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Resümierendes Stil-Pasticcio in deutscher Erstaufführung: Thomas Adès‘ „The Tempest“ in Frankfurt. Foto: Rittershaus
Resümierendes Stil-Pasticcio in deutscher Erstaufführung: Thomas Adès‘ „The Tempest“ in Frankfurt. Foto: Rittershaus
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Es stürmt in einem fort

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Die Shakespeare-Konjunktur bringt Thomas Adès’ „The Tempest“ auch an die Frankfurter Oper
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Shakespeare und kein Ende. Seit über zwei Jahrhunderten bewegt der elisabethanische Dramatiker nicht nur die Theater, sondern auch die Musikwelt – zumal nach Beethovens Ausspruch „Lesen Sie nur Shakespeares Sturm“, zu seiner d-Moll-Klaviersonate op. 31 Nr. 2. Und auch im vergangenen Jahrzehnt sind seine Stücke immer wieder adaptiert worden: so „Richard III“ von Giorgio Battistelli, „Hamlet“ von Christian Jost. Kaum minder treibt „The Tempest“ die Komponisten an und um.

Begonnen hatte der Sujet-Wirbel mit Peter Greenaways grandios manieristisch verrätseltem Film „Prospero‘s Books“ und Luciano Berios Musiktheater „Un re in scolto“ (nach Italo Calvino), in dem Prospero zum angstgepeinigten Impresario in seiner kafkaesken Theaterbau-Insel mutierte. Montagehaft gebrochen erscheint Shakespares Endstück auch in Helmut Oehrings „Unsichtbar Land“, in dem die Prospero-Welt mit der desaströsen Antarktis-Expedition Shackletons verschränkt wird.

Drei Versionen der letzten Jahre freilich versuchen, den „Sturm“ im Lichte einer konservativ narrativen Ästhetik auf die Bühnen-Bretter zu donnern, die die Welt bedeuten (sollen). So unterschiedlich die Trias ist, so fast unvermeidlich werfen sie die Frage auf, was dieses Stück eigentlich ist, was es heute bedeuten könnte – und wie es textlich, musikalisch und szenisch um seine Aktualität bestellt ist. Es sei denn, man begnügt sich im Sinne der ungeahnte Dringlichkeit gewinnenden Brecht-Formel von der „Einschüchterung durch Klassizität“ –  mit dem Kniefall vor der puren Erhabenheit der Vorlage. Immerhin gibt es zu denken, dass ausgerechnet Shake-speares womöglich avanciertestes, die Schauspiel-Sparten sprengendes, Werk neuerdings eher nostalgische Musik-theater-Lösungen fand. Beispielsweise in Jörg Mannes’ „Sturm“-Choreographie für die Münchner Staatsoper: letztlich ein brav additives Handlungsballett auf neoklassischer Basis, zwar virtuos getanzt, doch ohne einen Schlüssel dafür zu liefern, was Shakespeares opus ultimum heute (noch) bedeuten könnte.

Die beiden konsequenten Opern-Adaptionen stammen von Komponisten, die sich mit einiger Entschiedenheit von dem abzusetzen trachten, was man einmal – sei es gläubig-apologetisch, sei es skeptisch-kritisch – glaubte, als „Avantgarde“ klassifizieren zu können; mit Darmstadt, Donaueschingen und Köln als Hoch-, gar Zwingburgen von Serialismus und Elektronik. In Wirklichkeit gab es diese institutionalisierte Moderne nicht, oder zumindest bei weitem nicht so monolithisch, so dass der Begriff „Postmoderne“ gleichermaßen wenig verfängt. Aber auch sonst haben die beiden „Sturm“-Komponisten nicht allzu viel gemeinsam. Der Italiener Luca Lombardi hat seine Prägung zum Teil in Ost-Berlin erfahren, mit Hanns Eisler als (Über-) Vaterfigur. Entsprechend fühlt er sich als „linker“ Komponist, doch über Eislers Lehrer Schönberg, überdies Nono, ist er auch ein „strenger“ Komponist. Der Engländer Thomas Adès, vorzüglicher Pianist und Dirigent, steht eher in der Britten-Tradition einer genuin britischen, moderaten Moderne; was für Birtwistle, auch Turnage, nicht gilt. Wenn also Lombardi wie Adès sich mitunter kaum gebrochener Tonalität bedienen, hieße dies nicht unbedingt dasselbe.
Lombardis Oper, 2006 in Nürnberg uraufgeführt, heißt nur „Prospero“.

Das Libretto des Schriftstellers F.C. Delius akzentuiert denn auch die politische Dimension: Macht, Missbrauch, Entsagung. Obschon Text wie Oper Shakespeares Stück weitgehend folgen, wird eine quasi linke Perspektive immerhin angedeutet. Für Adès hat Meredith Oakes’ „The Tempest“ komprimiert. Aufschlussreich bei jeder „Sturm“-Adaption ist nicht zuletzt, wie sie der vermutlich gefährlichsten Suggestion der Vorlage begegnen: der Beschwörung von Musik – wie sie hauptsächlich die Ariel-Figur verheißt. Der Choreograph Mannes hat diese multipliziert: Einmal agiert der Luftgeist als gigagelenkige Gummipuppen-Spitzenballerina, dann als dreißigköpfige Elias-Canetti-Hetzmeute, die die Finsterlinge in Panik versetzt. Bei Lombardi wird Ariel ebenfalls vervielfacht: Ein Soloflötist agiert klangsymbolisch wie instrumentaltheatralisch auf der Bühne, während vier Frauenstimmen fast madrigalhaft edle Magie verströmen. Adès verfährt demgegenüber eindimensionaler: Sein Ariel ist ein hyperhoher Koloratursopran, der fast unablässig im „Pfeifregister“ Stratosphärentöne von sich gibt.

Bei der deutschen Erstaufführung von „The Tempest“ in Frankfurt hat der Regisseur Keith Warner die phänomenale Cynthia Sieden als leicht schnippische Chefsekretärin ihres Herrn und Meisters Prospero präsentiert, der seinerseits modern-altmodisch sich der Schreibmaschine zur Fertigstellung seiner Gedanken und Botschaften bedient. Adès’ Partitur kennt auch durchaus chaotisch brodelnde und schrille Momente; während ausgerechnet das Monster Caliban mit einer elysisch hohen Tenorarie in A-Dur bedacht wird. Italianisierende Duo-Topoi sind für Ferdinands und Mirandas Liebesseligkeit reserviert. Purcell-Passacaglia und „Fidelio“-Quartett klingen an. Großintervallig-dissonant angelegt ist am ehesten die Prospero-Partie, die Adrian Eröd mit hellem lyrischem Bariton perfekt in der Balance zwischen Herrschaft und Entrückung hält. Mit erheblichem Raffinement hat Adès „The Tempest“ als resümierendes Stil-Pasticcio komponiert, voller Zitate und Allusionen, doch keineswegs nur retrospektiv. Gerade die häufigen Perspektivenwechsel machen das Stück spannend; und auch wenn einen oft fast heikler Wohllaut umgarnt, so bleiben immer wieder Momente des Bizarren, Undomestizierten, so dass es allzu einfach wäre, das Stück als nur kommod-eklektizistisch abzutun. Aber ein Rest Harmonisierungs-Unbehagen bleibt. Obwohl gerade am Schluss ausgerechnet die bittere Unversöhnlichkeit des bösewichtigen Prospero-Bruders Antonio einen Stachel setzt.

Keith Warner hat in Frankfurt bei Reimanns Shakespeare-Oper „Lear“ imaginativer das ultimative Chaos Bühnenwirklichkeit werden lassen. Womöglich hat er sich bei einer englischen Shakespeare-Vertonung größerer Pietät befleißigt, die man auch Konvention nennen kann. Zumindest ist er bei einigen Figuren manchen Klischees nicht ausgewichen. Unter Johannes Debus bewährt sich das Frankfurter Opernorchester einmal mehr als vorzügliches Instrument der Moderne.

Adès’ erste Oper, „Powder her Face“, ist das schrägere Stück. Vielleicht versucht er sich ein weiteres Mal an einer grotesken Moritat.
Übrigens: James Camerons jüngster Film „Avatar“ ist vom „Sturm“ nicht Lichtjahre entfernt. Aus der unbewohnten Insel ist der von den USA ausgebeutete zauberische Planet „Pandora“ geworden. Mittels Magie werden die imperialistischen „Aliens“ vertrieben. Dass dabei alle möglichen älteren wie jüngeren Kino-Topoi mitspielen, versteht sich. Im Synkretismus jedenfalls scheinen sich Shakespeare, die „Sturm“-Versionen und das 3D-Spektakel zu berühren. Die „brave new world“ hat allemal ihre eigene Historie, auch als makabre.
 

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