Dramaturgische Sinnklammer für die zweite Musiktheaterpremiere der Salzburger Sommerfestspiele 2025 ist die Beziehung zwischen Mahler und den um eine Generation jüngeren Komponisten Schönberg und Webern. „One Morning Turns into an Eternity“ enttäuscht nicht, hinterlässt aber auch keinen tieferen Eindruck. Der Titel des Abends ist die englische Übersetzung eines Verses von Wang Wei. Kräftiger Applaus für eine professionelle Festspielleistung mit den Wiener Philharmonikern in Bestform.

Edel-unverbindliches Gebilde: Die Salzburger „Eternity“-Premiere
Auch Schockstücke kommen in die Jahre und Altmeister brauchen Beschäftigung. So erhält Peter Sellars in diesem Festspielsommer kein großes Opus, sondern ein synthetisches Hybrid aus dem Einakter-Monodram „Erwartung“ von Arnold Schönberg, dem ebenfalls 1908/09 entstandenen und mit einer halben Stunde fast gleichlangen Schlusssatz „Der Abschied“ aus Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ und dazwischen den revolutionären Fünf Stücken für Orchester op. 10 von Anton Webern. Dieses Miniprogramm lohnt vor allem wegen der beiden Sängerinnen auf der Bühne, wegen des in die Inszenierung figurativ eingebundenen Soloflötisten Karlheinz Schütz und durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung des die Erlesenheit der Klangsuche, -findung und -reizung exzessiv einfordernden Esa-Pekka Salonen. Diese machten auf Exzellenzniveau deutlich, dass sich die Spätromantik und Moderne-Progression näher sind als man gemeinhin denkt. Der ehemals psychologisch scharf beobachtende und im Lauf seiner langen Salzburger Kreativchronik immer mehr in pragmatische Szenographien abgeglittene Sellars reicherte die Gedankenspirale der in Marie Pappenheims „Erwartung“-Dichtung auf ihren bald toten Liebhaber wartenden Frau mit einer politischen Verfolgtenstory und edel schreitenden Komparsen an. Zu Mahlers „Der Abschied“ tragen letztere ein Sacktuch bedeutungsschwanger ab. George Tsypin setzte einige Säulen mit schwarzen Fleckenreliefs auf die eine Bühnenseite, ein Stacheldrahtgestrüpp auf die andere. Das farbigste an den schlicht schwarzen Kostümen von Camille Assaf war ihre eigene Gewandung beim Schlussapplaus.
Sellars’ szenisch reichlich dünne Metaebene konnte der musikalischen Leistung nichts anhaben. Wie in alten Zeiten überboten sich die beiden Sängerinnen nach Ende mit Gratulationen an den Dirigenten, würdigten aber sich gegenseitig keines Blicks. James F. Ingalls’ Licht mit Flutungen auf Bühnenausschnitte, schnelle Wechsel und Spots auf die Galeriebögen an der Mönchsbergseite hatten zuerst eine starke Konzentration. Diese verebbte später durch zu viele und höchstwahrscheinlich aus Angst vor Spannungsverlust gesetzten Stimmungen.

Schönbergs „Erwartung“ gelang – man könnte lange Pro und Contra erörtern – fast so maßvoll wie Monologe des späten Richard Strauss. Dabei hatte man Ausrine Stundyte verpflichtet, die seit ihrer „Elektra“ bei den Salzburger Festspielen für das Sopran-Fach steht, in dem Töne aus angeschnittenen Nervenbahnen springen. Hier zeigt Stundyte mit einer für dieses Extremfach imponierend intakten und gesund klingenden Stimme weitaus mehr Innenspannung als eine nach außen gejagte Exzessivität. Trotzdem: Diese beiden Frauen auf leerer Bühne machen Eindruck und hätten auch ohne Regie die Kompetenz zur performativen Durchschlagskraft. Die erst kurz vor der Premiere in die Produktion gestoßene Fleur Barron darf bei Mahlers „Der Abschied“, für den Sellars in seiner Konzeption ein ganzes Metaphernbündel investiert, mehr strömen und melancholisch leuchten als die „Erwartung“-Protagonistin. Barron singt relativ schlank, fragmentiert manche Tonfolgen sogar zu einer fast nüchternen Sachlichkeit, um aus dieser dann wieder unerwartete und zutiefst schlichte Emotionsfunken zu schlagen. Karlheinz Schütz’ Flötentöne erwecken das Bedürfnis nach mehr Nähe. Wie er in die Szenographie gesetzt wird, gehört zu den guten Momenten dieser Neuproduktion.
Esa-Pekka Salonen ist der Meinung, dass in diesen kulturell erregenden Jahren vor dem Ersten Weltkrieg alles mit allem verbunden war. So überzeugt der nach einem Vers aus einer englischen Übersetzung des Gedichtes von Wang Wei benannte Abend vor allem als ein edles, aber unverbindliches Gebilde. Im Mittelpunkt agieren aber die Wiener Philharmoniker, welche Schönbergs „Erwartung“ in üppige bis filigrane „Salome“-Nähe rücken. Hier und da genehmigen sie sich exzessive Klangverliebtheiten à la Schreker.
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