Schilda in Berlin: vor gut zehn Jahren, zwischen Wende und Wiedervereinigung, stand die Musik-Biennale Berlin als DDR-Altlast auf der Abwicklungs-Liste, war ihr Domizil bereits verkauft und die gerade erst angetretene künstlerische Leiterin Heike Hoffmann gefeuert worden. Ulrich Eckhardt, der mittlerweile aus dem Amt geschiedene Intendant, war damals der Retter in letzter Sekunde, nahm das Festival mit seinem Fundus ganz eigener, durchaus innovativer Erfahrungen als Drittmittelprojekt unter das Dach seiner Festspiele-GmbH.
Schilda in Berlin: vor gut zehn Jahren, zwischen Wende und Wiedervereinigung, stand die Musik-Biennale Berlin als DDR-Altlast auf der Abwicklungs-Liste, war ihr Domizil bereits verkauft und die gerade erst angetretene künstlerische Leiterin Heike Hoffmann gefeuert worden. Ulrich Eckhardt, der mittlerweile aus dem Amt geschiedene Intendant, war damals der Retter in letzter Sekunde, nahm das Festival mit seinem Fundus ganz eigener, durchaus innovativer Erfahrungen als Drittmittelprojekt unter das Dach seiner Festspiele-GmbH.Das war weder institutionell noch finanziell abgesichert, doch Hoffmann nutzte ihre Chance: Sie machte die Biennale zum „Fest für zeitgenössische Musik“, nicht für die jedem neuen Klang hinterher reisenden Experten, sondern bewusst für das aufgeschlossene, nicht nur intellektuelle Publikum der Stadt (eine Gruppe von Bauarbeitern gehört zu den regelmäßigen Besuchern). Das gelang ihr mit einer geschickten Mischung von Ur- und Wieder-Aufführungen, mit unterschiedlichen, nicht immer „E-Musik“ assoziierenden Spielorten und nicht zuletzt einem wahren Staraufgebot an Interpreten. So dirigierte diesmal Simon Rattle die Berliner Philharmoniker, kamen Michael Gielen mit dem SWR-Sinfonieorchester, die Junge deutsche Philharmonie und das Ensemble Modern, sangen der RIAS-Kammerchor und der nicht minder renommierte Rundfunkchor Berlin. 22 teilweise ausverkaufte Konzerte mit 20 Uraufführungen fanden zirka 17.000 begeisterte Zuhörer. Solche Beifallsstürme wie nach Rattles vor Sinnlichkeit schier explodierender Interpretation von Messiaens „Éclairs sur l’Au-delá“ dürfte die Philharmonie zumindest bei einem zeitgenössischen Werk noch nie erlebt haben. Nachdem der Erfolg des Konzeptes also erwiesen ist, sich dadurch auch der Bund zur finanziellen Absicherung innerhalb der Berliner Festspiele bereit erklärt hat, hat Eckhardt-Nachfolger Sartorius nichts Eiligeres zu tun, als es zu zerschlagen: Er glaube, der Öffentlichkeit etwas Neues schuldig zu sein, erklärte er der kreativen Programm-Macherin anlässlich ihrer Entlassung per Telefongespräch. Eine Öffnung zur populären Kultur in ihren avantgardistischen Vernetzungen stellt Sartorius sich vor, mit der er diese verkrampfte „Bastion der Hochkultur schleifen“ will, schicke Klangkunst-„Events“ anstelle dieser altmodischen Opus-Musik (Zitate aus: „Berliner Zeitung“ am 17. Juli 2000). Solch mutwillige Zerstörung eigenen gewachsenen Kulturlebens kann sich halt nur die Hauptstadt leisten.Zum letzten Mal also die Musik-Biennale Berlin, im 34. Jahr und 18. Durchgang wohl die glänzendste von allen. Nach den Retrospektiven der letzten Jahre auf das geteilte deutsche Musikleben der Nachkriegszeit ging nun der Blick zur europäischen Szene, vor allem nach Frankreich. Die „Serialisten“ Jean Barraqué oder Jean-Pierre Guézec, die „Spektralisten“ um Gérard Grisey und Tristan Murail, aus dem Schatten der Überväter Boulez und Messiaen nie so recht herausgetreten, verfolgen entgegen der hier zu Lande gepflegten „Postmoderne“ nach wie vor den Ansatz einer stringenten Materialentwicklung, unbelastet von gesellschaftspolitischen, technologie-philosophischen und sonstigen „Inspirationshilfen“. Eine „schöne“, geschliffen durchgearbeitete Musik, die hier so kompakt noch nie zu hören war und die uraufgeführten Auftragswerke spannend beleuchtete.
Mit seiner ausladend-sperrigen Klaviersonate, fulminant gespielt von Herbert Henck, der hochkomplexen Theatermusik „au delà du hasard“, dem ganz sich in Stille zurückziehenden Chorwerk „Le Temps Restitué“ und dem leichter geschwungenen „Concerto“ zeigte sich der früh verstorbene Barraqué als echte Alternative zu Pierre Boulez, Meister strenger Konstruktion, deren Theorie-Obsession unversehens in Sinnlichkeit und Emotion umschlägt, mit großem Atem und raffinierter Zeitorganisation fähig zur großen Form, das Vorurteil vom Serialismus als „genuin aphoristisch“ widerlegend. Werke des Barraqué-Schülers Bill Hopkins und von Guézec standen für weitere überraschend individuelle Spielarten dieser sprödesten aller Musikrichtungen. Einen wahren Farbenrausch entfesselt Gérard Grisey in „Transitoires“ mittels von den Tonspektren abgeleiteter Parameter-Organisation, führt gestreckte und gestauchte Reihen in „Taléa“, auf dem mittelalterlichen isorhythmischen Modell basierend, quasi enthäutet vor. Dabei geht es um die Entfaltung eines einzigen Klanges in seinem Obertonreichtum.
„Ein Ton ist ein Ton ist ein Ton“ heißt auch Georg Katzers Credo, indem die vitalen Gesten seines Saxophonkonzerts „SaxophonMachine“ aus Umfärbungen und Umspielungen erwachsen. An Radikalität jedoch konnten es die Uraufführungen mit den älteren Werken meist nicht aufnehmen, höchstens auf Kosten der Qualität. In „akkor(d/t)anz“ des 34-jährigen Wieners Clemens Gadenstätter prügelte Florian Müller mit Clustern aller Arten auf das Klavier ein. Viel Klanggewalt auch in „This Fragile Vial“, einer recht diffus anmutenden Raumklangkomposition für Chor und 15 Instrumente des Ferneyhough-Schülers Mark Randall Osborne. Wie man den Raum subtil zum Leuchten und Vibrieren bringt, demonstriert Isabel Mundrys „Ferne Nähe“, vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, dem Arditti-Quartett und Teodoro Anzelotti unter Arturo Tamayo zu sehr geschlossener Wirkung gebracht. Doch auch dieses Werk zielt – fast zu perfekt gemacht – auf Überredung; die noch vor zwei Jahren geballt anzutreffende „Verweigerung“ durch leise Töne im Zeichen Luigi Nonos scheint „out“ zu sein. Überwältigendes Pathos geht von Younghi Pagh-Paans monumentalem Werk für Solostimmen und Orchester aus, das „Dorthin, wo der Himmel endet“ dicht gefügte koreanische und abendländische Text- und Musikschichten zum Ausdruck von Entwurzelung bringt. Am originellsten geht Misato Mochizuki, shootingstar bereits der vorigen Biennale, mit dem großen Apparat und der von ihm ausgehenden Macht um: In „Homeobox“ wird in musikalischer Übersetzung neuester Gen-Analysen, in der Klavier, Violine und Orchester ein „einfaches gemeinsames Erbgut“ aufweisen, genau dies zum Thema; von Peitschenknallen angetriebene schlingernde Rhythmen münden in eine einzige dumpf repetierende Massenbewegung, Kettenreaktionen von DNA im Laborversuch. Doch auch die noch viel unsicherer tastende Slowenin Larisa Vhrunc, ein „Neuzugang“ der Biennale, entwickelt in ihrem Orchesterstück „Hologram“, angeregt von der Mehrdimensionalität eines Paul-Klee-Gemäldes, eine zunehmend eigene Klangwelt extremer Ton-Geräusch-Kombinationen.
Die ultimative Sensibilität blieb diesmal dem doch eigentlich so expansiven Musiktheater vorbehalten; Salvatore Sciarrino verpasst „Lohengrin“ – nach einem seinerseits Wagner ironisch deutenden Libretto von Jules Laforgue – endlich erträgliche Dimensionen und entfaltet daraus ungeahnte Poesie. Unter der behutsamen Regie Ingrid von Wantoch Rekowskis „singt“ Viviane de Muynck die verlassene Elsa, in deren Kopf sich das gesamte Drama abspielt; besser sie schnalzt, schmatzt, flüstert, kichert. Drei Sänger sind der Chor, mit vielleicht dreimal drei Tönen die missglückte Hochzeit bejubelnd. Im winzigen Orchester zirpt und schnarrt es wie Grillen- und Libellenflügel, und genauso zartfarbig schillernd. Dafür trug man bei einem anderen heftig nachgefragten „Highlight“ umso dicker auf: In seinen „Sinfonien“ für 21 Klaviere erzeugt Daniele Lombardi mit synchron im Diskant klirrenden Fortissimo-Trillern und Cluster-Donner aus den Bässen ein ödes Klang-Schlachtfeld, als würde man gleich mit Militärstiefeln auf den 1848 Tasten herummarschieren. Nur auf dem Gag aufgebaute Events gab es eben auch schon bei der nun zur Historie erklärten Musik-Biennale Berlin.