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Ryan Vona als Jesus von Nazareth. Foto: Jan Windszus Photography

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Im Rockpalast des Kaiphas – Die Komische Oper mit „Jesus Christ Superstar“ auf dem Flughafen Tempelhof

Vorspann / Teaser

„Raus in die Stadt“, so lautet seit ihrem, dem Umbau des Stammhauses geschuldeten Umzug von der Behrenstraße ins Schillertheater, das Motto der Komischen Oper. Für diese Zwischenzeit bespielt man, auch in der Hoffnung, sie möge haushaltspolitisch bedingt nicht noch bitterer und länger werden, andere Zwischenräume in Berlin. So auch jeweils zu Saisonbeginn den Hangar 4 des aufgelassenen Tempelhofer Flughafens – letzterer das größte Void dieser an vielerlei Zwischenräumen nicht gerade armen Stadt. Das ist in vielerlei Hinsicht gut: Man erschließt so neue urbane Räume (!) mitsamt den Milieus und Leuten drumherum, in der Hoffnung, sie kämen zum Stammpublikum hinzu; man eröffnet sich neue Gedankenräume (!), weckt neue Bilder und Vorstellungen, in der Hoffnung, die Politik möge über das Stammhirn hinaus angeregt werden, selbst auch die Voids zu füllen. Rein in die Stadt. Das ist, wie gesagt, gut und klug, nimmt Impulse auf und Verantwortung an, und in der Regel funktioniert es auch künstlerisch.

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Die vergangenen Spielzeiten eröffnete dementsprechend die Komische Oper mit Henzes „Floß der Medusa“ in der überwältigenden Regie von Tobias Kratzer sowie mit Händels „Messias“, von Damiano Michieletto suggestiv menschennah in Szene gesetzt. Oratorien natürlich, mit großen Chören und anregenden Klangtableaus für die Weiten des Hangar 4. Dass diese Saison 2025/26 nun mit Andrew Lloyd Webbers und Tim Rices „Jesus Christ Superstar“ in Tempelhof abhob, das war ebenso überraschend wie folgerichtig. Ein weiterer Aspekt der Passionsgeschichte des Menschen, wobei etwa die beiden Vertonungen Bachs zwar nahegelegen, jedoch die stilistische Vielfalt solcherlei programmatischer Ausflüge nur eingeengt hätten. Folgerichtig daher der Abstecher in Pop und Rock und die Jetztzeit, oder eher zu deren heutigen Restbeständen aus den 70ern bis 90ern.

Als das Stück seinerzeit erst als Konzeptalbum erschien und durch die Decke ging, verarbeiteten es Webber und Rice zum Rockmusical, das zwar die additive Nummerndramaturgie der Platte behielt, was aber nichts ausmachte. Einerseits durfte die Geschichte, damals noch, weitestgehend als bekannt vorausgesetzt werden; andererseits sind Stationendramen und Nummernrevuen dem Genre des Musiktheaters nicht wirklich fremd. Die Geschichten laufen in Musik ab, und die sorgt schon für den nötigen Verlauf. Wiewohl benötigen sie einen materiellen Rahmen, eine Bühne etwa, sowie einen immateriellen übergeordneten, einen Handlungsrahmen etwa, in dem sie sich abspielen. Als einen solchen wählten Andreas Homoki (Regie) und Philipp Stölzl (Bühne) das Set eines Rockkonzerts, und nicht die Wüste um Jerusalem oder sonstwo herum. Also, bedenkt man die dieses Genre begleitenden Inszenesetzungen von Leiden und Erlösung, eine quasi tautologische Lösung: Ein Rockkonzert ist ein Oratorium.

Sinnig. Wären da indes nicht die Bühne, sei’s auch der Hangar 4, und die dortigen Vorgängeroratorien, die mit ihren szenischen Lösungen die Latte ziemlich hochsteckten, und wären da nicht der ehemalige Intendant Andreas Homoki, ein wunderbarer Opernregisseur, und Philipp Stölzl, auch einer, der schon Konzerte und Touren inszenierte, die die Latte zwar nicht rissen, aber auch nicht darüber kamen. Natürlich bekamen all die famosen Darsteller – John Arthur Greene (Jesus), Sasha Di Capri (Judas), Ilay Bal Arslan (Maria Magdalena), Kevin(a) Taylor (Pilatus), Jörn-Felix Alt (Herodes), Daniel Dodd-Ellis (Kajaphas) und die Hohepriester, die Apostel – ihre spektakulären Auftritte auf der Showbühne, und manch eine*r erinnerte sich zurecht an Kurt Cobain, Axl Rose, Sinead O’Connor, Freddie Mercury, Prince, und die ältesten unter Umständen an Procol Harum (die Apostel!) ‑ den gesanglichen Leistungen insgesamt nur gemäß. Aber das hätte das ZDF ungefähr auch so hinbekommen beim (vergeblichen) Versuch, den frühen Rockpalast im Ersten zu übertreffen. Was fehlte, jedenfalls für ein Regie-Theater vom Rang der Komischen Oper, das wäre dann doch ein wie auch immer übergeordneter Handlungsrahmen oder schlicht Grund dafür, dass auf der Bühne, sei’s auch der Hangar 4, eine Bühne steht. Denn eine Bühne ist keine Tautologie, eher eine Metapher. Und so verwiesen allein die Kostüme der über 300 Besucher-Komparsen und Konzert-Choristen auf ein Außen, für dessen Ausstaffierung man allerlei Bildmaterial aus Flüchtlingslagern zwischen der Türkei und Pakistan zur Vorlage genommen zu haben schien.

Schwamm drüber. Denn letztlich wurde verdammt gut gesungen und Musik gemacht, auch wenn man durchaus hören konnte, dass am Hangar 4 nicht die Technik-Sattelzüge, Verstärker-Batterien und Sound-Türme standen, die solcherlei Rock- oder Popevents heutzutage aufrüsten. Andererseits ist gerade da ganz viel, auch böses, Kapital unterwegs, an das die Komische Oper nicht denken sollte, oder nur in ihren Alpträumen, dafür aber, wie gehabt und gesehen, an ehrliches Handwerk. Diesmal war es der gute alte Rock, der das Ganze funktionieren machte, zwar mit reichlich zugekaufter, vorzüglich amerikanischer Kompetenz. Aber auch die muss erst einmal integriert werden, alles muss in- und zueinanderfinden, wie zum Beispiel Orchester und Band unter der Leitung des auch sonst alles antreibenden Koen Schoots. Wer also in Tempelhof abrocken oder -fliegen möchte, der kann es noch bis zum 9. Oktober von Hangar 4 aus tun.

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