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Foto: © Cordula Treml

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Humanität siegt über Schicksalsgespinst – Johann Christian Bachs Oper „Zanaida“ im Münchner Prinzregententheater

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Finanzverantwortliche in unseren Kommunen bis hinauf in die Bundesregierung sehen sich natürlich „kultur-affin“, spielen aber dennoch mit solchen Modellen: Gerne auch etwas Seltenes; dann engagiert man halt fünfzig Musiker, lässt sie drei Wochen proben und bezahlt sie und Solisten für ein paar Aufführungen gut – und damit Projekt- und Vertragsende; keine Folgekosten; wozu also diese vielen festen Ensembles?

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Inmitten derartig kursierender Ideen traten jetzt das seit 1952 existierende, vielfältigst „aufspielende“ Münchner Rundfunkorchester, die seit 1993 herausragend produktive Theaterakademie August Everding und Solisten der schon 1846 gegründeten, seit 1998 sich Hochschule für Musik und Theater nennenden Institution den schlagenden Gegenbeweis an: Erfahrung und Innovationsfreude, gewachsenes Können und Neulandentdeckung, Reife und Jugend – wenn all das miteinander arbeiten kann, wird das Sprichwort Realität „Durch das Gute hat die Welt Bestand, durch das Besondere erhält sie Wert“.

Als besonders erwies sich die Werkwahl: der hochbegabte Bach-Sohn Johann Christian (1735-1782) war ja zwischen Neapel, Mailand und London ein begehrter Opernkomponist; sein musikalischer Erfindungsreichtum begeisterte den jungen Mozart, so dass sie in London miteinander am Klavier improvisierten. In der Rückschau und Analyse bilden Bachs Opern das kompositorische und melodiöse Bindeglied zwischen Händel und der Wiener Klassik. Auch dafür ist die in einem New Yorker Nachlass 1986 wiederentdeckte „Zanaida“ ein Beispiel. In der 1763 in London uraufgeführten dreiaktigen Oper gibt es zwar noch verzierende Koloraturen, aber nur noch eine Da-capo-Arie, dazu immer wieder sofort ansprechenden Melodienreichtum, beeindruckend auch ein Quartett mit divergierenden Aussagen. Klanglich besonders reizvoll hört sich die Kombination von Streichern und Flöten an. An dramatischen Höhepunkten ballt Bach dann wuchtige Crescendi, die er wohl bei der damals dafür berühmten Mannheimer Hofkapelle kennengelernt hatte. All das dirigierte der nach Studien beim Pariser Ensemble Contemporain nun als Petrenko-Assistent in Berlin tätige Oscar Jockel mit sicht- und hörbarem Engagement – und das Münchner Rundfunkorchester „kann“ das halt alles. Jockel hatte über alle Premierenanspannung hinaus noch ein Zusatzproblem: Katya Seministy, die Sängerin der männlichen Kastraten-Hauptfigur, hatte sich von der grassierenden Krankheitswelle im Ensemble noch nicht ausreichend erholt, spielte aber die pausenlose Aufführung durch, während die ehemalige Akademie-Absolventin Céline Akçağ binnen vier Tagen die Partie lernte und von einem Seitenpult auf der Bühne sang – was Jockel sehr differenziert leitete und damit bruchlos auffing.

Die fiktive „Zanaida“-Handlung von Giovanni Gualberto Bottarelli setzt nach einem langen Krieg zwischen Persien und der Türkei ein; der Friedensschluss soll durch eine Heirat zwischen dem jungen Perser-König Tamasse und der türkischen Prinzessin Zanaida gefestigt werden; Tamasse liebt aber bereits unsterblich eine andere; seine dominante Mutter Roselane – eine erschreckende Mischung etwa aus indischer Kali, Königin der Nacht samt Magda Goebbels bis herauf zu Maggi Thatcher – zieht Fäden, um die Weltherrschaft zu erlangen; Zanaida soll nach falscher Beschuldigung hingerichtet werden; als ihr treuer Botschaftsbegleiter Mustafa deswegen den König töten will, stoppt Zanaida dies, verzeiht allen, will den Tod annehmen – und binnen wenigen Rezitativzeilen bricht eine allgemeine Versöhnung zum humanitären „lieto fine“ aus – dramatisch wie musikalisch nicht überzeugend, ein das ganze Werk am Ende beeinträchtigender Schwachpunkt.

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Foto: © Cordula Treml.

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Und wieder ein beindruckendes Beispiel der langfristigen Zusammenarbeit der eingangs aufgeführten Profis: Akademiedozent Joachim Tschiedel (der am Cembalo begleitete), Dirigent Jockel und Regisseurin Sabine Hartmannshenn kamen überein, auch heute in 1760 üblicher Manier „aufführungsgerecht“ zu bearbeiten. Neben straffenden Kürzungen auf etwa hundert Minuten Spieldauer setzten sie vor dem bislang unwahrscheinlichen Handlungsende eine musikdramatische Zäsur: das Bühnenlicht erlosch; alle Solisten reihten sich frontal; aus dem dunklen Orchestergraben dirigierte Jockel aus Johann Sebastian Bachs Kantate „O Ewigkeit, du Donnerwort“ (BWV 60) den finalen Choral, der mit den Worten endet „… mein ganzer Jammer bleibt darnieden – es ist genug“ – und dieses beseelt wiederholte „es ist genug“, a capella aus dem dunklen Raum, transportierte das ganze Werk atemverschlagend, anrührend in diese unsere Krisentage – auch wenn es zuvor zutreffend hieß, dass auch die Hoffnung „Ursache für Tränen“ sein kann, jetzt war der Schlussjubel samt Beschwörung der „süßen, ersehnten Augenblicke“ nicht gänzlich unglaubwürdig.

Heftig beklatschte, auch mit Szenenapplaus gefeierte Gesangsaugenblicke bescherte das ganze neunköpfige Solistenensemble. Die Koloraturpassagen und Spitzentöne von Harpa Ósk Björnsdóttir (Zanaida), Tamara Obermayr (Roselane) und Céline Akçağ (Tamasse) beeindruckten. Der Lorbeer für emotional spürbare, dann eben auch vokale Dramatik ging an Bariton Geonho Lee, der den Botschafter Mustafa zum musiktheatralischen Dreh- und Angelpunkt machte. 

Szenisch las sich die Idee reizvoll, die im vorderen Orient bis heute verbreitete „Kelim“-Webtechnik visuell und spieltechnisch durch Fadenwände raumgestalterisch zu nutzen. Doch die zwischen kumpelhaftem „Daumen-hoch“ und antiker Proskynese schwankende Personenregie Sabine Hermannshenns blieb in den beweglichen Fadenflächen viel zu dekorativ. Edith Kollaths Kostümideen wollten vorderorientalische Kleidung zitieren, führten aber zu einem farblich wie stilistisch alles einebnenden Stil, der die Personen-Unterscheidung deutlich erschwerte. Doch die musikalische Freude überwog: wenn musikalische Profis so zusammenarbeiten, wird mit einem bislang unbekannten Werk wieder ein Edelstein in den europäischen Kulturreichtum eingefügt.

 

  • Der Mitschnitt ist am Sonntag, 28.März ab 19.05 Uhr auf BR-Klassik zu hören und danach kostenfrei online abrufbar.

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