Vor zwölf Jahren begann Romeo Castellucci seine Erkundung des Wagner-Universums in Brüssel. Selbstbewusst gleich mit einem „Parsifal“. Eigentlich waren es drei völlig verschiedene assoziative Annäherungen an das Bühnenweihfestspiel. In jedem Aufzug eine komplett andere Ästhetik. Vom opulent gefährlichen Urwald, über einen höllisch weißen Nietzsche-Alptraum, hin zu einem Dauermarsch der Gegenwartsmenschen auf die Zuschauer zu und der Schreckensvision urbaner Einsamkeit. Das hatte (und hat) man so noch nie gesehen.
Endstation Abgrund – Romeo Castelluccis ganz eigene Assoziationsmaschine mit „Rheingold“ in Brüssel
Wenn Menschenleiber einen wogenden Fluss imaginieren durch den die Götter waten, dann erinnert das an Andreas Kriegenburgs Münchner Rhein. Wenn Alberich das Gesicht und das weiße Gewand von Wotan (als Zeichen für seinen Fluch) schwarz beschmiert, dann taucht einem Schlingensiefs Parsifal in der Erinnerung auf, dessen ebenso weißes Gewand mit lauter Handabdrücken gezeichnet war.
Die atemberaubendeste Szene des Abends geht freilich auf Castelluccis Kappe. In der dunklen Nibelheimwelt mit schwebendem T-Träger und einer Apparatur zur Reifproduktion, macht einströmender Nebel Alberich zwar tatsächlich unsichtbar, lässt ihn dann aber als Gefangener seiner selbst, an seinen eigenen Ring gekettet wieder auftauchen. Wenn Wotan mit Loges Hilfe Alberich in seiner Gewalt gebracht hat, zieht er ihm nicht einfach den Ring von der Hand (oder entreißt ihn ihm samt Finger). Der Götterganove und sein Helfer demütigen Alberich, indem sie den Splitterfasernackten an den in Nibelheim produzierten Reif gekettet drangsalieren und in der Höhe baumeln lassen. Scott Hendricks, der auch vokal mit der überzeugendsten Leistung des Abends glänzt, macht daraus ein darstellerisches Kabinettstück. Er beglaubigt das, was er Wotan entgegenschleudert: „Frevelte ich, so frevelt' ich frei an mir: doch an allem, was war, ist und wird, frevelst, Ewiger, du, entreißest du frech mir den Ring!“
Recht hat er und man sieht das ohne eine Chance zum Ausweichen. Hier geht es nicht um ein Eigentumsdelikt, sondern um einen Bruch mit der Ordnung der Welt.
Eine ähnlich großformatige und überraschende Metapher findet Castellucci am Ende für den Einzug in die Götterburg. Da wird der Ring – der hier eh immer als Reif in verschiedenen Größen präsent ist zu einem riesigen schwarzen Loch. Wie in einem beklemmenden science fiction stellen sich die Götter und deren Gefolge am Ende mit dem Rücken an diesen Abgrund, breiten die Arme aus und lassen sich einer nach dem anderen rücklings hinabfallen. Wer weiß wohin. Einen Göttersitz hatte man sich bislang jedenfalls nicht als schwarzes Loch vorgestellt.
Es gibt aber auch Einfälle von eher nachvollziehbar illustrierendem szenischem Witz. So werden die Götter in ihren anfangs schwarzen Gewändern, zu denen Fricka und Wotan ebensolche Kronen tragen, beim ersten Auftritt der Riesen von Kindern gedoubelt, während die Sänger aus der Kulisse die Stimme zu diesem Playback-Auftritt beisteuern. Die eindrucksvollen Riesen-Mannsbilder Ante Jerkunica (Faselt) und Wilhelm Schwinghammer (Fafner) wirken schon deshalb so wuchtig, weil die Götter geschrumpft sind. Und wenn dann von Loge (wendig prägnant: Nicky Spence) die Wirkung des Entzuges von Freias Jugendäpfeln diagnostiziert wird, dann werden die vier plötzlich schnell alternden Götter jetzt von vier Senioren gedoubelt.
Gábor Bretz ist ein eher nobler Wotan, der allerdings nur selten auftrumpft. Marie-Nicole Lemieux ist eine selbstbewusst eloquente Fricka an seiner Seite. Anett Fritsch als Entführungsopfer Freia, Andrew Foster-Williams als Donner, Julian Hubbard als Froh und Nora Gubisch als Erda komplettieren die Götteriege. Peter Hoare ist ein eindrucksvoller Mime. Eleonore Marguerre (Woglinde), Jelena Kordic (Wellgunde) und Christel Loetzsch (Flosshilde) werden bei ihrem ersten Auftritt im wabernden Dunkel – warum auch immer – szenisch auch nochmal gedoubelt.
Alain Altinoglu lässt es im Graben bei jeder passenden (und manchmal auch nicht passenden) Gelegenheit krachen, langt von Beginn an dramatisch zu, überlässt das mythische Urgrund-Wabern am Rheingrund vor allem dem Nebelschwaden, die in die Dunkelheit der Bühne herabsinken. Den Göttern begegnen wir in der gleißenden Helligkeit einer Art Antike-Museum mit diversen Götterbildern, Reliefs und Statuen. Die auch schon mal ins Wanken geraten und Menschen unter sich begraben bzw. gefangen halten können. Da wird auch der Klang des La Monnaie Orchesters heller. Wobei Altinoglus Ehrgeiz nicht darauf zielt, den Bildern vom Graben aus ihre Autonomie zu nehmen. Von daher zielen Graben und Szene auf ein Gesamtkunstwerk eigener Art, das bislang vor allem als Schaustück fasziniert.
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