Im Moment kann man das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz als ein kleines, aber feines Operettenparadies oder als Walzerparadies ansteuern. Es ist mit der jüngsten – man glaubt es kaum – deutschen Erstaufführung von Oscar Straus’ Operette „Das Walzerparadies“ beides zugleich. Unter seinem Intendanten Moritz Gogg hat sich das Theater als Ort für die Ausgrabung von Operetten der besonderen Art etabliert.
Im Walzertakt vorm Grammophontrichter – Das Eduard-von-Winterstein Theater lädt ins Walzerparadies von Oscar Straus
Hier wird durchaus mit überregionalem Ehrgeiz historische Wiedergutmachungsarbeit geleistet. Zugleich aber wird das Publikum, ganz so wie es Barrie Kosky an der Komischen Oper in Berlin in seinen Jahren als regieführender Intendant gemacht hat, ganz vorzüglich damit unterhalten. In Berlin fanden sich auch die Perlen der „Cleopatra“ und „Eine Frau, die weiß was sie will“ auf der Bühne wieder. Vor sieben Jahren hat Peter Konwitschny in München den keineswegs nur operettenmärchenhaften „Tapferen Soldaten“ rehabilitiert. Am Ende ist man jedes Mal verblüfft, was die Rezeptionsgeschichte als Spätfolge des Rassenwahns der Nazis so für Leerstellen im Repertoire zugelassen hat, die immer noch der Korrektur bedürfen.
Der – für einen Operettenkomponisten mehr als passend – 1870 in Wien geborene und 1954 in Bad Ischl gestorbene, zu den Meistern der Silbernen Operettenära zählende Straus, hat selbst ein Schluss-S seines Nachnamens gestrichen, um nicht mit der Wiener-Walzer-Dynastie verwechselt zu werden. Im kreativen Bannkreis blieb der Sohn eines jüdischen Bankiers mit seinen 35 Operetten (von denen allein 5 den Walzer im Titel haben) und den anderen Kompositionen gleichwohl.
Es gehört zu den charmanten musikalischen Pointen seines 1935 in Wien uraufgeführten „Walzerparadieses“ wenn zur Charakterisierung eines Leutnants die berühmten Anfangstakte des Radetzky-Marsches von Johann Strauss Vater durchschimmern. Die Nazizeit überlebte Straus in den USA.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, ist „Das Walzerparadies“ gleich als Wiener Operette kenntlich gemacht. Es ist auch eine, zumindest von Norden und von heute aus betrachtet. Ohne, dass sie gleich im Wiener Schmäh oder dem Text -Schlagobers auf der Walzermelange im Klischee untergeht. Verglichen mit anderen Libretti bei Straus, wo manche Unwahrscheinlichkeit schon mal mit der Brechstange überspielt werden muss, liefert Alfred Grünwald hier ein Feuerwerk an gut sitzenden Pointen, Situationskomik und Raum für diverse Running-Gags.
Die nutzt Oliver Pauli (der in einigen running-gags rollen selbst mitspielt) mit seiner Regie und Choreografie weidlich aus. Er hat nicht nur das richtige Gespür für Timing und Tempo, sondern auch eine Protagonisten-Truppe und einen spielfreudigen Chor zur Verfügung, von denen sich alle mit Lust auf die Lust am Spiel einlassen. Die Neuinstrumentierung, die Markus Teichler nach Originalquellen erstellt hat, ist bei den Musikern der Erzgebirgischen Philharmonie Aue und ihrem Dirigenten Dieter Klug in den besten Händen.
Die Bühne von Ausstatter Martin Scherm beherrscht ein riesiger Grammophontrichter samt Arm mit der Nadel, die einst für das Knistern dieser längst mehrfach überholten Wiedergabetechnik sorgte. Gespielt und gewalzert wird auf der Schellackplatte, sprich Drehbühne. Eine pfiffige Metapher, die Kulissenkitsch vermeidet und dennoch zu der bunt verspielten historischen Kostümierung des Personals passt.
Die Story ist zwar nicht weltbewegend und ihre Auflösung vorhersehbar, aber sie funktioniert. Der Schlawiner Poldi und die selbstbewusste Mitzi sollen nach dem Willen ihrer Eltern und gegen ihren erbitterten Widerstand ein Paar werden. Sie lassen sich zum Schein drauf ein. Für Poldi (Richard Glöckner mit bewährtem Operettencharme) winkt immerhin eine Erbschaft, die er nur bekommt, wenn er standesgemäß heiratet. Auch Mizzi (Zsófia Szabó) braucht den formellen Volljährigkeits-Status, um ihren heimlichen Verlobten August (Vincent Wilke) heiraten zu können. Die beiden Väter beziehungsweise potenziellen Schwiegerväter, Jakob Hoffmann und László Varga, gönnen sich eine Kur (mit Schatten) in Karlsbad, zu der dann natürlich auch ihre Frauen (Bettina Grothkopf und Juliane Prucha) samt grantelndem und für Lebensweisheiten zuständigen Großvater Domayer (Leander de Marel) auftauchen. Hier ist natürlich auch Poldis Freund Wiesinger (Gunnar Frietsch) zur Stelle. Um nicht ganz reibungslos aber zielsicher aufs Happyend zuzusteuern. Es ist natürlich kein Plädoyer für arrangierte Ehen, sondern gleich auf den zweiten Blick eins für die Liebe, die von selber kommt. Das funktioniert durchweg, vor allem, weil eine zündende Melodie die nächste jagt und der Platz dazwischen von treffsicherer Pointenkomik gefüllt wird.
Mit diesem „Walzerparadies“ bewährt sich Annaberg-Buchholz wieder als Operettenparadies! Den hübschen erzgebirgischen Weihnachtsmarkt gibt’s für alle Gäste von außerhalb als Schmankerl noch dazu.
Besetzung
Oscar Straus: Walzerparadies, Premiere 7. Dezember 2024, 19.30 Uhr, DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG, Wiener Operette in drei Akten von Oscar Straus, Buch von Alfred Grünwald nach Louis Verneuil, Neuinstrumentierung (nach Originalquellen) von Markus Teichler
Musikalische Leitung: Dieter Klug, Inszenierung & Choreographie: Oliver Pauli, Ausstattung: Martin Scherm, Chorleitung: Kristina Pernat Ščančar, Dramaturgie: Lür Jaenike,
Mit: Jakob Hoffmann (Matthias Polleder – Fabrikant), Bettina Grothkopf (Frau Polleder – seine Gattin), Richard Glöckner (Poldi Polleder – beider Sohn), László Varga (Gabriel Domayer – Besitzer einer Hutfabrik), Juliane Prucha (Maria Domayer – seine Frau), Zsófia Szabó (Mitzi Domayer – beider Tochter), Leander de Marel (Großvater Domayer),Gunnar Frietsch (Wiesinger – Poldis Freund), Matthias Stephan Hildebrandt (Pankraz, Diener bei den Polleders), Vincent Wilke (August Miereke – Mitzis Verlobter), Maria Rüssel (Gaby Ritzinger – Poldies Gspusi), Matthias Stephan Hildebrandt (Portier, Kellner, Kurdirektor),
Opernchor des Eduard-von-Winterstein-Theaters, Opernchor des Eduard-von-Winterstein-Theaters
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