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Links: Betsy Horne (Ellen Orford), Marie-Sophie Janke (Auntie), Oğulcan Yilmaz (Balstrode). Rechts: Opernchor. ©Stephan Walzl

Links: Betsy Horne (Ellen Orford), Marie-Sophie Janke (Auntie), Oğulcan Yilmaz (Balstrode). Rechts: Opernchor. ©Stephan Walzl

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„Es gibt viele Grimes – überall“ – Hinrich Horstkotte inszeniert in Oldenburg Brittens „Peter Grimes“

Vorspann / Teaser

Mit dem Regisseur Hinrich Horstkotte und dem Dirigenten Vito Cristofaro hat das Staatstheater Oldenburg bereits derart gute Erfahrungen gemacht, dass mit Benjamin Brittens 1945 uraufgeführter Oper „Peter Grimes“ nichts schiefgehen konnte. Der Jubel nach über dreieinhalb Stunden mit nie nachlassender Spannung wollte kein Ende nehmen. 

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Horstkotte ist kein Regisseur, der durch Interpretationsrätsel auffällt, sondern er erzählt Geschichten so, wie sie sind: So 2020 in Oldenburg Dvořáks „Rusalka“ und 2018 Verdis „Rigoletto“. Da er sie eben einfach gut erzählt, ist das Publikum selbst dran mit Bedeutungsarbeit.

„Peter Grimes“, eine der meistgespielten Opern des 20. Jahrhunderts, erzählt in dem Fischerdorf Aldeburgh die höchst aktuelle Geschichte eines Außenseiters, unter dessen Obhut 1830 zwei Jungen aus dem Waisenhaus umgekommen sind. Die Taten waren nicht beweisbar, aber er darf nicht mehr mit Kindern aufs Meer hinausfahren. Er tut es doch und auch dieser Junge stirbt, weil er von den Felsen stürzt. Der von Anfang an gewalttätige Mob schreitet zur Lynchjustiz, der Grimes nur durch Selbstmord entkommen kann.

Da gilt es zunächst einmal, und das gelingt hervorragend, die verkorksten Individuen des Chores zu inszenieren, deren Mitglieder ihr unmoralisches und selbstgerechtes Leben vor dem Hintergrund der Bedrohung des Meeres führen, sehr individuell werden vom Chor und dem Extrachor Besoffenheit, Gier und Bigotterie gestaltet: unter ihnen der Bürgermeister (João Fernandes), der Apotheker und Drogenhändler Ned Keene (Leonardo Lee), der eifernde, fanatische Pastor Adams (Mark Serdiuk), der Kapitän Balstrode (Kihun Yoon) und vor allem die schnüffelnde Mrs. Sedley (Melanie Lang). Besonders erwähnt werden muss auch die zwar stumme, aber intensive Rolle des Jungen: Philip Bethke. Eine Springflut wird erwartet und da ist Horstkotte wie so oft sein eigener Bühnen- und Kostümbildner. Die riesige Welle, die Grimes erfasst, die vor dem Wasser in die Kneipe strömenden Menschen, die durch die Luft fliegenden Balken, Grimes zerstörtes Küstenhäuschen, das und vieles mehr hatte eine spannungsgeladene Intensität (zusammen mit dem wunderbaren Licht von Regina Kirsch). Und noch etwas Grundsätzliches: Horstkotte beachtet fast übergenau die dramaturgischen Qualitäten der Musik.

Der Gast Roman Payer als reichlich durchgeknallter Peter überzeugt stimmlich und ebenso darstellerisch: enorm die Ansprüche an seine Stimme wie Belcanto, Falsett, ausdrucksvollen Sprechgesang und vieles mehr und enorm die schauspielerischen Ansprüche an sein mit Wahnvorstellungen versehenen Außenseitertum: sein verzweifelter Schlussmonolog hallt lange nach. Da kann auch die ihm zugetane Lehrerin Ellen Orford nichts machen: Sally du Randt fand berückende Pianotöne und ein stets warmes Timbre.

Zu Recht zählen die Orchesterzwischenspiele zur Weltliteratur, Cristofaro schaffte es mit dem Oldenburgischen Staatsorchester, Klangfarben und die tobende Wildheit, aber auch das meditative und religiöse mitreißend herauszuarbeiten. Britten, der sich so erfolgreich der Zwölftonmusik und deren Folgen entzog, gelang mit seinem Opernerstling eine vollkommen eigene, unsterbliche Musik. „Es gibt viele Grimes – überall“ hat der Sänger der Uraufführung Peter Pears gesagt.

  • Weitere Aufführungen: 12. und 20.3., 7. und 27.4., 5., 15., 22. und 30.5. und 2.6. 2024

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