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Kathrin Filip, Chor. Foto: Oliver Berg.
Kathrin Filip, Chor. Foto: Oliver Berg.
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„Ein Rot, das bleibt“ – „Galen“, Oper von Thorsten Schmid-Kapfenburg am Theater Münster uraufgeführt

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Die Rezeption des Wirkens von Clemens August Graf von Galen teilt sich bis heute in zwei Lager: den einen gilt der Bischof von Münster als mutiger Mann, der sich gegen die Diktatur der Nationalsozialisten gestellt hat; die anderen kritisieren, er habe - wie weite Teile des deutschen Klerus‘ - viel zu wenig getan und der Verfolgung und Ermordung der jüdischen Glaubensschwestern und -brüder tatenlos zugesehen. Jetzt ist Bischof von Galen im Theater Münster zum Zentrum einer abendfüllenden Oper geworden, komponiert von dem Detlev Glanert-Schüler, Dirigenten und Pianisten Thorsten Schmid-Kapfenburg.

Ein Widerstandskämpfer war er ganz sicher nicht. Aber jemand, der seine Stimme erhob, als die Deutschen mehrheitlich dem Nationalsozialismus zujubelten und die Führer-Mannschaft begann, sogenanntes „unwertes Leben“ zu vernichten. Clemens August Graf von Galen, 1933 zum Bischof von Münster gewählt und geweiht, stieg damals, im Sommer 1941, dreimal auf die Kanzel und hielt Predigten: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ ruft er. Und „Bleibt wie der Amboss stark und fest bei allen Schlägen!“

Bischof von Galen ist die zentrale Figur in der jetzt uraufgeführten Oper von Thorsten Schmid-Kapfenburg. Galen ist ein Kirchenmann, der in einem erzkatholischen Elternhaus aufwuchs und im Prinzip sein Leben lang seiner nationalkonservativen und obrigkeitshörigen Grundeinstellung treu blieb. Zwar ist er schon Mitte der 1930er Jahre skeptisch gegenüber dem antichristlichen „Neuheidentum“ der Nazis. Doch erst spät keimen Zweifel in ihm auf – eigentlich erst, als es um „seine“ ureigene katholische Klientel geht. Der Zweite Weltkrieg war längst im Gange, die Synagogen zerstört. Aber als der „Klostersturm“ beginnt und katholische Ordensleute vertrieben werden, gewinnt bei Galen die Einsicht Raum: „Nein! Jetzt kann ich nicht mehr schweigen.“ Erst recht auf die Rede vom „unwerten Leben“ seitens der Nazis reagiert er mit Empörung und Protest, ohne zum Widerstand, gar zur Revolution aufzurufen. Seine Predigten finden als Flugblätter über Deutschlands Grenzen hinweg Verbreitung. Immerhin: die Deportation „unproduktiver Menschen“ aus Heilanstalten stellen die Nazis daraufhin ein!

Aus diesen und weiteren Stationen aus dem Leben des Bischofs von Münster entwickelt Regisseur Holger Potocki im Bühnenbild von Andreas Becker fesselnde Bilder. Stets präsent ist Jasmin, die junge Frau von heute, die Librettist Stefan Moster geschickt in das von ihm erzählte historische Geschehen einwebt.

Jasmin stößt eher zufällig im Jahr 2022 auf die Person Galens, liest Bücher über ihn und begibt sich dann auf eine imaginäre Reise in die Zeit Galens. Sie stellt ihm kritische Fragen, wird Zeugin des inneren Prozesses, den Clemens August durchmacht im Umgang mit den Nazi-Schergen, mit dem Rabbiner der Synagoge, mit seinem alten Freund Coppenrath oder seinem Bruder Franz. Das sind spannende, auch optisch sehr wirkungsvolle Szenen. Und man entwickelt Verständnis für den bis heute nicht unumstrittenen Galen, den „Löwen von Münster“, dem 1946 die Kardinalswürde verliehen wurde.

Schmid-Kapfenburgs Oper ist keine „Heiligsprechung“ des Bischofs. Eher stellt sich mit Jasmin die Frage: hätte er nicht mehr machen können, mehr machen müssen? Und damit ist man ganz schnell im Heute: was können, was müssen wir tun, wenn elementare Werte in Gefahr sind, die Galen immer wieder unter dem Wort „Gerechtigkeit“ reklamiert? Insofern ist „Galen“ eine Oper (auch) für die Gegenwart. Videoeinspielungen von Flüchtlingslagern, Rettungsbooten und Kriegstoten unterstreichen dies nachdrücklich.

Musikalisch ist das Werk so faszinierend wie die Bilder auf der Bühne: Schmid-Kapfenburg bewegt sich zwischen Spätromantik und Zwölftönigkeit, seine Musik ist sehr bildhaft, wirkt nie „konstruiert“, ist emotional berührend und vor allem ungemein farbig und abwechslungsreich. Außerdem auch sehr sängerfreundlich, dabei höchst anspruchsvoll. Gregor Dalal als Galen meistert seine Riesenpartie darstellerisch wie sängerisch mit absoluter Perfektion, was gleichermaßen für Kathrin Filip als Jasmin gilt. Auch die weiteren Nebenrollen sind glänzend besetzt. Golo Berg koordiniert als Dirigent des Sinfonieorchesters Münster das Bühnengeschehen mit Präzision, auch der von Anton Tremmel einstudierte Opernchor agiert stark und konzentriert.

Am Ende dann – Münster liegt in Trümmern – Galens Erhebung in den Kardinalsstand. Aus dem Off wird seine Rede eingespielt, die er im März 1946 nach der Rückkehr aus Rom in Münster hält. Es wird seine letzte Ansprache sein: Nur sechs Tage später stirbt er an einem Blinddarmdurchbruch. Galens rote Soutane leuchtet als Ausstellungsstück in einem Museum. Rot ist das finale Bild der Oper: „Ein Rot, das bleibt“, singt Jasmin.

Großer Jubel für alle Beteiligte, stürmischer Beifall für den Komponisten.

 

 

 

 

 

 

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