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Rusalka am Theater Regensburg (c) Marie Liebig

„Rusalka“ am Theater Regensburg: Theodora Varga (rechts) und Svitlana Slyvia. Foto: Marie Liebig

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Erschütternd desolat: Antonín Dvořáks „Rusalka“ am Theater Regensburg

Vorspann / Teaser

„Bist du ein Mensch oder ein Märchen?“ Die Frage, die der Prinz an die eben erst zur Frau gewordene Nixe Rusalka richtet, ist dieselbe, der sich jede Inszenierung von Antonín Dvořáks Oper von 1901 stellen muss: Soll die aus den mythisch-literarischen Motiven von Melusine, Undine und Kleiner Meerjungfrau heraus entwickelte Geschichte als „Lyrisches Märchen“ – so die Gattungsbezeichnung – oder als menschliches, heutiges Drama erzählt werden?

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Dass das Libretto von Jaroslav Kvapil mit seinen symbolistischen Motiven auch radikale Lesarten verträgt, hat unter anderem Martin Kušej 2010 an der Bayerischen Staatsoper verstörend stimmig unter Beweis gestellt, der die Titelfigur als Opfer familiären Missbrauchs deutete. In eine ähnliche, allerdings nicht ganz so konsequent ausformulierte Richtung geht nun Louisa Proske mit ihrer Regiearbeit am Theater Regensburg. Bei ihr ist Rusalka Patientin einer altmodischen Nervenheilanstalt. Mit dem Besuch ihres Vaters (der Wassermann des Originals), kommen die von einem kindlichen Double mit Schneekugel verkörperten Mädchensehnsüchte nach einer Traumhochzeit wieder zum Vorschein. Das im berühmten „Lied an den Mond“ ausbrechende Verlangen nach der Außenwelt wird indes mit Elektroschocks und sedierenden Spritzen ‚kuriert‘.

Die folgende Menschwerdung der Nixe, das Verlassen der Psychiatrie, spielt sich also nur im Kopf Rusalkas ab. Wie Proske diesen Übergang ins Imaginäre zusammen mit ihrem Team – Dorota Caro Karolzcak (Ausstattung), Jorge Cousineau (Videodesign) und Martin Stevens (Licht) – bebildert, gehört dann zum Stärksten, was seit langer Zeit in Regensburg zu sehen war. Der vorne mit spiegelnder Silberfolie das Element Wasser andeutende Klinikraum verwandelt sich mittels einer projizierten Kamerafahrt in eine magische Waldlandschaft. Nach der brutalen Extraktion ihrer Zunge – der Preis für ihre Verwandlung – fliegt Rusalka unter den Zaubersprüchen der zur Hexe mutierten Oberschwester auf einem Rollstuhl in die trügerische Freiheit.

Dort wartet zwar ein schmucker Playboy-Prinz (Trophäe: Damenslip) an der leicht entzündlichen Tankstelle, doch die Hochzeitsvorbereitungen auf dessen Jagdschloss werden zum Albtraum: Der Prinz wendet sich von der stummen Verlobten ab und der verführerischen Glamourfürstin zu. Leider hat Louisa Proske zu diesem zweiten Akt kaum mehr anzubieten als einen zum Ausweiden aufgehängten Hirschen und einen dämonischen Chor aus weiblichen Opfertieren und männlichen Gewehrträgern. Ein Stück weit korrespondiert dieser Spannungsabfall allerdings auch mit Dvořáks hier deutlich konventionellerer Musik.

Sie und mit ihr die Inszenierung läuft im finalen dritten Akt wieder zu Hochform auf. Wenn die in eine Zwangsjacke gesteckte Patientin Rusalka nun in einem scheinbar unendlich in die räumliche Tiefe sich fortsetzenden Schlafsaal aufwacht und dann zur traumverlorenen Wiederkehr der Mondstimmung des Beginns von den Pflegerinnen gewaschen wird, ist dies von erschütternder Desolatheit. Der finale Feuerzauber, der das Gegenmotiv zum Märchenelement Wasser auf die Spitze treibt, entfaltet eine ungeheure Wucht.

Diesen dramatischen Sog zusammen mit der Klangfarben-Finesse von Dvořáks Partitur zu voller Entfaltung gebracht zu haben, ist das Verdienst des Philharmonischen Orchesters unter GMD Stefan Veselka. Auf der Grundlage einer fein abgetönten Streicherbasis treten die charakteristischen Hölzbläserstimmungen und das kraftvoll zugespitzte, nie lärmende Blech in perfekter Balance hervor, zweifellos die beste Orchesterleistung der vergangenen Jahre.

Zusammen mit dem szenisch wie akustisch gleichermaßen präsenten Chor (Einstudierung: Harish Shankar) ist dies die Basis für eine packende Ensembleleistung: Das beginnt bei den kleineren Rollen, die mit Svetlana Krutschinin (Küchenjunge) und Michael Daub (Heger, Jäger) ebenso erstklassig besetzt sind wie die musikalisch sehr wichtigen drei Elfen (Kirsten Labonte, Scarlett Pulwey, Beata Marti). Patrizia Häusermann ist eine strahlende Fürstin, Svitlana Slyvia eine dämonische Hexe, Roger Krebs ein sonor doppelbödiger Wassermann.

Hany Abdelzaher meisterte am Premierenabend die anspruchsvolle Partie des Prinzen bis auf eine kurze Schwächephase im Finale mit beachtlicher Leuchtkraft in den tenoralen Hochplateaus. Zu einem Großteil wird diese Produktion aber von einer bravourösen Theodora Varga getragen. Ihr vokales Porträt der Rusalka als Märchengestalt und Mensch trägt beeindruckende hochdramatische Züge, kennt aber auch die berührenden Zwischentöne des Lyrischen. Ihr und dem gesamten Team galt am Ende verdienter, einhelliger Jubel.

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