Diktion allerdings leicht schwächelnden Charakter entwickelt. Shin Taniguchi ist ein sehr präsenter Kurwenal mit hochklassiger Pointierung, gerade weil hier kein Mini-Wotan von großen Aufgaben träumt. Aber ihn und den Marke von Selcuk Hakan Tiraşoğlu treffen scharfe ungerechtfertigte Buhs, wobei Stoiber Tiraşoğlu in seinem langen Monolog ähnlich hängen lässt wie später Jentzsch. Johannes Mooser, Aleksey Kursanov und Hans Gebhardt beweisen den hohen Standard des Meininger Ensemble. Die kurzen Herrenchor-Einsätze sang man live aus der oberen Proszeniumsloge.
Farrells Dirigat und Lena Kutzner bei ihrem Partien-Debüt entwickeln zuerst eine in ihren Empörungen sehr geradlinige Isolde. Die Regie und der große Strich im Liebesduett gewähren Möglichkeiten zum ekstatischen und verinnerlichten Jubilieren. Aber auch Kutzner fällt am Ende wegen szenischer Unentschlossenheit ab. Insgesamt beeindruckt sie durch einen wagnersicheren Sopran, der stabil und beglückend in jugendlich-dramatischen Regionen verankert ist. Marco Jentzsch kommt als Tristan mit Genauigkeit und Persönlichkeit eines weniger vom Schicksal erblich belasteten, dafür die Extremerfahrung mit offener Arglosigkeit suchenden Zeitgenossen einem Ideal ziemlich nahe. Auch Jentzschs Stimmfokus ist eher im deutschen Zwischenfach. Das gibt seinem Protagonistenporträt bei glänzender Diktion eine sehr reflektierende Komponente.
So offenbart dieser „Tristan“ das grundsätzliche Dilemma der rationalen Gegenwart im Umgang mit Wagners skeptischem Liebesmysterium. Die Zweifel an der Profundität des Rausches erweisen sich nicht als kraftvoll genug gegen die ambivalente Hypnotik dieses Musikdramas. Hält man wie Stoiber mit recht verwaschener Ratio gegen den eloquenten Exzess des Musikdramas, hat frau/man verloren. In diesem Fall ist das besonders schade, weil Farrell mit der Meininger Hofkapelle wirklich hohe Sensitivität für den Rausch, aber auch die richtige Dosis Ratio für dessen Bändigung gehabt hätte. Andererseits hatte Stoiber wirklich gute Ideen, um Wagners Emotionen-Tsunami zu legitimieren, scheiterte aber den im Stück thematisierten Realkonflikten von Loyalitätsbruch und Täuschungsabsicht. Immerhin verdient diese Leistung hohen Respekt, weil sie nur wenige Jahre nach ihrem Grazer „Tristan“ das heillose Stück mit einer ganz anderen Lesart in Angriff nahm. Das Premierenpublikum reagierte überwiegend begeistert.
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