Alle reden von der Hektik, von der Unruhe, von der Egozentriertheit dieser Tage, Wochen, Monate. Geschäftstüchtige Gschaftlhuber bieten Lehre an, um der inneren Leere entgegen zu wirken – an Bord von Traumschiffen, Traumjets, Dreamlinern. Religiöse Demagogen spielen sich auf. Politschwätzer rüsten sich. Dass das Hochgeistige, das Musikalische zumal, therapietechnisch gesehen hilfreich sein kann, wird immer wieder in die Debatte geworfen.
Was die Kulturstiftung der Versicherungskammer Bayern jetzt in der Allerheiligenhofkirche inmitten des Areals der Residenz München anbot, in einem architektonischen Kleinod der Archaik voller historischer Assoziationsebenen und bei freiem Eintritt, das wollte nichts zu tun haben mit der Promotion von Versicherungspolicen. Entsprechend zurückhaltend und diskret etablierte sich das veranstaltende Unternehmen ästhetisch puristisch. Auf gehobenem gestalterischem Level freilich. So wie es die corporate idendity aus den weiterentwickelten Vorgaben des unvergessenen Großmeisters Otl Aicher zu Grunde gelegt hatte.
Da entfaltete sich Musik in Reinkultur. Musik aus Jahrhunderten, Vokalmusik verwoben mit den Klängen der Solotrompete. Girlanden, Linien, Akkorde, Klangräume bildend im gebauten Raum. Das waren acht Kompositionen pausenlos ineinander ge- und miteinander verknüpft in meditativer, kontemplativer Konzentration. Lichttechnisch zurückhaltend und choreographisch den Ort nutzend in Szene gesetzt. Meditative Ruhe breitet sich aus im der Sakralität abgetrotzten Raum. Ein einziger Huster am dreißigsten November in echtem schneetreibendem Winterflair außerhalb der wohlig warmen Räumlichkeit. Norwegens weltberühmter und in der Tat phantastischer Spitzentrompeter Nils Petter Molvaer bringt sich ungemein sensibel, dominant, zurückhaltend, in jeder Facon virtuos agierend ein in die irisierende Welt der zwei Soprane, des einen Mezzosoprans, eines Tenors, eines Baritons und eines Basses der mittlerweile ebenfalls weltberühmten norwegischen Nordic Voices. Die das aus gutem Grund sind (und nicht mit dem so weit verbreiteten Logo hausieren gehen müssen wie nicht wenige ihrer Kollegen von wegen der beste Chor weltweit zu sein). Diese nordischen Stimmen suchen immer wieder neue Wege der Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Komponisten, Interpreten, Denkern. Sie kommunizieren mit dem Mittelalter, mit den grüblerischen und dennoch auch vitalen Volksmusikwurzeln ihrer nordischen Heimat.
Ob Arvo Pärts Magnificat in seiner – dem Komponisten phänotypisch eingeschriebenen – Schlichtheit simpel ist oder archaisch: das zu hinterfragen erübrigt sich vor Ort. Das spirituelle Moment im Ohrenblick der Aufführung ist stärker als besserwisserisch Argumente verhandelnder Diskurs. Wunderbar der Satz O Magnum Mysterium von Francis Poulenc. Bewegend das abschließende und dem Münchner Auftritt seinen Titel gebende Still in Silence von Björn Bolstad Skjelbred. Der Satz ist Teil der sechsteiligen Komposition The Bee Madrigal und handelt von der ökologischen Katastrophe eines womöglich real werden könnenden Aussterbens aller Bienen auf diesem Planeten. Und was das für selbigen bedeuten würde.
In der abgedunkelten Architektur postieren sich die Sänger an unterschiedlichen Stellen des Raums, dem zwei erleuchtete Notausgangsschilder den Weg weisen. Die Musiker haben ihre LED-beleuchteten Notenblätter in der Hand. Im experimentellen Ansatz und in real faszinierender Magie zwischen Kehlkopfgesang und anderen klangerzeugenden stimmbasierten Elementen bringen sie die Kommunikation mit dem Trompeter voran, der allein auf der Bühne stehend seine mentalen und seine zugleich handwerklichen Fähigkeiten in die Klangswolken einspeist. Das war indertat ein besonderes Konzert. Ein Abend, wie ihn die Routine des Musikbetriebs selten zustande bringt.