So manches lief im Vorfeld unrund beim 3. musica viva-Konzert in München. Ursprünglich war ein Orchesterwerk des schon seit langem schweigenden Münchner Komponisten Wilhelm Killmayer vorgesehen, dazu mit Scelsis „Uaxuctum“ ein wegbereitendes Chor-Orchester-Werk der Moderne, schließlich ein Klavierkonzert des ebenfalls als Dirigent agierenden und niemals ruhenden Peter Eötvös.
Diesem Ruf des rastlosen Reisenden folgend dirigierte er gleich am folgenden Abend ebenfalls das Symphonieorchester des BR in Augsburg zur dortigen Mozartfeier, der gedrängte Zeitplan musste die Fürsorge für den musica viva-Abend etwas ramponieren. Killmayer jedenfalls war nicht aus letzter Reserve zu locken (obwohl sein Orchesterwerk schon fortgeschritten zu sein scheint) und statt Scelsi und später dann Berio (Sinfonia) wechselte man schnell den Tschechen Martin Smolka mit einem reinen Chorwerk (nur ein Schlagzeuger ergänzt einige Töne) ein. Für Killmayer hatte man im nimmermüde komponierenden Fürther Komponisten Werner Heider Ersatz gefunden. Irgendwie also köchelte der Abend auf Sparflamme, wirkte verlegen zusammengeschubst.
Dennoch wurde es kein verlorener Abend. Das lag aber nicht an Heiders uraufgeführtem Eröffnungsstück „Architektur“, das sich bemühte, die architektonischen Baumaßnahmen Projekt, Statik, Konstruktion und Interna in viersätzige musikalische Korrelation zu bringen. Das geschah ebenso mit anschaulicher Versiertheit wie mit arg abgestandenem Vokabular zeitgenössischen Handwerks, wobei das Zweite zum Schaden des ganzen Werks überwog. Da wurde viel Apparat in Gang gesetzt, die Kraftgesten, geboren aus einem Überfluss an gestalterischer Enge, liefen aber ins Leere. Dass im letzten Satz eine Wende zum Dezidierteren, zum splittrig aufgebrochenen Klang versucht wurde, vermochte das Stück als Ganzes auch kaum zu retten. Man erlebte Musik aus zweiter Hand. So kann Neues ganz schnell alt aussehen.
Das 2000 in Donaueschingen uraufgeführte Chorwerk „Walden“ (nach Thoreau) des 1959 in Prag geborenen Martin Smolka geht hingegen ganz andere Wege. Hier findet sich ein konzis eigener Ton fernab von avantgardistischer Mechanik. Gleichwohl ist es in seiner bewusst einfachen Wahl der Mittel, die freilich mit überlegenem Ohr ineinander verkantet sind, geradezu verstörend frisch. Ein Gutteil trug der vortrefflich disponierte Chor des Bayerischen Rundfunks unter der Einstudierung durch Robert Blank dazu bei. Er sang ätherisch schön, bewältigte die vertrackten viertel- und sechsteltönigen Verschiebungen, die gerade bei einfacher Linie so schwer zu realisieren sind, mit Anstand und bestach durch wunderbar sinnliche Formung des immer wieder irritierenden Klangs. Es ist Musik, die sich um Konventionen nicht schert und ins Weite blickt. Dass sie sinnliche Süße nicht meidet, ist ihr, warum auch, schwerlich anzulasten. Eine Chorleistung auf höchstem Niveau!
Schließlich folgte als einziges ursprünglich geplantes Werk – und dies war ein Auftrag von fünf Orchestern gleichzeitig, in dieser Form wohl neu in der Auftragslandschaft – das Béla Bartók gewidmete Klavierkonzert „CAP-KO“ des Ungarn Peter Eötvös. Eigentlich ist es ein Doppelkonzert, denn der wie immer bestens präparierte Solist Pierre-Laurent Aimard bediente sowohl einen klassischen Flügel als auch, und zwar in erster Linie, ein Keyboard, also ein elektrisches Klavier. Die Spannung zwischen beiden, zwischen Tradition und Zukunft, war es, die den Klangsinn von Eötvös besonders herausforderte, während das Orchester mit großem Schlagapparat als Prolongation, als Resonanzkasten fungierte. Wie immer wusste Eötvös erstaunliche Landschaften fernab von romantischem Orchestersound hervorzuzaubern: blechern, topfig, mit gespreizter Gestik. Und der Klavierpart blickte janusköpfig zu virtuoser Attitüde aus alter Zeit und zu glitzernden Klangkoppelungen am elektrischen Klavier. Hier erschien Virtuosität in neuem Gewand, herausfordernd, kühn, drastisch. Alte Arpeggien standen neben neuen Kaskaden, das Werk lebte gewissermaßen auf der Kante. Der Schluss-Satz, in dem das Keyboard endgültig das Zepter übernommen hatte, schnitt in schlagfertiger Kürze alles Verweilen auf dem Drahtseil ab. Vielleicht ein bisschen zu vorschnell, der Rastlosigkeit von Eötvös gemäß.