Münchens Opernfestspielzeit ist derzeit geprägt von „erprobten Neuinszenierungen“. Der „Hamlet“ im Nationaltheater ist die vierte Auflage des Teams. Der Hausherr im Staatstheater am Gärtnerplatz, Regisseur Joseph E. Köpplinger, hat Mozarts „Figaro“ schon in Graz und Klagenfurt zusammen mit Bühnenbildner Johannes Leiacker inszeniert und bietet nun eine verfeinerte, überarbeitete Fassung mit neuem Schluss – Jubel-Zustimmung im Premierenpublikum, auch für den neuen Chefdirigenten.
Feine erotische Wirrungen – Münchens „Opera comique“ am Gärtnerplatz wagt sich an Mozarts Buffa „Nozze di Figaro“
Ein Gewinn der Neufassung ist die Nähe aller Verwicklungen: Leiacker und Köpplinger haben die womöglich noch vom Spanischen Bürgerkrieg gezeichneten Schlosssäle auf „Aguasfrescas“ weiter nach vorne gerückt, die Atmosphäre ist greifbar nahe: in den farblich abgestumpften Fresken im Zimmer des Hochzeitspaares, dem Brautbett auf Holzplatten, verschmutzt blinden, kaputten Fensterscheiben; das Boudoir der Gräfin lässt noch die Reste eines erotischen Fragonard-Freskos – angelehnt an das Gemälde „Mädchen mit Hund“ in Münchens Alter Pinakothek - erkennen. Die kleinen Bewegungen der hoch differenziert geführten Figuren und vor allem ihr fein gearbeitetes Mienenspiel sind nah zu erleben und erhöhen den Spielwitz wie die emotionalen Abstürze deutlich.
Der 3.Akt spielt in einem überschaubaren Theatersaal des Schlosses, über dessen Bühne noch das „A“ der Grafen Almaviva als Wappen prangt. Den angestaubten Vorhang – Imitat des realen Gärtnerplatzvorhangs – reißt der wütend mit allen Frauen abrechnende Figaro herunter, Staub-Rauch wallt kurz auf – und gibt den Blick in eine versteckreiche Säulenhalle frei, deren Kulissenende hinten einen Park zeigt. Darin, es könnte ein Franco-Spanien der 1960er sein (Kostüme: Thomas Kaiser), eine Fülle theatralisch amüsanter Turbulenzen: vom Slapstick-nah vielfältigen Versteckspiel des Pagen Cherubino (keck amourös und durchweg übergriffig Anna-Katherina Tonauer), über das Aktengewusel von Don Bartolo (herrlich steif Reinhard Mayr) und Richter Don Curzio (gekonnt enervierend nervös Caspar Krieger), das gewollt fahle Intrigantentum Don Basilio (biegsam schmierig Juan Carlos Falcón), dem hemdsärmelig-handgreiflichen Gärtner (wuchtig Alexander Grassauer) über Jung- und Reif-Frauentypen wie Barbarina (handfest Julia Sturzlbaum) oder Marzellina (pomadig damenhaft Anna Agathonos) – hin zu vier glänzenden Hauptfiguren gelang das mal so, mal so verheimlichte erotische Elend im Hause Almaviva spannend facettenreich und unterhielt heiter. Da wurde die Feier-Tradition mit Sombreros Cordobes und Fandango vorgeführt, die neue Kammerdiener-Ernsthaftigkeit Figaros, der durchweg auf ordentlichen Sitz seines Dreiteilers bis hin zur Krawatte achtete (was Levente Páll mit imposanter Erscheinung und fülligem Bassbariton glaubhaft machte) – im Kontrast zur Überheblichkeit des Grafen, der fast durchweg im edlen Hausmantel seine Männerbrust „ins Spiel“ brachte (der hochgewachsen drahtige Ludwig Mittelhammer, der mit scharf konturiertem Bariton die Ahnung vom Ende eines Zeitalters verbissen, kantig und prompt erotisch kalt vorführte – und immer wieder zwei „Jäger“ mit doppelläufigen Gewehren „bei der Hand“ hatte – Franco „grüßte“). Kontrastierend zu diesen Mannsbildern aller femininer Zauber um die beiden hinreißenden Frauen: im süß-zarten Sopran der mädchenhaft schlanken, mal fröhlich verliebten, mal erotisch bedrängten Susanna von Sophie Mitterhuber und in der wohlklingenden Grandezza der sehr wohl begehrenswerten Gräfin von Ana Maria Labin.
Sie alle und den gut klingenden Chor (Einstudierung: Dovilė Šiupénytė) führte der kommende musikalische Hausherr Rubén Dubrovsky weitgehend überzeugend durch Mozarts Klangkosmos vom Adagio molto zum Allegro assai. Das ein paar Mal geforderte Prestissimo gelang; die Klanggruppen von Streichern und Bläsern noch durchhörbarer von einander abzusetzen kann nach der Premieren-Mozart-Debüt-Anspannung noch gelingen. Dann auch die darstellerische Herausforderung an den Grafen und sein finales „Contessa perdono“: Köpplinger ließ da Mittelhammers Grafen erst eckig-arrogant-enttäuscht in die Säulen abgehen, dann wütend wieder hereinkommen und seinen Mantel furios auf den Boden schmeißen, sich noch einmal verbittert und uneinsichtig umdrehen – und dann plötzlich auf Knien um Verzeihung zu bitten – diese emotionale Achterbahn, gipfelnd in einer fast überirdisch weichen Bitte gelang noch nicht. Doch Tempo und Auf-und-Ab und Hin-und-Her, eben Mozart-da Ponte-Beaumarchais‘ unsterbliches Gleichmaß an Spiel, Erotik, Harmonie, Not und Glück alles Menschlichen erntete viel Szenen-Applaus und ungetrübten Jubel. Die Aufführung könnte zum „Repertoire-Klassiker“ des Spielplans werden: tutti bravi!
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