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Probenfoto JOLANTA, Sergey Kovnir als König René, Foto: © Christian Zach
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Hymne an das Licht – Münchens Gärtnerplatztheater bietet mit Tschaikowskys „Jolanta“ eine Rarität

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Zu Deutschlands singulärem Kulturreichtum gehört es, dass sich die Bürger in Großstädten sogar zwei Opernhäuser leisten. Deren Angebot sollte sich unterscheiden und ergänzen, denn jenseits der rund 150 Repertoireklassiker gibt es viel zu entdecken. Das derzeit unbehauste Staatstheater am Gärtnerplatz leistet da auch in dieser Saison Beispielhaftes.

Schon letztes Jahr hatte es aus der Not eine Tugend gemacht und den musikalisch eher schlummernden Konzertsaal im früheren Kongressgelände mit Honeggers „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ wiederbelebt. Nun folgte – logistisch-planerisch staunenswert nach der „Flaschengeist“-Uraufführung (23.Januar), „Entführung aus dem Serail“-Premiere (30.Januar) und „Kifferwahn“-Erstaufführung (15.Februar) – die konzertante Aufführung von Peter Tschaikowskys kaum bekannter letzter Oper „Jolanta“ in der Alten Kongresshalle: im russischen Original mit sehr guten Übertiteln nicht nur mit mehrfachem Zwischenapplaus gefeiert, sondern am Ende stürmisch bejubelt.

Fast 100 Jahre nach der Uraufführung hat die blinde Helen Keller ganz grundsätzlich festgestellt: „Die einzige ganz lichtlose Nacht ist die Nacht der Unwissenheit und der Gefühllosigkeit.“ Genau das hat Tschaikowsky aus einem alten provençalischen Märchen und einem dänischen Drama von seinem Bruder Modest herausfiltern lassen. Ein König René hält seine blinde Tochter Jolanta in einem Blumenreich von der Welt abgeschirmt. Bei Todesstrafe darf ihr niemand ihre Blindheit bewusst machen. Ebenso autoritär lehnt der Vater auch das Angebot eines weisen maurischen Arztes ab, Jolanta wohl heilen zu können, wenn sie ihr Manko kenne und dann sehen wolle. Doch ein Graf Vaudémont verirrt sich in ihren Garten. Er weckt Jolantas gleichfalls „nicht-sehende“ Weiblichkeit und erkennt ihre Blindheit daran, dass er trotz ihrer Zuneigung immer nur eine weiße statt der erbetenen roten Rose erhält. Als er vom König zum Tod verurteilt wird, will Jolanta durch ihr „Sehen-Wollen“ und ihre Zustimmung zur Operation den Geliebten retten. Das Prinzip „Durch der Liebe Macht aus der Blindheit Nacht“ siegt dank ärztlicher Kunst aus „Al-Andaluz“, auch wenn am Ende nur dem christlichen Gott gedankt wird. Tschaikowsky hat dafür die Welt autoritärer Männer mit Fanfaren, Posaunen-tosendem Orchestertutti und stampfenden Rhythmen, Jolantas blühenden Zaubergarten mit Harfen- und Streicherflirren und sanften Walzerrhythmen charakterisiert.

All seine Opernerfahrung hört der Musikfreund auch im Zusammenklang des Jolanta-Soprans mit dem Alt, Mezzo, Sopran und Chor der Freundinnen. Konversationsszenen steht Jolantas intimes Liebesgeständnis (das an Tatjanas geheimen Liebesbrief an Eugen Onegin erinnert) oder ein schönes „Erwachensduett“ mit dem zunächst fremden Vaudémont gegenüber. All das dirigierte Marco Comin mehrfach etwas zu laut, ließ aber die Klangreize mit dem gut disponierten Orchester und Chor blühen. Auf dem Podium neben ihm war außer dem befremdlich „böse“ agierenden Arzt von Boris Grappe ein durchweg beeindruckendes Ensemble versammelt, das immer wieder Zwischenapplaus „provozierte“ – zuerst der fulminante Königsbass des hünenhaften Sergey Kovnir, dann der kernige Bariton von Gennadi Vashenko als Vaudémonts Freund und der die vielen hochgelegenen Phrasen klar, mal mit „Stahl“, mal mit dem Hauch einer süßen Träne meisternde Tenor von Felipe Rojas Velozo als Vaudémont. Als Jolanta verströmte die Armenierin Liana Aleksanyan den zunächst rollengerecht zurückgenommenen Reiz der „Noch-nicht-Erblühten“, um zunehmend aus ihrer träumerischen Weichheit zu erwachen und ihren Sopran dann zu „Licht und Liebe“ aufleuchten zu lassen. Auch ohne Szene rundum eine Entdeckung und mehr als „hörenswert“.

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