Hauptrubrik
Banner Full-Size

Ende laut, Belgien out

Untertitel
Die Ära Mortier endete turbulent
Publikationsdatum
Body

Was für Aufregungen: „Die Fledermaus“, das nationale Amüsier-Heiligtum zerrupft und zerstampft, Hofmannsthals „Ariadne“ eine nervlich strapazierte Trinkerin, „Figaros Hochzeit“ zwischen Modeschaufenstern und heutigem Outfit, Verdis „Don Carlo“ inmitten abstrakter Gestänge – am Ende seiner zehnjährigen Salzburger Festspielintendanz wollte es Gerard Mortier noch einmal wissen: Wie viel Regietheater verträgt das Festspielpublikum? Wer die Leserbriefspalten in den Zeitungen verfolgte, konnte zum Schluss kommen: Am besten gar keines. Das würde bedeuten: Mortiers Salzburger Arbeit wäre umsonst gewesen. Doch diese Schlussfolgerung ist auch nicht richtig. Sogar in der „Fledermaus“ verstummten von der dritten Vorstellung an die Buh-Rufer weitestgehend.

Was für Aufregungen: „Die Fledermaus“, das nationale Amüsier-Heiligtum zerrupft und zerstampft, Hofmannsthals „Ariadne“ eine nervlich strapazierte Trinkerin, „Figaros Hochzeit“ zwischen Modeschaufenstern und heutigem Outfit, Verdis „Don Carlo“ inmitten abstrakter Gestänge – am Ende seiner zehnjährigen Salzburger Festspielintendanz wollte es Gerard Mortier noch einmal wissen: Wie viel Regietheater verträgt das Festspielpublikum? Wer die Leserbriefspalten in den Zeitungen verfolgte, konnte zum Schluss kommen: Am besten gar keines. Das würde bedeuten: Mortiers Salzburger Arbeit wäre umsonst gewesen. Doch diese Schlussfolgerung ist auch nicht richtig. Sogar in der „Fledermaus“ verstummten von der dritten Vorstellung an die Buh-Rufer weitestgehend.Was war geschehen? Jedem auch nur halbwegs Informierten war klar, dass Mortiers „Fledermaus“-Team mit dem Regisseur Hans Neuenfels, dem Bühnen- und Kostümbildner Reinhard von der Thannen und dem Dirigenten Marc Minkowski keine artige Operette auf die Bühne der Felsenreitschule stellen würden. Palimpsest hießt das Stichwort: Der scheinbar heiteren Fassade des bürgerlichen „Heldenlebens“, das sich vorwiegend in Seitensprüngen und kleinen Gemeinheiten präsentiert, wurde die Maske vom Gesicht gerissen und zum Vorschein kam die grässliche Realität, die mit dem Amüsiertheater nur versteckt werden sollte. Unmöglich aufzuzählen, was Neuenfels dazu alles einfiel: Seine „Fledermaus“ verschwindet förmlich in den „Letzten Tagen der Menschheit“, dem grandiosen Gesellschaftspanorama des Karl Kraus, Musils „Mann ohne Eigenschaften“ scheint hereinzugeistern, und die Figuren der Handlung, diese aufgedrehten kleinen Mittelstandsbürger à la Eisenstein – ist das nicht jene dumpfige Schicht, aus der sich später das Personal des Nationalsozialismus rekrutierte, die freiwilligen Parteigenossen, die manchmal, wie hier Eisenstein, zum Reichsmarschall – in weißer Paradeuniform – avancierten, natürlich nur für einen Kostümball, aber wer weiß?

Das Verfahren, klassische, populäre Operetten, wie heißt es immer: Aufzubrechen, ihren Zeithintergrund und ihre Wirkungsgeschichte mit zu inszenieren, ist nicht neu. Béjart schickte schon in den sechziger Jahren Lehárs „Lustige Witwe“, Hitlers Lieblingsoperette, in den Ersten Weltkrieg, garnierte in Brüssel die „Fledermaus“ mit Graf Dracula, der der Gesellschaft das Blut absaugt. Harry Kupfer transportierte die „Witwe“ zeitlich noch weiter nach vorn, ins Ufa-Kino des Dritten Reiches, und Peter Konwitschny, das ist noch frische Erinnerung, ließ letzte Spielzeit die „Csárdásfürstin“ mit einem kopflosen Soldaten im Schützengraben tanzen.

atürlich liegt über Kálmáns Musik eine zarte Schwermut und Melancholie, so als ob er durch seine Figuren spüren lassen wollte, wie ihn der Ausbruch des Ersten Weltkrieges deprimierte.
Aber Konwitschny übersah dabei, ebenso wie Neuenfels jetzt in Salzburg, dass selbst die besten Operetten in ihrer Musik und szenischen Konstruktion zu fragil und im Ausrucksradius zu begrenzt sind, um Menschheits- und Zeitpanoramen standzuhalten. So bleibt nur die Zerstörung, die sich selbst genügt. Das „Unternehmen“ leistet so nicht einmal das, was man eine Denunziation nennen könnte, und die Musik spielt keine gravierende Rolle mehr, läuft halt so mit und nebenher, quasi als Erinnerungsposten, wie in einer Bilanz.

Immerhin bewirkte die Aufführung in den Medien den Ausbruch alter Hassgefühle: Mortier wurde wieder als „Belgier“ apostrophiert, was als ärgster Schimpf gedacht ist. Es sind dieselben Leute, die in der „Fledermaus“ von Neuenfels aus der Operette in die Wirklichkeit überführt werden: So gesehen funktioniert die Aufführung, bei aller Problematik ihrer Dramaturgie, auch entlarvend: Theater als Enthemmer. Man kann das als eine eigene Qualität nehmen.

Die Empörung des Publikums hielt sich bei den beiden anderen Hauptärgernissen im Vergleich zum „Fledermaus“-Tumult in überschaubaren Grenzen. Christoph Marthalers „Le nozze di Figaro“-Inszenierung verordnet der Oper die ästhetischen Merkmale des Regie-Tandems Marthaler/ Anna Viebrock. Figaros Hochzeit findet heute statt, zwischen Schaufenstern, in denen Hochzeitskkleider ausgestellt sind, vor der Pförtnerloge des Standesamtes und den Türen für H und D. Über der Szene, auf schmalen Brettern, hütet ein alter Musiker seine Schafe, steht ein ausrangiertes Cembalo – auch das ein Erinnerungswert an arkadische Zeiten. Zu den Rezitativen steigt der alter Schäfer herab, spendiert Klänge von Keyboard oder Gläsern , während um ihn herum die Liebe zur Ware degeneriert. Marthaler spielt gleich „Figaro lässt sich scheiden“ mit, so hoffnungslos ist alles. Dazwischen wird auch gealbert, wenn die Damen Gräfin und Susanna dem putzigen Cherubino an die Wäsche gehen. Marthaler jongliert mit Handlung, Personen und Versatzstücken in bewährter Manier, sehr musikalisch und präzis in Abläufen und Gesten, doch hängt die einstmals feudale Geschichte doch irgendwie wie ein abstraktes Handlungsmobile gleichsam in der Luft, die auch durch die Musik (Sylvain Cambreling mit der Camerata Salzburg) keine festere Konsistenz gewinnt.

Ambitioniert auch die dritte neue Premiere: „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss. Jossi Wieler und Sergio Morabito als Regisseur und Dramaturg putzten sich zum Lesen von Libretto und Noten die Augen und siehe da, sie wurden fündig: Die leichtfertige Zerbinetta ist nicht länger die Repräsentantin der Opera buffa, die die trauernde Seria-Singstatue Ariadne aufzuheitern versucht, sie ist vielmehr Schwester, Alter ego, Kumpel für die todessüchtige Heroine, die sich in einer Nervenheilanstalt, deren Ausstaffierung durch Anna Viebrock täuschende Ähnlichkeit mit Direktionsetage und Foyers des Festspielhauses suggeriert, gleichmäßig ins Jenseits zu trinken bemüht. Am Schluss geht sie allein seitwärts die Treppe ins Unsichtbare hinunter, während der Tenor Bacchus der Tänzerin Zerbinetta durch die Tür im Hintergrund nachzusteigen scheint. Aus dem personifizierten Formenspiel mit tradierten Operntypen bei Strauss und Hofmannsthal wird hier ein analytisches Psycho-Drama, in dem die Dramatis personae stärker individualisiert erscheinen als sonst. Das ist als Interpretation immerhin plausibel, zumal das Konzept in dieser Aufführung durch die vokale Besetzung legitimiert wird: Deborah Polaski als Ariadne, die virtuose, spielgewandte Natalie Dessay als Zerbinetta, die großartige Susan Graham als Komponist und der zuverlässig strahlende Jon Villars als Bacchus, dazu die fulminant aufspielenden Wiener Philharmoniker unter Christoph von Dohnanyi – das besaß absolutes Festspielformat. Publikumsreaktion: Jubel für die Musik, heftige Teil-Ablehnung für die Inszenierung. Auch spontane Reaktionen können zu Ritualen erstarren.

Ruhiger verlief die Adaption der anderen Inszenierungen: Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ verlor in Peter Mussbachs Darstellung weitgehend das Grelle, Groteske, Schockierende, stimmte mehr einen großen Klagelaut an: Wie die Menschen das Leben verlieren: Lebendige Tote sind alle und die Toten scheinen noch das bessere Los getroffen zu haben. Valery Gergiev ließ die Wiener Philharmoniker mächtig aufspielen, sonor und auch markant, doch fehlten auch der Musik manchmal die schärferen Kontraste. Janáceks „Jenufa“ in der Felsenreitschule, vom amerikanischen Filmregisseur Bob Swaim übersichtlichen in großen realistischen Szenen und Bildern inszeniert, besaß in Karita Mattila in der Titelpartie und Hildegard Behrens als Küsterin vokale Zentren, während John Eliot Gardiner Janáceks Musik zu einer weichgetönten Klanglandschaft einebnete, wovor ihn auch die Mitwirkung der Tschechischen Philharmonie nicht bewahren konnte.

Nimmt man noch die Wiederaufnahmen von Mozarts „Cosi fan tutte“ in der virtuosen, intelligenten Inszenierung von Hans Neuenfels (brillant die Wiener Philharmoniker unter Lothar Zagrosek) und Verdis großbesetzten „Don Carlo“ in Herbert Wernickes Inszenierung (mit Neil Shicoff als Carlo und Thomas Hampson als Rodrigo) sowie Verdis doch arg biederen, von den Osterfestspielen übernommenen „Falstaff“ hinzu (Regie: Declan Donnellan, Maazel mit den Wiener Philharmonikern, Bryn Terfel in der Titelpartie), dann ergibt sich in der Summe ein recht buntscheckiges Opern-Bild für Mortiers letzte Saison in Salzburg, buntscheckig nicht allein in den szenischen und musikalischen Handschriften, sondern auch in der Qualität der Produktionen. Oper live birgt immer auch ein Risiko. Dass Mortier in seiner Zeit in Salzburg dieses Risiko nie gescheut hat, macht eine seiner persönlichen Qualitäten aus.
Gerhard Rohde

Weitere Beiträge zum Thema Salzburger Festspiele auf den und 5

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!