Als Gerard Mortier 1992 begann, die Salzburger Festspiele nach seinen künstlerischen Vorstellungen zu gestalten, stand er vor einer ebenso leichten wie schweren Aufgabe. Einfach war es, sich von der inhaltlichen Erschöpfung der späten Karajan-Ära sowie der darauf folgenden Interimszeit abzusetzen, schwieriger gestaltete sich das Verhältnis zum Publikum, dessen älterer Teil nicht bereit schien, die gewohnten Kreise zu verlassen und sich neuem zu öffnen. Konflikte waren vorprogrammiert, diese erfassten schließlich sogar die Wiener Philharmoniker, die ihre zentrale Rolle in Salzburg bedroht sahen und entsprechend heftig reagierten und agierten, bis hin zur Drohung, Salzburg künftig meiden zu wollen und in Wien ein eigenes Festival zu etablieren.
Als Gerard Mortier 1992 begann, die Salzburger Festspiele nach seinen künstlerischen Vorstellungen zu gestalten, stand er vor einer ebenso leichten wie schweren Aufgabe. Einfach war es, sich von der inhaltlichen Erschöpfung der späten Karajan-Ära sowie der darauf folgenden Interimszeit abzusetzen, schwieriger gestaltete sich das Verhältnis zum Publikum, dessen älterer Teil nicht bereit schien, die gewohnten Kreise zu verlassen und sich neuem zu öffnen. Konflikte waren vorprogrammiert, diese erfassten schließlich sogar die Wiener Philharmoniker, die ihre zentrale Rolle in Salzburg bedroht sahen und entsprechend heftig reagierten und agierten, bis hin zur Drohung, Salzburg künftig meiden zu wollen und in Wien ein eigenes Festival zu etablieren. Jetzt hat der Komponist und Dirigent Peter Ruzicka, auch als Intendant so wichtiger Institute wie der Hamburgischen Staatsoper und der Münchner Biennale für neues Musiktheater erfahren, in Salzburg die künstlerische Verantwortung für die Festspiele übernommen. Auch Ruzicka steht vor einer zugleich leichten wie schweren Aufgabe. Ästhetisch und programmatisch kann er, natürlich mit eigenen Schwerpunktsetzungen und Vorlieben, an die Mortier-Dramaturgie anknüpfen: Modernes Musiktheater mit modernen Regisseuren, Bühnenbildnern, aufgeschlossenen Dirigenten, moderne Musik in den Konzerten oder in eigenen Reihen, die Ruzicka gern als „Inseln” bezeichnet, die Einbeziehung des Tanz-Theaters ins Festspielprogramm, ein reich facettiertes Schauspielangebot, für das Ruzicka den Regisseur und Theaterleiter Jürgen Flimm gewinnen konnte.Schwerer stellt sich für Ruzicka die Publikumsfrage. Mortier brauchte nur die „Alten” zu vergrollen, dafür kamen mehr und mehr aufgeschlossene Besucher, die sich über Messiaens „François d’Assise”, Janáceks „Totenhaus”, Busonis „Doktor Faust”, über die genialischen Wernicke-Inszenierungen der „Trojaner” von Berlioz oder Mussorgskijs „Boris Godunow” begeisterten – um nur einige der wichtigsten Inszenierungen der Mortier-Ära zu nennen. Erst als Hans Neuenfels zum Finale das österreichische Sylvester-Heiligtum der „Fledermaus” aus der Sicht auch gutwilliger Zuschauer „schändete”, geriet die Front der Mortier-Freunde ins Wanken.
Ruzickas Anmerkungen zu dieser „Fledermaus”, mit denen er sich, nicht ungefährlich und auch nicht unbedingt fair, von der Inszenierung distanzierte, wirkten aber wohl beruhigend auf die Gemüter. Jedenfalls gewann man in vielen Gesprächen bei den diesjährigen Festspielen den Eindruck, als böte Ruzicka dem Publikum das Kontrastprogramm zu Mortier, was natürlich so nicht stimmt.
Aber die „Leute” wollten es wohl so sehen, der Andrang zu den Aufführungen war gewaltig, die meisten Vorstellungen meldeten ausverkauft – wobei zu bedenken ist, dass die Festspiele in diesem Jahr, warum auch immer, insgesamt rund 40 bis 50 Veranstaltungen weniger anboten. Zu konstatieren war jedenfalls, dass sich im Publikum, stärker als zu Mortier-Zeiten, wieder ein Besucher-Typus eingefunden hatte, für den Theater und Musik vor allem einen Akt der Repräsentation darstellen. Man kann endlich wieder nach Salzburg fahren – so die Devise. Die allgegenwärtige Präsenz potenter Sponsoren mit Luxuslimousinen, Foyerempfängen, Modeschick und sogar noch in der Ansage vor jeder Vorstellung, dass man doch, bitte, das Mobiltelefon ausschalten möge, verstärkt diese Befürchtung, dass die Festspiele ohne lange Verzögerungszeiten zum “Event” degenerieren könnten. In seiner Festrede bei der Eröffnung der Festspiele – ungewöhnlich, dass der Festspielintendant auf dem Empfang der Regierung die traditionelle Festansprache hält – sprach Peter Ruzickas in seiner ruhigen Art das „Problem” für die Festspiele ohne Umschweife an, ohne auf Protest zu stoßen.
Das ist wohl der Unterschied zu Mortier: wo dieser streitlustig polemisierte und in Briefen sogar das Staatsoberhaupt attackierte, wählt Ruzicka den Ton der Diplomatie: indem er zu bedenken gibt, suggeriert er dem Publikum eigenes Bedenken, was verständnisvoll zustimmendes Kopfnicken auszulösen pflegt.
Das erscheint als Strategie nicht ungeschickt, öffnet aber auch eine Kehrseite: Wer in sein Festspielprogramm eine „Wagner-Gala” mit Domingo, Waltraud Meier, James Levine und der „Met” aus New York aufnimmt, wer mit dem Opern-und Lebens-Liebespaar Roberto Alagna und Angela Gheorghiu in eine konzertante Aufführung von Gounods “Roméo et Juliette” lockt, wer die Wiener Philharmoniker unter Ricardo Muti noch einmal Verdis „Requiem” spielen lässt (sehr kammermusikalisch, aber auch sehr pauschal im Ausdruck), wer ebenfalls die „Wiener” zweimal mit Anne-Sophie Mutter als Dirigentin und Solistin bei Mozarts Violinkonzerten anbietet – der braucht sich nicht zu wundern, dass ein Publikum herbeiströmt, das man eigentlich gar nicht möchte, das aber bereit ist, ohne zu zögern die absurd hohen Preise für die Tickets zu entrichten, die in der Regel sogar noch einen Überschuss erbringen, mit denen weniger attraktive Darbietungen querfinanziert werden können.
Dieses Problem zu lösen, gleicht der Quadratur des Kreises, und auch Mortier ist es nicht immer gelungen. Nachträglich muss man sich sogar wundern, dass es ihm und Hans Landesmann gelungen ist, trotz eines avancierten Gesamtprogramms am Ende eine ausgeglichene Bilanz vorzulegen.
Andererseits verschlechtern sich die finanziellen Rahmenbedingungen für die Festspiele derzeit von Jahr zu Jahr – bei steigenden Kosten. Ruzickas verkleinertes Programm mag eine Reaktion auf die Kürzung der öffentlichen Gelder sein. Besonders produktiv scheint einem diese Sparsamkeit in Anbetracht auch der wirtschaftlichen Bedeutung der Festspiele nicht zu sein.
Sie nehmen etwa siebzig Prozent ihres Etats an der Kasse und von Sponsoren ein, und von der Umweg-Finanzierung via Hotelübernachtungen, Gastronomie und Luxusgeschäften melden wortreich erstellte Gutachten immer wieder einmal wahre Wunderzahlen, neben denen der staatliche Zuschuss zum Erinnerungswert zu schrumpfen droht. Das will einem Außenstehenden alles recht widersinnig und kontraproduktiv erscheinen. Aber im Kuratorium der Festspiele sitzen ja finanzerfahrene Fachleute, die diese Zuschuss-Mechanistik einmal kritisch durchleuchten könnten.
Die künstlerische Bilanz der ersten Ruzicka-Saison kann sich – lässt man einmal die genannten ästhetischen Billig-Angebote beiseite – durchaus sehen lassen. In der nächsten Ausgabe sollen die wichtigsten Ereignisse ausführlicher erörtert werden.
Hier nur einige Stichworte: Mit Zemlinskys „König Kandaules” gelang der geplante Zyklus der „vergessenen” Exil-Komponisten szenisch eindrucksvoll, interpretatorisch etwas zu eindimensional, musikalisch überragend (Dirigent: Kent Nagano, Regie: Christine Mielitz; siehe Bild auf der vorigen Seite). Ruzickas „Insel”-Dramaturgie – für bestimmte Werkreihen ist jeweils eine „Insel” reserviert – bietet auf einem zweiten Eiland drei große Mozart-Opern mit Nikolaus Harnoncourt als Dirigenten und Martin Kusej als Regisseur. Der „Don Giovanni” liegt vor und hinterließ unterschiedliche Eindrücke: Die Frage bleibt, inwieweit man das Stück aus seinem Faltenwurf lösen kann, ohne dabei in ein nur noch abstraktes Figurenspiel zu geraten, dessen Perspektiven flach erscheinen. Vokal und orchestral besaß die Aufführung absolut Festspielformat. Zu begrüßen ist auch, dass Ruzicka in Salzburg einmal die Probe auf den späten antikischen Richard Strauss ansetzt, auf „Daphne”, die „Ägyptische Helena” und zum Entree auf „Die Liebe der Danae”, deren „Heitere Mythologie” Günther Krämer mit elegantem Witz und viel Hintergrundwissen in die geschichtsträchtigen Entstehungszeiten des Werkes – 1944 Generalprobe im „Totalen Krieg”, 1952 Urauffürhung in Salzburg, 2002 Neuinszenierung für Salzburg nach fünfzig Jahren – verlegte. Auch musikalisch (Dirigent: Fabio Luisi, Dresdner Staatskapelle) erscheint das Werk heute doch um einiges interessanter und mehrschichtiger als bisher in oberflächlich pauschaler Beurteilung angenommen. Dass Ruzicka nach der Mortier-Abstinenz wieder Puccini für Salzburg vorsieht, ist künstlerisch nur zu begrüssen. Wenn ein Luciano Berio es als Ehre und Herausforderung betrachtet, das fragmentarische Finale neu zu komponieren, sagt das eigentlich genug über die Bedeutung des Komponisten Puccini: Berios Komposition greift mit hoher Sensibilität den musikalischen Gestus der „Turandot”-Musik auf, was dazu zwingt, auch die von Puccini stammenden Akte auf Berios Imaginationen hin zu gestalten. Valery Gergievs Neigung zum exzessiven Fortissimo-Spielen steht solcher kontrollierten Klang-Form-Gestaltung leider ziemlich entgegen. In den Konzerten erschien der Anteil moderner Komponisten vergleichsweise klein. Immerhin präsentierten sich in der Konzertreihe „Austria Today“ ein halbes Dutzend junger und nicht mehr ganz so junger östereichischer Komponisten.
Georg Friedrich Haas‘ Ensemble-Stück „in vain” ist einfach ein grandioses Werk, ist grosse Musik. Darüber und über die Lachenmann-Werkschau am Ende der Salzburger Festspiele wird noch umfassend zu berichten sein.