Bis in die 1970er gab es das Textbuch zu „Doktor und Apotheker“ beim Stuttgarter Reclam-Verlag, 1995 erschien noch eine CD-Einspielung mit der Rheinischen Philharmonie unter James Lockhart. Dann wurde es lange Zeit still um das 1786 von Kaiser Joseph II. angeordnete Singspiel für das Deutsche Nationaltheater zu Wien, welches als Parallelsparte zum vorrangigen italienischen Operntypus etabliert werden sollte. Carl Ditters von Dittersdorf zeigte sich – wie Mozart in seiner „Entführung aus dem Serail“ vier Jahre früher – eher als ein Anhänger ‚realistischer‘ Stoffe. Die Oper Frankfurt bringt im Bockenheimer Depot das früher als Vorläufer der Dialogopern Albert Lortzings geschätzte Stück „Doktor und Apotheker“ mit hochklassiger musikalischer Leistung und achtsamer Regie.

v.l.n.r. Lubov Karetnikova (Rosalie), Elizabeth Reiter (Leonore), Kelsey Lauritano (Claudia), Božidar Smiljanić (Apotheker Stößel) und Peter Marsh (Hauptmann Sturmwald). Foto: Barbara Aumüller
Frankfurter Idyll frei nach Noten aus Wien: „Doktor und Apotheker“ im Bockenheimer Depot
„Doktor und Apotheker“ fiel wie andere Singspiele von Carl Ditters von Dittersdorf komplett aus dem Spielplan. Die Bemühungen des Rosenheimer Dirigenten Georg Hermansdorfer um Dittersdorf‘ „Hieronymus Knicker“ und „Die lustigen Weiber aus Windsor“ liegen über zehn Jahre zurück und lenkten keine Neugier subventionierter Bühnen oder spezialisierter Orchester auf den Mozart-Zeitgenossen aus Wien. Dabei haben Dittersdorf’ Sinfonien nach den Metamorphosen des Ovid bei Fans der Alten Musik Kultstatus. Generell steht das Nachlassen des Interesses an „Doktor und Apotheker“ in Zusammenhang mit dem Verschwinden Albert Lortzings von den Bühnen und vor allem internationalen Repertoire-Verschiebungen. Für heutiges Publikum sind Diven-Dramen von Händels „Agrippina“ bis Donizettis „Roberto Devereux“ charismatischer als Genrebilder aus der deutschsprachigen Vergangenheit wie Lortzings „Waffenschmied“ oder eben „Doktor und Apotheker“.
Im Bockenheimer Depot machte das Singspiel Erfolg mit Fragezeichen. Ute M. Engelhardt holte mit ihrer Regie das Zeitstück Johann Gottlieb Stephanies d. J. Über die verfeindeten Titelfiguren und die Liebesgeschichten von deren Kindern aus den 1780er Jahren in die deutsche Kaiserzeit von 1890. Engelhardt hatte in ihrer Dialogbearbeitung liebevoll den Aspekt verdichtet, dass die Apothekergattin Claudia ein Plädoyer für das Frauenrecht auf freie Gattenwahl setzte. Kaspar Glarner zeigte mit Federzeichnungen idyllischer Landschaften, des Frankfurter Römer mit Justitia-Brunnen und bürgerlichen Interieurs, dass es mehr um liebevolle Ironie ging als um messerscharfe Satire. Dieser Versuch einer Verschiebung des Singspiels ins 19. Jahrhundert ging nicht ganz auf. Zur Pause der zweiten Vorstellung verließen so viele Zuschauende das Bockenheimer Depot wie sonst nur bei spröder Neuer Musik. Die eigene bürgerliche Vergangenheit zieht im Theater offenbar nur noch bei „Die Meistersinger von Nürnberg“ oder „Der Raub der Sabinerinnen“.
Einmal mehr kommt es dagegen zu einer Glückserfahrung mit dem Frankfurter Musiktheater-Ensemble. Dieses erbringt unter Engelhardts erfolgreicher Dialogregie einen glänzenden Beweis dafür, dass ausgedehnte Sprechtexte mit internationalen Sängerbesetzungen gut gelingen können. Die Arbeit und die Ausführung an den Dialogen waren überaus sorgfältig, genau und achtsam. Geringfügige Akzente von Nicht-deutschen Interpretierenden wirkten liebenswert und verstärkten den von der Regie beabsichtigten Verfremdungseffekt.
Alden Gatt entschied sich am Pult zu einem dichten Klang aus dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester ohne klischeehaftes Singspiel-Getändel: Dittersdorf wird ernst genommen als avancierter Komponist der Goethezeit jenseits höfischer Galanteriewaren und mit Standvermögen neben Salieri und Mozart. Gatt gestaltet das chorlose Stück mit kraftvoll akzentuierter Schmiegsamkeit. An der Spitze des Ensembles steht Thomas Faukner als Doktor Krautmann mit einer für das Singspielgenre typischen Selbstbeweihräucherungsarie. Sein Pointenstück am Telefon, also einer Frankfurter Erfindung, ist ein naheliegender Regieeinfall. Andrew Bidlack als Sichel, einer der beiden Mädchenjäger, hat einen ausdrucksstarken lyrischen Tenor, während Michael Porter als Gotthold mehr für die sentimentalen Mozartfarben einsteht. Božidar Smiljanić macht sich gut als polternder Apotheker Stößel. Kelsey Lauritano setzt als Claudia mit pointierter Eleganz die rhetorische Petitionsoffensive nach Frauenrechten. Elizabeth Reiter als Leonore und Lubov Karetnikova als Rosalie brillieren passgenau für das lyrisch-muntere Liebhaberinnen-Doppel. Peter Marsh als Hauptmann Sturmwald erfährt von Engelhardts Regie nicht viel Sympathie, Sakhiwe Mkosana als Polizeikommissär weitaus mehr.
Die fürsorgliche Betulichkeit der Szene zeigt indirekt vor allem die hohe Skepsis des gegenwärtigen Musiktheaters gegen Dialogopern. Zum Nachspielen durch andere Bühnen inspiriert der respektvolle Zugriff dieser Produktion kaum. Pluspunkt der Aufführung ist der erfreulich hohe und beglückend intensive Einsatz auf der musikalischen Seite.
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