Egal ob mit Talg, Öl, Gas oder elektrischem Strom: Zu zünden oder gar zündeln in der Oper ist stets eine brisante Angelegenheit. Manch ein Haus ist abgebrannt; das Fenice in Venedig gleich mehrfach. Nomen est omen. Jedoch auch auf der Bühne gibt es zuweilen spektakuläre Scheiterhaufen – etwa in „Norma“, im „Trovatore“ oder „Don Carlo“. Den schieren Tod und Schrecken, die diese verbreiteten, wendeten jedoch Wagners Feuerzauber und Weltenbrände ins gleichermaßen Reinigende wie Brünstige. Lodern die Flammen, heißt das, geht es seitdem um Lust und Läuterung zugleich: in Strauss’ „Feuersnot“ peinlich, Schrekers „Irrelohe“ irre und Schulhoffs „Flammen“ grotesk. Stilbildend für Italien jener Zeit indessen war in Brandsachen, wer sonst, Gabriele D’Annunzio mit seinem flamboyanten Venedig-Roman „Il Fuoco“ von 1900. Wie weiland die Dogen, die 1202 das römische Schwesterreich in Byzanz plünderten und abfackelten, rafft D’Annunzio (mit beträchtlicher literarischer Qualität wohlgemerkt) alles, was er kriegen kann aus der Kulturgeschichte zusammen, auf dass die Liebe, in seinem Fall die zu Eleonora Duse, auflodere: Spätantike und Renaissance, Monteverdi und Tintoretto, Liturgie und Lyrik. Und ganz nebenbei, das Buch spielt 1883, wird Wagners Sarg aus dem Palazzo Vendramin herausgetragen. Auch um zu zeigen, woher nun das Kunstwerk der Zukunft herkommt.
Feurio! – Respighis „La Fiamma“ an der Deutschen Oper Berlin
An diesem D’Annunzianischen Feuer und nicht zuletzt an dessen Hinwendung zu den großen vergangenen Epochen italienischen Kunst, partizipiert Ottorino Respighi nicht wenig in seiner notorischen Trias römischer sinfonischer Dichtungen. Aber auch in seiner letzten vollendeten Oper, „La Fiamma“ von 1934, die als Eröffnungspremiere an der Deutschen Oper Berlin die letzte Spielzeit von Dietmar Schwarz als Intendant beachtlich markiert. Seit 2012 hat er das Haus nach der etwas rumpeligen Harms-Zeit konsolidiert, klug die offenen Flanken der zwei anderen Berliner Opernhäuser bespielt, das Kernrepertoire sowieso. Und zum Markenkern des Hauses gehörte stets eine ausgeprägte Italianità mit der Pflege der italienischen Oper auch über die allbekannten Werke hinaus. Wie sich das weiter entwickeln wird unter dem neuen Intendanten Aviel Cahn, der erst 2026 antritt und dann auch mit einem neuen Generalmusikdirektor… Mal sehen. Jedenfalls hat der schon mal angekündigt, die legendäre Berliner „La Gioconda“ von 1974 aus dem Repertoire zu streichen – ein Juwel der historischen Aufführungspraxis in Filippo Sanjusts prächtiger Kulisse nach Originalen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Nicht zwingende Inszenierung eines zwanghaften Stoffs
Nun also in der Regie von Christof Loy „La Fiamma“, deren Kulisse original 60er-Jahre ist und die Holzvertäfelung des Zuschauerraums identisch übernimmt in einen Bühnenkasten mit Treppenstufen, und man meint sich zu erinnern an Loys Inszenierungen von Zandonais „Francesca“ oder Korngolds „Heilane“ am selben Haus. Wir also sind im Hier und Jetzt, und nicht in der Spielzeit des 7. Jahrhunderts: nicht am prekären Rand zischen Ost und West, Griechen und Römern, Orthodoxen und Katholiken, Herrschern und Beherrschten, wo alle Fragen, beileibe nicht nur solche des rechten Glaubens, stets mit Feuer und Schwert ausgetragen werden und Jeder des anderen Ketzer ist. Wir sind in einer Psychokiste, einer Black Box der Zuständlichkeiten, Familienaufstellung und -hölle zugleich. ältlicher Herrscher (Basilio) mit zweiter Frau (Silvana), dessen attraktiver Sohn (Donello) und Mutter (Eudossia), der jungen Silvana aus dem Volk der Beherrschten eine herrische Schwiegermutter. Figuren wie die ‚eingeborene Hexe‘ Agnese oder der Bischof (im katholischen Ornat!?) und Exorzist stehen für die Pole, zwischen denen sich zu entscheiden gilt: bedingungslose Liebe oder Liebe, die sich Bedingungen unterwirft. Das wäre eine schlüssige Interpretation, würde sie nicht mit einer Personenregie umgesetzt werden, die vor allem aus Händeringen, Räkeln, Wälzen und großen Gesten besteht. Loys „Francesca“ und „Heliane“ waren da überzeugender.
So aus dem Fehlen von empfundener Interaktion bekommt die ganze Inszenierung einen Überdruck an Ausdruck, um glaubhaft zu machen, was man sehen soll. Vor allem Oleysa Golovneva, am Schluss zurecht bejubelt, geht als Silvana bei ihrem Hausdebüt über sich hinaus; Georgy Vasiliev als ihr Stiefsohn und Liebhaber Donello nicht ganz so. Was aber auf der Strecke bleibt, das sind, eben, die Nuancen, vokale Phrasen und Linien, das ‚parlar cantando‘, damit man wirklich angesprochen wird. Etwas, das beim einzigen Native Speaker der Aufführung, Ivan Inverardi als Basilio, sofort einnimmt. Ausdruck nicht als Druck, sondern als Gestaltung der gesanglichen Linie. Etwas auch, womit Martina Serafin als böse Schwiegermutter Eudossia was anzufangen weiß sowie natürlich Doris Soffel, Grande Dame des Hauses, als Agnese.
Die Musik rettet den Abend
Nun entfaltet Respighis „La Fiamma“ nicht wenig Aplomb, vor allem im ersten und dritten Finale, wo Chor und Kinderchor der Deutschen Oper mächtig und prächtig auftrumpfen – mit ein, zwei Ungenauigkeiten aus der Aufregung heraus. Geschenkt. Ein gewaltiges Geschenk ans Publikum allerdings ist, was Carlo Rizzi und das Orchester leisten. Diese ganzen Archaismen und Traditionalismen einzubeziehen, die D’Annunzio der neuen italienischen Kunst aufgab, Gregorianik, ostkirchliche Modi, Madrigalismen, dass alles findet sich exquisit aus- und eingearbeitet in einen farbigen und elastischen orchestralen Fluss, der ebenso klirrend karg wie überwältigend sein kann. Was man an ‚Klangrede‘, wie Harnoncourt anderswo formulierte, auf der Bühne zuweilen vermisste, das kam in Fülle aus dem Graben. Carlo Rizzi und das Orchester der Deutschen Oper, die wahren Stars des Abends, lieferten einen überzeugenden Nachweis für traditionelle Italianità des Hauses. Mal sehen, wie’s damit wird. 63-mal wie „La Gioconda“ wird diese Inszenierung ganz bestimmt nicht zu sehen sein.
- Share by mail
Share on