Bevor es losgeht im schachbrettmusterbesetzten Auditorium des Atze Musiktheaters im Berliner Wedding, erklärt Intendant Thomas Sutter, dass dieses Musiktheaterstück eigentlich im Kammertheater hätte herauskommen sollen, doch aufgrund der sich verzögernden Bauarbeiten wurde die Bühnenadaption des gleichnamigen Kinderbuches von Marc-Uwe-Kling ins große Haus des Atze verlegt – wo es auch gut aufgehoben ist.
Einige Kinder sind der Aufforderung des Theaters gefolgt und tragen nun in jenem Abschluss-Gebäude des Campus der Beuth Hochschule, die künftig Hochschule für Technik Berlin heißen wird, selbst gebastelte Einhörner auf den Kopf, und einem Erwachsenen wird ein solches vom Atze-Intendant noch als Leihgabe gereicht.
Danach geht es wirklich los mit dem pausenlos etwa einstündigen, musikalisch dicht gefüllten und von Regisseurin Birga Ipsen mit vielen kleinen spritzigen Ideen in Szene gesetzten musikalischen Lustspiel ab 4 Jahren, im babypastellfarbigen Spielzeugraum von Linda Schnabel mit Kubussen aus Holz und aus Schaumgummi. Ein sehr langes Eingangs-Lied, vom Einhorn-Elternpaar Mathieu Pelletier, Natascha Petz sowie der Einhorntante Alexandra Dimitroff dreistimmig dargeboten, führt unter der unsichtbaren musikalischen Leitung des Komponisten Matthias Witting, von den singenden Darsteller*innen selbst begleitet, ein in die Grundgeschichte.
Das kleine aus dem Mund der Mutter geborene Einhorn ist hier ein rank und schlank hochgewachsenes, bunt gedresstes Geschöpf, das Guylaine Hemmer mit Lippen-Pupsen und -Schnauben turnerisch verspielt zum Besten gibt. Zunächst ist von der pubertären Göre der Fabeltier-Familie auf jede Frage nur ein einziges Wort zu vernehmen: „Nein!“, weshalb sie denn auch NEINhorn genannt wird. Das wird langsam aber sicher erst anders, als sie flügge geworden ist. Nun begegnet sie ihren vorherigen Familienmitgliedern in neuer Konstellation: aus der Mutter wird ein schwerhöriger Waschbär, der immer nur „Was?“ fragt und deshalb auch im Programmheft als „WASBär“ firmiert, aus dem Vater ein Hund mit Schlappohren, der immer mit „Na und?“ argumentiert und deshalb den Namen NAhUND trägt (in dieser Schreibweise, wohl damit er nicht mit irgendeinem Fern-Hund verwechselt wird).
Mit der für das Atze spezifischen Virtuosität singen die Darsteller*innen miteinander mehrstimmig und accompagnieren sich dazu selbst: so, wie die Einhorntante sich am Marimbaphon und der Einhornvater am Glockenspiel und auf der Okarina begleitet hatten, so nun der WASBär auf einer Nasenflöte. Die alte Einhorntante wandelt sich zu einer jungen, im Turm eingeschlossenen Prinzessin, die pubertierend stets mit dem Wörtchen „doch“ widerspricht, weshalb sie denn auch KönigsDOCHter genannt wird. Instrumente für die scheinbar improvisierte, perkussive Untermalung der witzigen, zumeist gereimten Texte, mit Lippengeräuschen, auf Gegenstände schlagenden Handflächen oder durch das Reiben von Schwämmen. Dies ergibt eine eigenartige Klangebene, die anfangs von diversen Tierstimmen in der Natur eingeleitet wurde. Das im Fabel-Milieu angesiedelte Geschehen wird aber ungeahnt erweitert durch Laute aus dem jugendlichen Auditorium: hatte anfangs noch ein kleines Mädchen geweint, so wird dieses Nebengeräusch bald abgelöst von kindlichem Kichern, Glucksen und Lachen aus allen Richtungen. Dieser aleatorische Surround-Klang, rund um den Rezipienten, ergibt eine zusätzliche Klangebene als Spiegel und Steigerung der Komposition von Matthias Witting.
Eine gelungene Petitesse aus dem Fabel-Reich, so klug umgesetzt wie inhaltlich wahr, fabelhaft und kurzweilig. Ein Vergnügen für die Kleinsten und für all Jene die sich mit ihnen freuen können!
- Weitere Aufführungen: 21., 26., 28. September, 7.,9., 14. 15. 16. Oktober 2021.