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Caterina Meldolesi, Dong-Won Seo, Anton Kuzenok, Renatus Mészár, Almerija Delic, Chor und Extrachordes Theaters Hagen. Foto: © Matthias Jung.

Caterina Meldolesi, Dong-Won Seo, Anton Kuzenok, Renatus Mészár, Almerija Delic, Chor und Extrachordes Theaters Hagen. Foto: © Matthias Jung.

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Großes Schach am Theater Hagen mit Giuseppe Verdis „Don Carlos“

Vorspann / Teaser

In seiner jüngsten Operninszenierung am Theater Hagen hat Francis Hüsers einen geschickten Schachzug gemacht. Und dies im wahrsten Sinn des Wortes. Denn Giuseppe Verdis „Don Carlos“ spielt ... auf einem Schachbrett! In Schwarz und Weiß und mit lebenden Figuren. Die spielen, was gemeinhin als „königliches Spiel“ bezeichnet wird und viel mit Strategie zu tun hat, um die je eigenen Ziele zu erreichen, letztlich zu gewinnen. Es geht um Krieg und Frieden, um Sieg und Niederlage. Und darum, wie dergleichen zu erreichen ist – und um welchen Preis, mit welchen Opfern.

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Nun ja, das erste Opfer präsentieren Verdi und seine Librettisten Joseph Méry und Camille Du Locle gleich zu Beginn, wenn Elisabeth de Valois um des lieben Friedens zwischen Frankreich und Spanien willen sich zur Ehe mit Philipp II. Bereit erklärt. Der ursprüngliche Plan war ganz anders: Elisabeth wollte niemand anderen als Philipps Sohn Don Carlos – der somit der zweite Leidtragende ist. Er verliert seine innigst Geliebte, ausgerechnet an seinen Vater! Das ist bitter. Menschliche Gefühle bleiben auf der Strecke, weil es um den Primat machtpolitischer Interessen geht. Diese werden vehement vertreten in Gestalt des Großinquisitors, der seinen Einfluss auf König Philipp II. Gnadenlos geltend macht. Ein finsterer Geselle auf dem Schachbrett, in Schwarz gehüllt mit großem Kreuz auf dem Haupt, Repräsentant der Macht der Kirche. Philipp II. – auch er mit einem Kreuz gekrönt, aber in Weiß und Oberhaupt der weltlichen Macht. Zwischen diesen beiden Polen bewegt Regisseur und Intendant Francis Hüsers das gesamte Szenario der gut vierstündigen Oper (gespielt wird die fünfaktige Urfassung von 1865 für die Pariser Opéra, hier noch geringfügig erweitert), wobei dank der Schwarz-Weiß-Schematik stets sehr sinnfällig wird, wenn jemand quasi die Seiten wechselt oder dazu genötigt wird. Don Carlos wird zur Hälfte schwarz, als er gegen seinen Vater rebelliert; Rodrigo wechselt etwas Schwarz gegen etwas Weiß, als Philipp ihn zu seinem Vertrauten macht. Mitunter verschwimmen die klaren Grenzen und auch das Spiel auf der Bühne, das Agieren der Figuren löst sich aus der vorherrschenden Statik, wie sie realen Schachfiguren sonst eigen ist.

Statik bleibt indes weitgehend das Bestimmende in Hüsers Personenregie. Kommunikation läuft „nur“ über das gesungene Wort, egal ob Vorwürfe, Anklagen, Zuneigung, Wertschätzung oder Hoffnung formuliert werden. Intimer und gefühlvoller wird es nur gelegentlich ... Und am Ende? Eigentlich zeigt es die Flucht Don Carlos’ aus dem Kloster Saint Just, in dem er sich ein letztes Mal mit Elisabeth trifft und beide sich voneinander verabschieden. Francis Hüsers lässt beide fliehen! Und Philipp II. Und der Großinquisitor sehen rat- und tatenlos zu. Auch eine Option!

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Ofeliya Pogosyan, Caterina Meldolesi, Almerija Delic. Foto: © Matthias Jung

Ofeliya Pogosyan, Caterina Meldolesi, Almerija Delic. Foto: © Matthias Jung

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Dieses Schach-Konzept geht auf und trifft sich bestens mit der Qualität des Gesangs und des Orchesters – mit kleinen Abstrichen. Vor allem ist diese Inszenierung ein Beweis für die enorme Leistungsfähigkeit des Theaters Hagen, eines mittelgroßen Hauses, dem man solche „Brocken“ nicht unbedingt zutraut. Aber Mut und Kraft hat das Team in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, etwa mit Wagners „Parsifal“ und dem „Tristan“, auch mit Schostakowitschs „Lady Macbeth“. Jetzt, beim „Don Carlos“, punkten Solist:innen-Ensemble, Opernchor und das von Joseph Trafton geleitete Orchester abermals mit formidablen Klängen. Vor allem Almerija Delic überzeugt ohne jede Einschränkung als Prinzessin Eboli (Höhepunkt: ihr „Ô don fatal et détesté“), auch Kazuki Yoshida erweist sich in der Titelrolle als energiegeladener und konditionsstarker Tenor, könnte allerdings dynamisch ein wenig mehr schattieren. Caterina Meldolesi ist Carlos’ Geliebte Elisabeth, der sie ein vielschichtiges Profil verleiht und überragend ihr „Toi qui sus le néant des grandeur de ce monde“ im fünften Akt gestaltet. Gleichwohl dürfte auch sie – wie Kazuki Yoshida – sich noch ein klein wenig mehr um differenziertere Dynamik bemühen. Renatus Mészár vermag dem Philipp, der alle Fäden in den Händen halten will, durchaus Statur zu geben, die sensiblen Seiten dieser zentralen Figur bleiben eher angedeutet, wenn auch mit kernigem, resonanzstarkem Bassbariton geformt. Insu Hwang als Marquis Posa singt tadellos – wird von der Regie aber weder als emotionaler Freiheitskämpfer noch als eifernde Hofschranze gezeigt. So bleibt er in seiner Rolle eher blass.

Alle übrigen Partien sind gut besetzt, GMD Joseph Trafton steht vor einem feinen Orchester, dreht es mitunter nur etwas zu weit auf – was in dem nicht gerade großen Hagener Theater gar nicht nötig wäre.

Alles in allem eine ganz ausgezeichnete Gesamtleistung, die mit heftigem, lang anhaltendem Premierenbeifall belohnt wurde. Wie gesagt: für ein Haus wie Hagen ist so ein „Don Carlos“ alles andere als selbstverständlich. Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass dem Theater seit Jahren die finanzielle Daumenschraube angelegt wird. Man fragt sich einmal mehr: wie schaffen die das eigentlich? Aber: die schaffen das!

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