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Vorne liegen ein paar nackte Männer, über ihnen bäugt sich eine schwarz gekleidete Frau. Im Hintergrund ein stattliches, schwarzes Pferd. Davor steht ein Mann mit einem Stab. Ebenfalls in schwarz gekleidet.

Nackte Männer und starke Pferde im Dunkeln: Romeo Castelluccis Vision der „Walküre“. © Monika Rittershaus

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Jeder Ring ist erstmal ein Loch mit was drum: Castelucci inszeniert die „Walküre“ in Brüssel

Vorspann / Teaser

Dass er jeden Teil des Nibelungenrings für sich nehmen will, hatte Castellucci schon vor dem „Rheingold“ verkündet. Eine kluge Entscheidung denn der große Geschichtenerzähler ist der Italiener ohnehin nicht. Dafür gibt es einen symbolischen Ring. Ganz am Ende, wenn alle musikalischen Messen - sprich Wotans Abschied - gesungen sind, geht ein Kreis der in der Mitte des Bühnenportals erscheint in Flammen auf. Für Sekunden, ein glasklares Bildzeichen. Auch die andere Bild-Klammer, vor dem Einsetzen der Musik, macht für sich genommen Eindruck. Da wird der gejagte Siegmund von einem Wasserstrahl Richtung Publikum gegen einen Plastikvorhang gedrückt. Man versteht zwar auch sonst immer auf Anhieb was Wagner mit der Sturmmusik an Vorgeschichte meint, aber so geht es auch. 

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Bei dem, was dann aber quasi in der Klammer steht, ist das nicht so einfach. Castellucci liefert – wie er das immer macht – vor allem eine Abfolge von Bildern beziehungsweise Installationen. Die sollen für sich stehen und mit ihrer Wirkung beim Publikum Assoziationen in Gang setzen. Im günstigsten Fall wenn sich die Gedanken des Künstlers mit denen des Publikums treffen. Dann werfen sie ein Schlaglicht auf das Werk, das gerade verhandelt wird. Mit den (rein handwerklichen) Schlaglichtern auf die Gesichter der Akteure hat es die Regie indessen ganz und gar nicht. Nicht mal zum Schlussapplaus sieht man aus der Ferne die Gesichter wirklich, weil auch da das Licht vor allem von hinten kommt. Dazu dominieren mit wenigen Ausnahmen dunkle Gewänder, vor – auch hier nur mit wenigen Ausnahmen – dunklen Hintergründen. Der erste Mensch im All fand ja den Weltrum vor allem dunkel. Der Ringbesucher in Brüssel kann an diesem Abend also getrost die gleiche Erfahrung machen: Dunkel ist die „Walküre“, sehr dunkel. 

Dafür aber ist sie laut. Zumindest vom Platz im hinteren Teil des Parketts hört sich das, was Alain Altinoglu im Graben mit dem Sinfonieorchester des La Monnaie entfesselt, nicht wie die Suche nach einem Zusammenklang an; eher schon wie ein Wettbewerb um die lauteste Instrumentengruppe. Sehr akzentuiert und trennscharf. Da wird jedes Unwetter zum Ereignis. Leider wird dabei auch die an sich atemberaubende Todesverkündigung zu einer Drohung. Was Brünnhilde verkündet und Siegmund verweigert, verliert so jeden Hauch einer Aura von dunkler Poesie. 

…so fließe denn, Wälsungenblut…

Beim Aufeinandertreffen der Zwillinge im ersten Akt jedenfalls übersetzt Castellucci das triumphierende „so blühe denn, Wälsungenblut“ szenisch in ein „so fließe denn, Wälsungenblut“ bei dem sich die liebenden Geschwister in Blut sielen und damit auch noch übergießen. Blutsbande, Blutschande – was auch immer. Völlig egal. Wenn Fricka Wotan diesen Fauxpas gegen die bestehende Ordnung im nächsten Akt vorhält, entfaltet sie dabei ein blutiges Laken – als wäre es der Beweis für Jungfräulichkeit. Ein Ritual, das junge (auch privilegierte) Ehefrauen zu manchen Zeiten nach der Hochzeitsnacht verkraften mussten und in manchen Weltgegenden und Kulturkreisen immer noch müssen. Ob Absicht oder nicht: Wer so obsessiv auf Assoziationen setzt wie Castellucci, riskiert auch solche, die möglicherweise übers Ziel hinausschießen oder zumindest einen etwas schalen Beigeschmack hinterlassen. Das ist auch der Fall, wenn die Walküren im dritten Akt ihre nackten toten Helden (keine Dummys, sondern nackte junge Männer) zu einem Leichenhaufen türmen. Auch dieses mit den historischen Verbrechen konotierte Bild muss man nicht für eine gelungene Metapher halten. Vor allem, wenn es so illustrativ verramscht wird. 

Im ersten Aufzug jedenfalls bewegen sich Haufen übereinander gestapelter Möbel wie von Geisterhand durch den ansonsten leeren Raum. Hundings Hütte im Umszugsmouds. Das Zauberschwert wird aus Sieglindes Gewand gezogen und dann im Kühlschrank deponiert. Dessen Tür öffnet sich, wenn die Winterstürme dem Wonnemond weichen. Ansonsten kreist dieser Kühlschrank so vor sich hin. Siegmund und Sieglinde haben dann plötzlich jede Menge Blumen zur Hand bis alles in einem metaphorischen Blutbad endet. Auch ein Schäferhund läuft mal durchs Bild. Von Links nach Rechts. Warum? Vielleicht, weil Hunding nun mal so heisst, wie er heißt. 

Mit dem (schon häufig bestätigten) Vorurteil vieler Wagnerianer (Rezensent eingeschlossen), dass sich dieser erste Akt immer irgendwie wie von selbst spielt, räumt Castellucci jedenfalls auf. Man kann sogar diesen richtig versemmeln. (Frei nach Wotans: „Jetzt hast Du’s erlebt.“) Auch Peter Wedds Siegmund ist nicht nur allzu gaumig, sondern wirkt auch schnell überfordert. Dafür liefert Ante Jerkunic einen imposanten Hunding und auch Nadja Stefanoff schlägt sich als stimmlich schlanke Sieglinde wacker. 

Wenn Frickas Tauben gurren 

In der Dunkelheit des zweiten Aufzuges ist Marie-Nicole Lemieux als Fricka im aufgeplusterten Weiß ihrer Kostümierung (und mit fünf sie dauernd beklatschenden Doubletten im Schlepptau) der gleißende und auch vokal klar und präzise daherkommende Lichtblick. Tierfreund Castellucci outet die Hüterin der Ehe als Taubenliebhaberin. Ein paar (unechte) murkst sie freilich auch ab, um ihre Forderung nach Siegmunds Tod zu untermauern. Die echten flattern geordnet mal nach oben, dann auf die Stange, haben aber immer ihre choreografiert daherschreitenden menschlichen Betreuer dabei. Irgendwann sind sie dann alle wieder weg. Man ertappt sich bei der Überlegung, was es wohl an zusätzlichem Reinigungsaufwand geben könnte. Wenn Wotan dann sein resignierendes Selbstgespräch mit Brünnhilde führt, legt er eine rote Augenbinde an und auch das Dunkel der Bühne wird dazu rot illuminiert. Was mal eine vergleichsweise triftige Bühnenidee ist. Dass die mit jeweils einem Buchstaben versehenen Fahnen, die um den Gott geschwenkt werden, am Ende das Wort IDIOT formen, mag die Zwangslage illustrieren, in die er sich selbst manövriert hat. Auf den zweiten Blick wirkt das dann schon wieder wie einen Tick zu viel.

Hoch zu Ross

Der Clou dieser Produktion aber ist der Walkürenritt. Zumindest soll er es sein. Denn da gibt es diesmal wirklich echte Rösser auf der Bühne. Offensichtlich gut trainierte und lärmunempfindliche Tiere. Auf einer Einblendung auf dem Vorhang wird dem Publikum versichert, dass die Produktion die Tiere respektiere und deren Wohlbefinden Priorität habe. Diese – so weit es in der stückdominierenden Dunkelheit zu erahnen ist – schmucken Vierbeiner verhalten sich brav und liefern die nackt über ihren Rücken hängenden jungen Männern ab. Im Ganzen freilich ist das nicht mehr als eine ziemlich naturalistische Effekthascherei bei Notbeleuchtung und Orchester- und Walkürenlärm. Auch von den kriegerischen Damen erkennt man natürlich kein Gesicht, man kann nicht mal Brünnhilde von ihnen unterscheiden bis die konditionsstarke Ingela Brimberg zu singen anfängt.

Dass Wagner übers optische Verschwinden des Orchester philosophierte und die Musiker ja auf geniale Weise im Bayreuther Graben auch tatsächlich verschwinden ließ, bezog Castellucci hier jedenfalls vor allem auf die Szene. Selbst da wo sie naturalistisch sein soll. Aber sind Grane und seine Artgenossen wirklich Pferde, wie wir sie kennen? Müssten die nicht eigentlich auch fliegen können? Aber wir wollen nicht zu kleinlich sein und eine erhebliche logistische Leistung im Opernzirkus protokollieren. Abgesehen davon, dass das, was Castellucci mit seinen Tieren bietet, kein Argument gegen die These ist, dass Tiere eigentlich nichts auf der Bühne zu suchen haben, fallen einem auf Anhieb jede Menge szenische Walkürenritte ohne Pferde mit wesentlich mehr Wirkungswucht ein. 

Bei Wotans Abschied läuft immerhin der selbst in der Dunkelheit in der Erscheinung charismatisch und mit seiner Stimme vital wirkende Gábor Bretz zu Hochform auf. Zusammen mit der sich hier ebenfalls nochmal steigernden Ingela Brimberg als Brünnhilde sorgen beide für ein vokales Ausrufezeichen. Sogar mit Ansätzen von Personenregie. Als sich die gleißend weiße Wand, (auch Loge ist nicht mehr, was er mal war) die zuvor wie ein Waffeleisen auf Brünnhilde niedergegangen war, noch einmal kurz anhebt, hatte sich die Schlummernde bereits verflüchtigt. Wer weiss wohin. Hoffentlich hat Castellucci eine Idee, wie er sie wieder einfängt. Im nächsten Teil wird sie noch gebraucht.

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