„Acht Brücken“ in seiner aktuellen Ausgabe ist nicht das erste Festival, welches sich der Wechselbeziehung zwischen Musik und Sprache verschreibt. Das Thema hat Dauerkonjunktur und daher gibt es dafür in Köln alles Erdenkliche zu sagen – egal ob verbal, nonverbal, in vokalen oder instrumentalen Lauten und Klängen. Ein solch vielschichtiger Mix lohnt noch bis zum 7. Mai die Anreise.
Klug ziehen die Macher des Acht-Brücken-Festivals alle Register, um den Standortfaktor einer Musikmetropole (sprich aufgeschlossenes Publikum) auszunutzen. Der Mai beginnt traditionsgemäß mit dem Freihafen: Hier kann in Neues eingetaucht werden ohne das „Investitionsrisiko“ eines Eintrittspreises. Das soll möglichst vielen endlich „den Blumenkohl aus den Ohren treiben“, wie Stefan Meier, Dirigent vom Kölner „Neuen Ensemble“ das Anliegen treffend umschrieb.
Eines fiel auf an diesem ersten Mai: Die besonders eindringlichen, auch mal aufbegehrenden Klänge gingen zu einem großen Teil auf das Konto der weiblichen Tonsetzer-Zunft. Einen hellwachen Einstieg an diesem Morgen besorgte die Südkoreanerin Unsuk Chin, die als „Composer in Residence“ in Köln gebucht ist. Ihr Werk „Achrostichon“ fasziniert nach wie vor durch eine atmende Klangsprache und ein federleichtes Spiel mit Silben und anderen Sprachfragmenten. Sopranistin Vereh Suh erwies sich als bestens motivierte Interpretin, die den leichtfüßigen Humor dieser Komposition zum Leben erweckte.
„Im Fall“ befinden sich Sprachen und Klänge in Isabel Mundrys gleichnamigem neuem Stück. Die zeitlose Kraft antiker Mythen ist das Grundmaterial. Die Dekonstruktion von Sprache setzt sich hier in der Auflösung funktionaler Rollenverteilung im Orchester fort. In diesem Fall setzte das Ensemble Modern sämtliche Ideen reaktionsschnell um. Zusammen mit der britischen Mezzosopranistin Allison Cook entbrannte ein hitziger Wettstreit zwischen explosiven Gesangs-Crescendi und den wuchtigen Instrumentaleinsätzen. Noch etwas ist hier anders als sonst üblich: Die Textfragmente (eine antike Schilderung über das Orakel von Delphi) werden zunächst von den Orchestermitgliedern skandiert, bevor Allison Cook deren expressive „Musikalisierung“ sozusagen darüberlegt. Und dann überlässt sogar der Dirigent das Orchester sich selbst, damit dieses eigenmächtig die Zeitmaße bestimmt.
„Maschinenästhetik“ zwischen futuristischer Überhöhung und Zivilisationskritik kommt von Ying Wang, deren neues Stück ROBOTICtack im Sendesaal des WDR zur Uraufführung kam. In harscher Emphase, mit wütenden Instrumental-Impulsen, schneidenden Elektronik-Sounds und überhöht von der Altistin Noa Fraenkel schleudert dieses Stück Parolen zur künstlichen Maschinen-Intelligenz und technischen Herrschaftsrationalität heraus. Das pendelte zwischen futuristischer Ästhetisierung im Sinne von Marinetti und Co. und harscher zugleich relevanter Kapitalismuskritik. Man fragte sich an diesem Punkt, warum doch verhältnismäßig wenige Gegenwarts-Komponisten Frontstellung zu gesellschaftlichen Fragestellungen nehmen, was ja auch schon mal anders in der Geschichte der Neuen Musik war. Ist ein Cocooning im Artifiziellen die Befindlichkeit unserer Zeit?
Zeitlose, in sich ruhende Töne schlug in Köln ein bereits zum Klassiker gewordenes Werk von Helmut Lachenmann an. Hier wird die visionäre Sprachgewalt einer philosophischen Reflexion über das Streben nach Erkenntnis von Leonardo da Vinci durch experimentelle, manchmal latent dadaistische Verfahren zerlegt, durchaus den Verfahren eines Ernst Jandls nicht unähnlich. Helmut Lachenmann selbst rezitierte die Wörter und Silben und agierte in nobler Bescheidenheit als Ensemblemitglied von vielen. Grandios ließ das orchestral besetzte Ensemble Modern diese Sprachkunst mit regelrecht physikalischen akustischen Zuständen, geräuschhaften Aktionen, Streicherglissandi und Donnerschlägen reagieren. Einmal mehr ein Werk, das auch ein Vierteljahrhundert nach seinem Entstehen nichts von seiner Frische eingebüßt hat! Dass ein wirklich treffsicher gemachtes Werk aus dem „klassischen“ Kanon der Neuen Musik locker jeder aktuellen Uraufführung das Wasser reichen kann und damit zeitlose Überlegenheit ausstrahlt, bewiesen zudem die Aventures von Györgi Ligeti. Wer dies gut interpretiert, straft jedes Klischee von hermetischer Introvertiertheit Lügen, denn diese Abenteuer lassen sehr unmittelbar den Funken beim Publikum über springen. Drei Sänger zaubern eine skurille Aura mittels phonetischer Lautpoesie, tonlosen Urlauten, allerhand schräger Mimik und Gesichtsausdrücke und situationskomischer Improvisation. Die Instrumentalisten beantworten dies, während Stefan Meier am Dirigentenpult die Fäden einer feinsinnigen, fast poetischen Dramaturgie kunstvoll zusammenlaufen ließ. Alice Rossi, Sopran, Kai Wessel, Countertenor und Peter Schöne hatten auf jeden Fall sichtlich Spaß dabei, der sich aufs Publikum übertrug.
Wenn man an den extrovertierten Performance-Aspekt denkt, agierten wiederum zwei weibliche Künstlerinnen vorbildlich: Mitten im gut gefüllten Foyer zerlegte Alice Rossi das Lautgedicht ihres Landsmannes Luciano Berio in einem wilden Feuerwerk aus Silben, Gesten, Urlauten, Lyrismen, Melismen, grotesken Gesichtsausdrücken. Mit ähnlich selbstbewusster Konsequenz und einem guten Sinn für die Bespielung des Raumes agierte die Geigerin Jenna Sherry in einem Solostück, wo allerhand bizarre klangliche Ausforschungen auf der Violine per Loopgerät effektvoll im Raum vervielfältigt wurden. Das zugrundeliegende Stück „Double Bind“ von Unsuk Chin entfaltete daher einmal mehr jene spontane Aura, als würde die Musik jetzt erst gerade erst in diesem Moment entstehen.