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Foto: http://www.zufluchtkultur.de/
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„Gottverdammtes Leben im Heim der Asylanten“ – „Così fan tutte" mit syrischen Flüchtlingen im Radialsystem Berlin

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Ein freies Opernprojekt hatte auf der Suche nach einem Ort zur Einstudierung von Mozarts Oper das Franziskanerkloster Oggelsbeuren im schwäbischen Biberach gefunden. Da dort seit Mai 2014 auch syrische Flüchtlinge untergebracht sind, entstand spontan die Idee, die Spielhandlung in einem Asylheim anzusiedeln, und sukzessive wurden die Flüchtlinge auch aktiv in das Projekt integriert. Die Produktion der „Zuflucht Kultur e. V.“ gastierte jetzt im Berliner Radialsystem.

Den Chor, der in Mozarts „Così fan tutte“ zweimal zum Einsatz kommt, konnte die Gruppe der syrischen Flüchtlinge nicht übernehmen. Stattdessen erklingen in dieser Produktion die beiden Chorsätze nur orchestral, wenn auch textlich übertitelt. Die syrische Formation von Männern, Frauen und Kindern singt stattdessen unisono „Yanna, Yanna“, die Adaption eines irakischen Liedes, das im Original zur Ermordung von Minderheiten auffordert. Diese Tatsache, die der Übertitelung nicht zu entnehmen ist, stach bei der Aufführung in Berlin lebenden Syrern unangenehm auf. Dieselbe Ambivalenz, wenn auch politisch weitaus ungefährlicher, erfüllt bekanntlich auf breite Strecken Mozarts Partitur, wenn sie inhaltliche Lügen als musikalisch reine Überzeugungen transportiert.

Nach dem, vom Orchester mit Streicherorgelpunkt ostinat gestützten, textlich auf die Freiheit Syriens umgemünzten Agitationsgesang gab es Standing Ovations – der Betroffenheit.

Auch am Ende der Aufführung rufen die auch für Bühnenhilfsdienste eingesetzten syrischen Flüchtlinge, inzwischen allerdings kaum mehr dieselben wie bei der Premiere dieser Produktion im Oktober vergangenen Jahres im Theaterhaus Stuttgart, für den Frieden in Syrien auf. Das kombinieren sie mit dem Dank an Deutschland für ihre Aufnahme und mit der Bitte um Wahrung des Friedens hierzulande.

Vor Beginn der Aufführung sind es in einem anderen Raum des Radialsystems syrische Gedichte zu hören, gefolgt von einer kleinen, laienhaften Szene, und ergänzt durch eine Ausstellung von Malerei syrischer Künstler.

Die Inszenierung von Bernd Schmitt überträgt den Ansatz von Peters Sellars „Così“ in einer Auto-Raststätte auf den Vor- und einen Schlafraum eines Asylantenheims, von Bühnenbildner Thomas Pfau entworfen und von syrischen Handwerkern umgesetzt.

Alfonso und Despina sind die deutschen Aufseher, welche ein böses Spielchen mit zwei syrischen Liebespaaren treiben, inklusive der Umerziehung auf westliche Kommerzwerte: die beiden Damen legen zunächst ihre Kopfschleier ab, lernen auf Stöckelschuhen zu laufen und kleiden sich zur Hochzeit westlich. In der Aufführung in italienischer Originalsprache singen Despina und Alfonso miteinander deutsch, ebenso bei Aparts und Alfonso in seiner Arie. Da finden dann auch textliche Aktualisierungen ihren Platz. So stöhnt Despina: „Gottverdammtes Leben im Heim der Asylanten“, und sie lässt die beiden Schwestern ihre Philosophie auf Deutsch nachsingen: „Leben wir eben nur so zum Spaß!“ Als angeblicher Notarzt bringt sie bei den Scheintoten statt eines Magneten einen „Defibrillator der neuesten Bauart“ zum Einsatz.

Despina knabbert an den Lebensmitteln für die Asylanten, und Fiordiligi trampelt wütend auf den zu Boden geworfenen Lebensmittelkartons herum. Dass sich diese dabei als leer erweisen, war wohl nicht als Kritik intendiert. In den Doppelstockbetten, wo zunächst Guglielmo mit Dorabella, später Ferrando mit Fiordiligi landet, endet der erste Akt mit einer Kissenschlacht.

Dass die beiden dann auch im Blau des Aufsichtspersonals gedressten, im Spiel vorgeblich deutschen Männer mit den im Spiel syrischen Schwestern auf Italienisch singen, erweist sich als kleine dramaturgische Ungenauigkeit. Einzige Maskierung von Guglielmo und Ferrando sind dunkle Sonnenbrillen; wenn von Schnurrbärten gesungen wird, legen die Beiden ihre Gürtel ab.

Der musikalische Leiter Garrett Keast hat die Streicher des Kurpfälzischen Kammerorchesters Mannheim und nicht immer intonationsexakte Bläser der Stuttgarter Symphoniker zur Einheit formiert, die links neben der Bühne postiert ist. Der Dirigent badet detailverliebt in Schönheiten und vermag, wie auch der Cembalist, idiomatisch Verwandtes zu Mozarts anderen da Ponte-Opern anklingen zu lassen.

Die jungen Sänger obsiegen mit Spielfreudigkeit und guten gesanglichen Leistungen, so Gabriel M. Banda als Don Alfonso und Florian Götz als Guglielmo, weitaus weniger jedoch die Initiatorin Cornelia Lanz in der Partie der Dorabella. Überdurchschnittlich hingegen die beiden Sopranistinnen: Anne Wieben als Fiordiligi wartet mit lupenreinem Gesang und schönen Decrescendi auf, und Julia Chalfin überzeugt als eine dramatisch singende Despina mit drallem Spielwitz. Auch Yongkeun Kim als Fernando lässt kaum tenorale Wünsche offen.

Am Ende – unter der Übertitelung „Frieden für Syrien“ – viel Applaus für die politisch übergreifend von der Friedrich-Naumann-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung subventionierte Produktion.

Wer sollte auch etwas gegen eine Friedensforderung einzuwenden haben.

  • Weitere Aufführung: 22. Februar 2015.

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