Er glaube, dass wir mit der Zerstörung weitermachen, konstatierte Greenpeace-Gründer David McTaggart 1984 in einer singulären ORF-Fernsehsendung, vielleicht ändere sich etwas, wenn die Frauen der „Masters of the Universe“ ihren Männern krankgeborene Kinder auf den Tisch legen. Jetzt, 40 Jahre später, kommen einem eher kriegs- und hungergeschädigte Kinder in den Sinn …

Gryphius. Epigramme
Ein „Wir bleiben dumm“-Spiegel – Am Ende der Münchner Festspielzeit setzt ein Crossover-Abend einen Kontrapunkt
Dennoch blüht die Festivalitis. Da setzte ein Abend im restlos ausverkauften Prinzregententheater einen Kontrapunkt. Der mit dem üblichen Rahmen eines Liederabends unzufriedene Bariton Georg Nigl, der gerne „Querständiges“ bietende Schauspieler Nicholas Ofczarek und Münchens gerne Repertoiregrenzen verlassende GMD Vladimir Jurowski fanden sich zusammen – unter dem Titel „Die letzten Tage der Menschlichkeit?“… Der Sprachgigant Karl Kraus setzte in den 1920er Jahren hinter sein für ein „Marstheater“ gedachtes Monumentaldrama von den letzten Tagen „…der Menschheit“ kein Fragzeichen - das in unseren Tagen von Myanmar über den Sudan, von Gaza bis in die Ukraine zu setzen ist.
Parallel zur Demaskierung unserer Zivilisiertheit durch Kraus hatte Gustav Mahler in mal erschreckenden, mal unheimlich anheimelnden Liedern von unserer todgeweihten Existenz singen lassen. Der junge Komponist Hanns Eisler nahm gleichsam den Stab auf, betonte aber die soziale Funktion von Musik bis hin zum politischen Bekenntnis: ab 1925 begann er ernsthaft mit dem Gegenentwurf zum herkömmlichen bürgerlichen Konzertbetrieb und komponierte 1929 die Bühnenmusik für den Epilog zu „Die letzten Tage der Menschheit“ als „Die letzte Nacht“.
Diese drei Künstler, ihre Werke von 1900 bis 1950 wurden nun von den lebenden drei Kunst-Zeitgenossen auf der leeren Bühne ineinander verschränkt. Denn nicht nur, dass Tristesse, Dystopien und Endzeitstimmung kursieren: Während Politfiguren ohne Charisma und erhellende Zukunftsvorstellungen dominieren, öffnet sich die Schere von „Haben und Nicht-Haben“ und enthemmt kann erneut Unsägliches wieder gesagt werden. Bitter hat dies Bertolt Brecht in seiner „Ballade vom Wasserrad“ konstatiert und Eisler dies komponiert. Georg Nigl traf nun den gänzlich un-belcantistischen Tonfall genau und wurde von Jurowski kantig begleitet. Eingestreut, mal den vermeintlich objektiven Reporter-Tonfall imitierend, dann die Pseudo-Hoheit von Priestern, Konsistorialräten und anderen Amtswürdenträgern glänzend entlarvend legte Nicholas Ofczarek das stimmdarstellerische Seziermesser der Kraus’schen Sprache an. Aus Mahlers „Urlicht“ ließen Nigl und Jurowski die „größte Not … und Pein“ erklingen, in dessen finale Gott-Geborgenheit dann Ofczarek dann mit hämischem Lachen einfiel, vom Weltkrieg als „Bagatell’“ schwafelte und die Einwürfe von Jurowski und Nigl mit „jeder Russ a Schuss“ aufgriff, später das „Serbien muss sterbien“ im Biertisch-Tonfall servierte. Da klang dann der Marschtonfall von Mahlers „Tambourg’sell“ prompt „arm“.
Nigl traf dann nach dem treffend lakonischen Vorspiel den „Spruch 1939“-Tonfall Eislers mit den „finsteren Zeiten“. Dazu bildete Kraus-Ofczareks „Stark- gegen Normal-Esser“-Gerede einen fabulös grotesken Kontrast. Nach Mahlers „Schönen Trompeten“ und Eislers „Graben“ ließ Ofczarek die bitterböse Abrechnung von Karl Kraus im „Antlitz Österreichs“ mit dem Drängeln auf das Postkarten-Foto mitsamt dem letzten Wiener Henker folgen. Jurowski hängte daran die knallend harten Akkorde von Schostakowitschs Präludium in es-Moll an, ehe Ofczareks Prediger dann „Stahl im Blut“ forderte. Das „Tralali“ von Mahlers „Revelge“ ließ Bariton Nigl immer mehr ins Gespenstische abgleiten, wozu Jurowski in den Strophenzwischenspielen gleichklingend einstimmte – und Ofczarek dann den besoffen um sich mordenden Leutnant dranhängte.
So griffen Wort, gesungener Ton und mal ausmalendes, mal kontrastierendes Klavier ineinander. Ganz natürlich fügte sich dann die traurige Naivität von Pete Seegers „Sag mir, wo die Blumen sind“ an, in der Nigl und Ofczarek mehrfach im Duett sangen. Dann ließ Ofczarek noch eine junge Frau ihrem Mann an die Front schreiben, dass sie von einem anderen schwanger ist, Nigl steigerte Eislers „Endlich stirbt die Sehnsucht doch“ ins Verwundern übers eigene „froh“ sein … und wem dann das „Mich wundert, dass ich so fröhlich bin“ des Angelus Silesius (1624-1677) in den Sinn kam: den holte Ofczarek zum „Ende aller Schöpfung“, zum „Ein Genuss!“ stöhnenden Pisser in der Nebengasse herunter … Blackout … fast sofort dann eine Standing Ovation … angebracht für einen außergewöhnlichen Abend. Nur: Erschrecken muss folgen – der Kunst-Spiegel zeigt unausweichlich „Wir sind dumm geblieben“ …
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