Während er unermüdlich weiterproduziert – im vergangenen Herbst das unterschätzte „Crosby, Stills, Nash & Young“-Album „Looking Forward“, eben erst das heftig gefeierte Balladen-Patchwork „Silver and Gold“ –, wird Neil Young im Zweit-Job zum pingeligen Archivar des eigenen Künstler-Lebens.
Im vergangenen Jahr war Bob Dylan für den Literatur-Nobelpreis im Gespräch, jetzt promoviert die gestrenge „FAZ“ Neil Young zum „Hemingway des Rock“. Wenn schon die Poeten den versprochenen großen Roman zur unendlichen Geschichte der Ausflüchte und Verzögerungen machen, ziehen wenigstens die wüsten Guitarreros, einst Verfechter des reinen Augenblicks und Apologeten des forever young, altersweise und verantwortungsbewusst Bilanz. Während er unermüdlich weiterproduziert – im vergangenen Herbst das unterschätzte „Crosby, Stills, Nash & Young“-Album „Looking Forward“, eben erst das heftig gefeierte Balladen-Patchwork „Silver and Gold“ –, wird Neil Young im Zweit-Job zum pingeligen Archivar des eigenen Künstler-Lebens. Allein in diesem Jahr soll auf vier CDs das Wirken seiner ersten großen Band „Buffalo Springfield“ dokumentiert werden und mit acht CDs und zwei DVDs das lang erwartete Volume One der vierteiligen „Neil Young Archives“ bei Reprise erscheinen, in dem sein Schaffen bis ins Jahr 1973 interessierten Zeitgenossen und Nachkommen überliefert wird – gleichsam ein historisch-kritischer Nachlass zu Lebzeiten, von den großen Erfolgen bis zum Outtake in Bootleg-Qualität.Ein Zeitalter wird besichtigt. Niemand aber sollte sich von den sanften Tönen täuschen lassen, die der Meister harscher Feedbacks neuerdings anschlägt. Neil Young war schon immer ein Chamäleon, das in allen Masken, Rollen und Formen auf subversive Weise seine eigene Geschichte weitererzählte. Die Wahl der Waffen übernimmt er selbst, aber er passt sie der jeweiligen Lage und dem Gegner an.
Dem Terror der Beschleunigung, dem Reiz- und Daten-Overkill einer aufgeregten Web-Welt begegnet er mit Besinnung und konsequenter Reduktion: Gleich der Opener seines neuen Albums ist eine provozierend minimalistische Variation über das scheinbar simple Thema „Good to see you (again)“. Wo die „Globalisierung“ die Liquidation des Subjekts oder jedenfalls seiner Besonderheiten auf die Tagesordnung setzt und die Einzelnen, die up to date bleiben wollen, zu wollüstigen Komplizen ihrer eigenen Abschaffung macht, reagiert der Rebell Neil Young mit einer Wiederentdeckung der Tradition und ihrer Werte, vor allem der Treue zu sich selbst und zu den Nächsten. Freilich ist für ihn die Voraussetzung von Loyalität Selbsterkenntnis und nicht Sentiment. Kitsch ist auch für den altersweisen Neil Young eine Wucherung des Herzens mit teilweise tödlichen Folgen. Sein Mittel dagegen heisst Lakonie – eine Klarheit, die mit möglichst wenigen Worten auskommt.
Während die schöne neue Software-Welt zunehmend denaturiert und enthistorisiert daherkommt, als virtueller Kosmos unendlicher Möglichkeiten, der per Mausklick verändert oder gelöscht werden kann, entdeckt der späte Neil Young die „Schwere“ von Natur und Geschichte. Den raschen und glatten Konzepten setzt er Lebenswege entgegen, die längst so vertrackt sind, dass man sich nicht mehr aus ihnen lösen kann – jedenfalls nicht, ohne tiefe Wunden zu reißen und Spuren zu hinterlassen. Seine neuesten Balladen – Neil Young war ja immer schon ein Virtuose der ganz einfachen, stillen Lieder – kommen harmloser daher als sie sind. Sie erzählen vom Altern, von seiner Tragik und seiner Schönheit, die weitgehend ein und dasselbe sind: dass erfahren sein bedeutet, nicht mehr alles machen (und mit sich machen lassen!) zu können. So gesehen ist Neil Youngs sich fortschreibender Nachlass zu Lebzeiten ein Archiv des Glücks und seiner Voraussetzungen.