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Una cosa rara: Monika Reinhard, Jonas Böhm. © Christina Iberl
Una cosa rara: Monika Reinhard, Jonas Böhm. © Christina Iberl
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In gemalter Kulisse – Vicente Martín y Solers Oper „Una cosa rara“ in Meiningen

Vorspann / Teaser

Am Staatstheater Meiningen wird die Inszenierung von Vicente Martín y Solers Oper „Una cosa rara“ gefeiert, die Andreas Baesler inszeniert und Markus Lüpertz ausgestattet hat.

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Seine Begeisterung für die Oper kann Markus Lüpertz nicht nur in Worte fassen. Er kann sie vor allem auch mit seinen Mitteln so umsetzen, dass der Funke aufs Publikum überspringt. Wie jetzt im Staatstheater Meiningen, wo er vor drei Jahren mit „La Bohème“ schon sein Debüt als Regisseur in eigener Ausstattung gegeben hatte. Die Spielplanstrategie, die Intendant Jens Neundorff von Ensberg für das Thüringer Traditionshaus verfolgt, spiegelt unverkennbar eine Affinität zur Bildenden Kunst wider. In der kommenden Spielzeit wird der als Maler und Regisseur gleichermaßen etablierte Altmeister Achim Freyer wieder in Meiningen inszenieren. Auch Tony Cragg wird sich hier mit Rameau das erste Mal als Bühnenbildner auf dem bislang für ihn fremden Terrain bewegen. Dazu kommt die aktuelle „Una cosa rara“-Inszenierung von Andreas Baesler, die jetzt über die Bühne ging. Für einen nachhaltigen Eindruck sorgte in diesem Falle die Ausstattung, die Markus Lüpertz beigesteuert hat. 

Mit der Oper des 1754 in Valencia geborenen und 1806 in St. Petersburg gestorbenen Mozartzeitgenossen Vicente Martín y Soler waren Baesler und Lüpertz schon 2018 in Regensburg erfolgreich. Für das Meininger Publikum ist es ein Glücksfall, dass die Inszenierung die Coronazwangspause überlebt hat und sich jetzt für Meiningen reaktivieren ließ. 

Von heute aus gesehen bleibt es erstaunlich, dass es dem Schäferspiel des Spaniers gelang, im Uraufführungsjahr 1786 sogar Mozarts „Figaro“ vom Wiener Spielplan zu fegen. Sie war ein Ereignis, das sogar die Mode zeitweise beeinflusste. Die Rückendeckung des opernaffinen Kaisers Joseph II. mag da eine Rolle gespielt haben, dem waren es bei Mozart ja bekanntlich zu viele Noten.

Eine Überforderung ist die Musik von Soler tatsächlich nicht. Sie reißt aber in ihrem Schwung mit, ist melodisch eingängig, macht Freude und spiegelt wohl den Zeitgeist in Wien genauer wider als Mozart. Der war nun mal seiner Zeit immer etwas voraus, hat jedenfalls mehr den Nerv der Nachwelt getroffen, als Zeitgenossen wie Antonio Salieri oder eben Vicente Martín y Soler. 

Wie das Ranking heute ausfällt, ist eindeutig. Gleichwohl ist es reizvoll, einmal nachzuprüfen, warum Leporello beim nächtlichen Festmahl im „Don Giovanni“ der Bühnenmusik zuruft „Bravi! Cosa rara!“ als sie ein Motiv aus genau dieser Oper spielt. Vielleicht war es auch nur die Quittung dafür, dass der konkurrierende Kollege in seiner für den Moment beim Publikum siegreichen Oper seinerseits das Motiv von Cherubinos „Voi che sapete“ hatte anklingen lassen. 

Lorenzo Da Ponte lässt auch in dem Libretto, das er für „Una cosa rara“ verfasst hat, den Zeitgeist nicht völlig beiseite. Dass die Reichen und Mächtigen (die Königin und der Infant) sich hier eine idyllische Scheinwelt unter Schäfern imaginieren, die Männer des Adels aber bei dieser spielerischen Realitätsverweigerung gleichwohl ihren (männlich übergriffigen) Moralvorstellungen anhängen, hat schon gesellschaftskritisches Potenzial. Dass aber alle Avancen in dieser Richtung an der Treue der einfachen Bauerin zu ihrem Bräutigam scheitern, ist ein Quantum Hoffnung auf eine neue Zeit. Wobei die Anfälle von Eifersucht bei den Männern aus dem einfachen Volk auch da Konfliktpotenzial andeuten. Insgesamt kommt das aber nicht an das Aufscheinen einer großen Zeitenwende, die wir heute gemeinhin Mozarts „Figaro“ zuschreiben heran. 

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Una cosa rara: Jonas Böhm, Emma McNairy, Mykhailo Kushlyk, Tomasz Wija, Tobias Glagau © Christina Iberl
Una cosa rara: Jonas Böhm, Emma McNairy, Mykhailo Kushlyk, Tomasz Wija, Tobias Glagau. © Christina Iberl
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Wenn Emma McNairy als Königin Isabella mit dramatischer Verve in einer fulminanten Arie darüber nachsinnt „Warum darf nicht jeder sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen?“ hat sie zwar aus der Perspektive einer ins höfische Zeremoniell und die diversen Heiratsstrategien des Hochadels eingebundenen Frau sogar recht. Verglichen mit der realen Lage der Bauern aber bleibt das ein Luxusproblem. Dass ein junges Mädchen (Monika Reinhard ist diese begehrte Lilla) den Infanten (trotz des verführerischen Tenorschmelzes von Mykhailo Kushlyk in dieser Rolle) abblitzen lässt, ist aber eher eine Wunschvorstellung. Zusammen mit Freundin Ghita (Sara-Maria Saalmann ist die leichtfüßig frechere der beiden) schneiden die beiden in dem Intrigenspiel an der Seite ihrer Männer (Jonas Böhm als Lupine und Tomasz Wija als Tita) am Besten ab. Während der Prinz und der ebenfalls in die tugendhafte Lilla verliebte Höfling Corrado (Tobias Glagau) am Ende dumm aus der Wäsche gucken. Nicht zuletzt, weil die Königin auf der Seite der Frauen eingreift, insgesamt also kein Mangel an Frauenpower besteht. Wenn man so will, steckt auch in der heute vergessenen Konkurrenzoper zum „Figaro“ etwas Modernes. Mit erdigem Bass komplettiert Selcuk Hakan Tiraşoğlu als Bürgermeister (und abblitzender Heiratskandidat) das Ensemble. Das wird von Chin-Chao Lin und der lustvoll aufspielenden Hofkapelle durchweg animierend auf Hände getragen. 

Neben der Musik sind natürlich die Bühne und Kostüme von Lüpertz die Stars des Abends. Er hat mit kräftigem Pinselstrich eine Kulisse gemalt, die nicht nur illustriert, sondern das künstliche der Situation mit seinem Bekenntnis zur ästhetischen Eigenständigkeit dieses Teils des Gesamtkunstwerkes bewusst aufgriffen. Vom stilisierten hohes Halbrund aus dichten, dunklen Bäumen mit verschiedenfarbigem Himmel dahinter, über die großen und kleinen zweidimensionalen Wildschweine (von denen eins vom Pfeil der jagenden Königin getroffen wird), über die Schäferpappkameraden und das Häuschen auf der Drehbühne bis zu den opulent farbenfrohen Kostümen. Optisch ist das ein Fest. Und trifft die gemeinte Illusion von Arkadien haargenau. Für den Regisseur ist das eine Steilvorlage zu einer perfekt sitzen Personenregie auch die stilisierte Gestik eines höfischen Alsob-Zeremoniells offensiv ausspielt. Sogar mit Elementen von Selbstironie: wenn der Prinz in einer Szene mit Schürze und freiem Oberkörper zum Pinsel greift, als wäre er das Alter Ego eines Malerfürsten. Man kann sich selbst aussuchen, welcher da gemeint ist. 

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