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Münchener Kammerorchester. Foto: Sammy Hart
Münchener Kammerorchester. Foto: Sammy Hart
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Espressosivissimo – Das kleine Münchner Festival für die große Galina Ustwolskaja

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An zwei Abenden Galina Ustwolskaja in München. Ein Festival mit Ensemblestücken, unter Tosen und Toben gespielt vom Münchener Kammerorchester, und Klavierwerken, unbeschreiblich beeindruckend gespielt von Sabine Liebner. Das lässt unseren Autoren Wolf Loeckle nach Möglichkeiten von Therapien fürs Weltgeschehen fragen.

Wenn es um die Wahrheit geht, um die ganze, tun sich Alltagsmenschen genauso schwer wie die Bewohner von Elfenbeintürmen zwischen allerlei Regierungszentralen, soziologischen Instituten, Geheimdienstverstec-ken und Philosophengärten. Manche versuchen, auf ihrem Weg nach Erkenntnisgewinn, den Staub unter den Talaren vom Winde verwehen zu lassen.

Zwei renommierte Vertreter der Musikwissenschaft (Wolfgang Rathert von der LMU München und Friedrich Geiger von der Universität Hamburg) bemühten sich, den Feierlichkeiten zur Zelebration des hun-dertsten Geburtstags der wahrhaft großen sowjetisch-russischen Komponistin Galina Ustwolskaja (17.06.1919 geboren in Sankt Petersburg, gestorben 22.12.2006 in Sankt Petersburg) an zwei aufeinanderfolgen-den Abenden im Rahmen des kleinen Münchner Ustwolskaja-Festivals im scope _ Spielraum für aktuelle Musik _ inmitten des entstehenden Kreativquartiers, so etwas wie wissenschaftliche Wahrheit zuteil werden zu lassen.

Was verdienstvoll war. Auch hilfreich. Und vor dem politisch-historischen Hintergrund des zwanzigsten Jahrhunderts sich mit Annäherungen begnügen musste zwischen zwei Weltkriegen, einem Kalten Krieg, der Herausforderung von Gulag und KZs, der Besserwisserei und Vorschreiberei, was Kunst denn sei, von Diktatoren im Gewande eines sowjetischen Josef Stalin, zwischen Gewaltherrschaft und Freiheitssehnsucht. Einem Kampf, dem die unbegreiflich starke und die ebenso unbegreiflich zart-sensible Galina Ustwolskaja fast ein Leben lang ausgesetzt war, dem sie sich stellte. Auf der Suche nach eben der Wahrheit. Diese Suche ist in ihrer Musik unüberhörbar. In der Verknüpfung mit spirituellen Ansätzen sowie in politischen Ver-netzungen. Spiegelungen Johann Sebastian Bachs etwa oder Dmitri Schostakowitschs sind aus ihrer Musik nicht wegzudenken. Solche Verweise helfen beim Öffnen der Sinne.

Was die Musikerinnen und Musiker der beiden Münchner Abende in ungemein fulminanter Weise ihrerseits realisierten. Insgesamt so intensiv, dass der am ersten Abend fast überfüllte Saal erst so langsam ins Toben und Tosen geriet. So packend waren wir in andere Universen versetzt worden bei verschiedenen Stücken aus unterschiedlichen Lebens-und-Kompositionssegmenten. Das Oktett für 2 Oboen, 4 Violinen, Pauken und Klavier von 1950, das immerhin die Pauken als Melodieinstrumente führte, wurde analytisch wie musikalisch dargeboten von Mitgliedern des Münchener Kammerorchesters. Das mittlerweile längst weltberühmt ist. Für seine phantastischen und phantasievoll gebauten Programme ebenso wie für brillante Darstellungen. Die asiatische Baslerin Yuki Kasai spielte zusammen mit der Pianistin Sabine Liebner das Duett für Violine und Klavier von 1964 in phänomenaler Konzentration. Immer wieder das extrem Kontrastierende der Musik Galina Ustwolskajas herausarbeitend.

Direkt im Anschluss füllte sich die ebenerdige Bühne mit Mitgliedern des MKO, rund um den Fazioli-Flügel mit seiner erdigen Klangästhetik, die zu den Konzepten der Komponistin ungemein kongruent klingen wollte. Angesagt war das Konzert für Klavier, Streichorchester und Pauken (1946), das die Grenzen traditioneller Komposition und Interpretation sprengt. Wie die Geigerin Yuki Kasai aus dem Orchester heraus ihrem Part gerecht wurde und gleichzeitig Orchester und Klavier koordinierte, war unbeschreiblich. Das Raue, das die Grenzen der Gewalt tangierende dieser Musik in all ihrer architektonischen Gebautheit und ungeheuer kontrastierenden Faszination, erzwang längeres Schweigen als Signal der Nachdenklichkeit nach all diesen Exzessen. Dann tobte er los, der Schwall der Begeisterung, wie er im Popkonzert kaum aussagekräftiger sein kann.

Der zweite Abend stand ganz im Zeichen der Klaviersonaten, die pausenlos durchgespielt wurden, Espressosivissimo. Sabine Liebner hielt sich daran, von der Erscheinung bis zur Inszenierung von Auftritt und Abgang, von Anschlagskultur bis zu den Passagen, die in ihrer Anforderung die Grenzen körperlicher Leistungsfähigkeit zu über-schreiten schienen. Ohne dass Sabine Liebner solches erkennbar werden ließ. Wenn Kunst denn öfter so wäre, könnte sie womöglich hilfreich sein beim Therapieren des Weltgeschehens. Und nicht nur beim Garnieren desselben. Utopie?

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