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Herzschläge und Existenzen am Rande

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Zum diesjährigen Musikprotokoll im Steirischen Herbst
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Das Musikprotokoll im Steirischen Herbst lotet seit Jahren die existenziellen Randlagen unseres gegenwärtigen Musikbewusstseins aus. Hier ist es Vorreiter auf einem Terrain, auf das sich andere Festivals mit Neuer Musik noch längst nicht trauen. Vielleicht ist es die Umgebung, die Integration in andere zeitgenössische Kunstbestrebungen wie bildende Kunst, Theater, Literatur, die längst nicht mehr die Scheuklappen kennen, die es bei der Musik offensichtlich noch gibt. Mit dem sanktionierten Verlauf von zeitgenössischen Musikfestivals will der Leiter Christian Scheib jedenfalls schon lange nichts mehr zu tun haben.

Das Musikprotokoll im Steirischen Herbst lotet seit Jahren die existenziellen Randlagen unseres gegenwärtigen Musikbewusstseins aus. Hier ist es Vorreiter auf einem Terrain, auf das sich andere Festivals mit Neuer Musik noch längst nicht trauen. Vielleicht ist es die Umgebung, die Integration in andere zeitgenössische Kunstbestrebungen wie bildende Kunst, Theater, Literatur, die längst nicht mehr die Scheuklappen kennen, die es bei der Musik offensichtlich noch gibt. Mit dem sanktionierten Verlauf von zeitgenössischen Musikfestivals will der Leiter Christian Scheib jedenfalls schon lange nichts mehr zu tun haben.Wir lügen uns in die Tasche, so seine Überzeugung, wenn wir wieder und wieder das Konzertritual auf die Bühne hieven und es mit neuen und meist im schnellen Alterungsprozess ergrauenden Werken füllen. Qualität im musikalisch strukturellen Sinn mache keinen Sinn, wenn sich die Sensorien ihr gegenüber mehr und mehr verschließen. Die Sensorien aber sind umlagert von den schnellen Cuts der Videoclips, von hämmernd synthetischen Rhythmen über Walkmans oder in Discos, vom immer hektischeren Informationsfluss über Medien wie das Internet, von der unübersichtlichen Vermischung realer und virtueller Erfahrungsebenen. Kunst aber, die an eines ihrer Enden gekommen ist, bricht um. Musik, die auf diesen Zustand nicht reagiert, sei es nun affirmativ im Spiel mit den neuen Möglichkeiten, sei es im kritischen Eingriff, in der Verweigerung, verliert zunehmend ihre Existenzberechtigung. Das Subjekt hat sich unter diesen Bedingungen neu zu definieren, neu zu finden.

Das aber ist nicht leicht. Die „soziale Dimension von Klangwellen“ wollte das Musikprotokoll in diesem Jahr in polarer Positionierung zur Diskussion stellen. Das hieß auf der einen Seite Konzerte zu installieren, die in extremen Ansätzen das Ritual andachtsvoller Passivität des Zuhörens aufbrechen, auf der anderen Seite wurden Erlebniswelten entworfen, die sich durch Umfeld und Art dem Begriff des präponierten Werks fundamental entziehen.

So machte das Arditti Quartet vor allem mit Stücken von Jakob Ullmann, Klaus Lang und Walter Zimmermann einen Gang hin zum sensitiven Verweigerungsprozess. Töne oder Tongeräusche im Randbereich zwischen Wahrnehmung und Stille, zwischen Erklingen und Schatten, Vergessen, schlammiger Eintrübung, eroberten sich ein Existenzrecht zurück, um das auch jedes Individuum in zunehmender massenhafter Umlagerung ringt. Das Wesen, mithin das Wesentliche, bewegt sich am Rande: Da, wo kein vereinnahmender Eingriff stattfindet. „Die beste Art Fisch zu kochen ist, ihn nicht zu kochen“, gab zum Beispiel Klaus Lang seinem Stück „sei-yaku“ poetisch erläuternd mit auf den Weg. Für das ästhetische Produkt heißt das, dass die Substanz im geschärften Blick auf das Unverstellte, auf das nackt Einfache ruht. „Wer ein Stück Baumrinde begreift, hat die Welt begriffen“, hat der späte Luigi Nono einmal erläutert. Musik dieser Art lässt erleben. Der Komponist lädt sie nicht auf mit subjektiv eigenen Dünsten, sondern gibt dem Hörer an die Hand, auf seine Art Zugang zum Inneren zu finden. Noch einmal aus dem Programmtext Klaus Langs über die seinem musikalischen Denken so verwandte Art des japanischen Zubereitens von Fischen: „Die Kunst... besteht darin, rohen Fisch auszuwählen, ihn zu schneiden, zu kombinieren und zu arrangieren. Der Koch verändert den Fisch nicht und fügt ihm nichts hinzu. Er ermöglicht die Entfaltung des Gegebenen, dessen was von vornherein im Fisch vorhanden war, und macht es dem Gaumen zugänglich.“ Im Zugänglich-Machen findet der Künstler heute eine neue soziale Position. Es ist eine schlüssige Standortbestimmung, zukunftsträchtig.

Anders Georg Friedrich Haas, der mit seinem einstündigen Stück „In Vain“ für 24 Instrumente und 9 Cyberlights Klang aus unterschiedlicher Herkunft in süffiger Ausführlichkeit ansteuerte. Das wieder einmal exzellent disponierte Klangforum Wien brachte unendliche Abwärtsbewegungen von divergierenden Skalen, vernetzte sie zum lichtregiemäßig unterstützten Klangrausch von immenser Leuchtkraft, die gleichsam aus unterschiedlichen Quellen gespeist wurde. Musikalische Strukturen unterschiedlicher Herkunft zogen an einem Strang und potenzierten sich zu einer breiten Apotheose aus Klang und Licht: Ein Spiral-Erleben des Eintauchens, obsessiv in seiner Beharrlichkeit.

Daneben standen Projekte, die mit solch wie auch immer gebrochenen individuellen Manifestationen nichts am Hut haben. „Vielleicht bin ich ein völlig konservativer, veralteter Komponist“, sagte mir der gerade 30-jährige Klaus Lang angesichts dieser völlig entindividualisierten Konzeptionen. Die kann man nur beschreiben. Da waren zum Beispiel die Internet-Projekte „Alien City“ und daneben „a sophisticated soirée“ der Gruppe „91 V.2.0“. Künstlerisches Vorhaben wird hier fundamental anders angegangen. „Alien City“ baut eine Stadt aus Bildern und Klängen im Internet, sie wächst, sie wandelt sich seit nunmehr zwei Jahren im Netz. Jeder mag sich einklinken, kann diese Stadt, die aus Web-Kamera- und Mikrofon-Aufnahmen aus vielen Regionen, aus dort aufgenommenen Geräuschen besteht, auf dem PC besuchen. Jeder Besuch bewirkt eine partielle Änderung im virtuellen Weichbild. Es ist ein Spiel. Man versteht sich nicht als Künstler sondern als „Mediatisator“. Das schafft im Grunde auch die Kritik ab. Denn was man feststellt, ist im Grunde Belanglosigkeit. Im Internet bastelt sich eine Stadt, eine Mischung aus Stadtreise-Videos und architektonischem Getüftel. Neue Informationen treten hinzu und ändern die Konstellationen. Dass aus solchen Koordinaten derzeit, jetzt real, nicht virtuell (oder doch?) auch das Netz Bin Ladens erstellt wird, mag der Sache einen Kick geben. Aber vielleicht begegnet unsereins solchem Tun schon wieder mit einer kritischen Außenseite, die diese Moorhuhn-Gesellschaft gar nicht betrifft. Was man soll, ist mitspielen. Warum, das ist eine andere, eine private Sache. Das kritische Bewusstsein, auch das im Grunde ein euphemistischer Begriff, wird allein dem Rezipienten überantwortet.

Ratlos ist man, denn der tradierte Kunstbegriff erwartet Position auf der Seite des Machers. Die unterbleibt. Der Rezipient sorgt für den Verlauf des Regelwerks.

Unkontrollierbar geschah das auch in „a sophisticated soirée“. Denn hier war es die Mischung aus den Herzklopfrhythmen der Versammelten, die vom Computer hochgerechnet einen musikalischen Ablauf bestimmten. Die Maschine gab dröhnende Pulsationen ab und der Einzelne konnte nebenbei aufgrund von Lichtzeichen erkennen, dass sein Herz gerade mit einem anderen, in der Gruppe unauffindbaren, im Takt schlägt. Man verblieb in der, so weit traute man der Installation, vom Herzschlag-Gruppenprozess gesteuerten akustischen Umgebung, man plauderte. Da in der Kunst inzwischen erreicht ist, dass alles erlaubt ist, ließ man sich darauf ein. Doch etwas Widerstand möchte man zumindest anmelden: Wir machen alles mit, aber wir erwarten mehr. Wellness allein ist hohl – und allemal besser in der Hängematte. Oder brauchen wir zum Alleine-Sein schon die anonyme Gruppe?

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