Vier Jahre Förderung von 15 Modellprojekten durch das Netzwerk Neue Musik der Bundeskulturstiftung sind zum 31. Dezember 2011 ausgelaufen. Unter dem Motto „Netzwerkausklang“ trafen sich zwei Wochen vor Weihnachten Vertreter der 15 Netzwerkprojekte zu einer letzten Präsentation samt kleinem Festival in den Räumen des Deutschlandfunks in Köln. „An der Grenze des Fruchtlandes“ nannte Pierre Boulez 1955 einen Essay in der Musikzeitschrift „die Reihe“ und bezog sich damit auf serielle Elemente in den Gemälden von Paul Klee. „An der Grenze des Musiklandes“ hatte der Leiter des Netzwerk Neue Musik, Bojan Budisavljevic, die erste Podiumsdiskussion im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks überschrieben und damit die Diskutanten unter der Moderation des Musikpublizisten Holger Noltze recht deutlich dazu aufgefordert, sich zu den dunklen Wolken zu äußern, die übers Fruchtland der Neuen Musik hereinziehen.
Klartext sprach vor allen anderen die Musikwissenschaftlerin Helga de la Motte-Haber, wenn sie darauf hinwies, in einer Zeit, in der Musik ganz allgemein an Bedeutung verliere (laut einer Allensbach-Umfrage war früher Musik an oberster Stelle der Präferenz von Jugendlichen, heute ist dies „sich im Fast-Food-Restaurant mit Freunden treffen“), bedürfe es zur Wahrung des Musikerbes nicht nur Spezialfestivals, sondern auch ein breites Publikum, das an den Ergebnissen aktuellen Musikschaffens teilhaben kann. Dafür, so de la Motte-Haber, bräuchte es ein Netzwerk Zwei.
Sie habe verstanden, antwortete darauf die künstlerische Leiterin der Bundeskulturstiftung, Hortensia Völckers. Sie wisse aber noch nicht, ob ihre Stiftung das leisten könne, oder ob da andere Geldgeber gefordert seien. Dies ist wohl als Hinweis auf die Musikförderung durch Länder und Kommunen zu verstehen. 7 von 15 von der Bundeskulturstiftung geförderten Projekten können mit zusätzlich generierten Mitteln weitermachen. Dazu zählen: „Musik 21“ in Niedersachsen und „klangpol Oldenburg“, „ON“ in Köln, „chiffren“ in Kiel, „Spektrum Villa Musica“ in Rheinland-Pfalz, „mehrklang!freiburg“ und „Mehr Musik!“ in Augsburg. Die Projekte in Stuttgart, Essen, Moers, dem Saarland und Dresden haben noch keine Zusagen zur weiteren Förderung, wollen aber die neu entwickelten Strukturen und Kooperationen in abgewandelter Form weiterleben lassen. Ganz zu Ende geht es in Berlin und Passau. In Hamburg wird „KLANG!“ nicht weitergeführt, aber das durch „KLANG!“ generierte Vermittlungsprojekt „Klangradar 3000“ gibt es auch in Zukunft. Auch der „KLANG!“-Container wird womöglich weiterhin mobil genutzt.
Den eigentlichen Ausklang des Netzwerkes übernahm ein abwechslungsreiches Konzertprogramm, in dessen Zentrum das Landesjugendensemble Neue Musik-Schleswig-Holstein stand. Wie schnell aus „vergnüglichem“ Orchesterspiel auch Frondienst am symphonischen Werk werden kann, machten Wilhelm Bruck und Matthias Würsch mit ihrer 70-minütigen Aufführung der Basler Fassung von Mauricio Kagels „Zwei-Mann-Orchester“ deutlich. Nach der vielbeachteten Uraufführung in Donaueschingen 1973 hatte die hintergründige Klangskulptur schnell Folgeaufführungen in Köln, Berlin, Paris und Amsterdam erlebt. Für die Documenta IX im Jahr 1992 baute Wilhelm Bruck, bereits Interpret der ersten Orchestermaschine, eine zweite Fassung. 2011 schließlich wurde in einer Kooperation von Paul Sacher Stiftung, Musikhochschule und Museum Tinguely In Basel eine dritte Fassung des Zwei-Mann-Orchesters realisiert. Auch an dieser arbeitete Wilhelm Bruck mit, dieses Mal mit dem Schlagzeuger Matthias Würsch. Zum Netzwerkausklang Ende des Jahres waren die beiden samt Maschine von Basel rheinaufwärts in Kagels ehemalige Heimatstadt Köln gereist. Für Konzertgänger, die schon früher Gelegenheit hatten, das „Zwei-Mann-Orchester“ zu erleben, bot die Aufführung nichts wirklich Neues – doch staunende Kinderaugen und amüsierte Blicke einer jüngeren Generation von Besuchern folgten den Aktionen der Musikmaschinisten Bruck und Würsch gebannt. Zwei volle Tage lang hatten sie den Orchesterapparat aufgebaut – der Prozess des Spielens, eigentlich ein Auslösen unumkehrbarer, wunderbar-skurriler Klangprozesse, stellte jedenfalls ein nachhaltiges Vergnügen im Rahmen des traurigen Anlasses Netzwerkausklang dar.
Dafür, dass die Traurigkeit nicht überhandnahm, sorgte abschließend eine Musikrevue mit Partnern und Gästen aus dem Netzwerk, darunter Cathy Milliken, Bernhard Wambach, Matthias Kaul, Susanne Leitz-Lorey und Daniel Gloger. Durch den bunten Abend mit Neuer Musik im Kölner Szenetreff Stadtgarten führte hr-Musikredakteur Stefan Fricke. Auf dem Programm standen neben Texten von Theodor Wiesengrund Adorno und Hermann Scherchen das „Klavierstück Nr. 9“ von Karlheinz Stockhausen, die „Stripsody“ von Cathy Berberian sowie Werke von Manuel Hidalgo und anderen.
Ein vergnüglicher Abend mit ernster Musik? Nur „schöne Stücke“ aneinandergereiht? Auch bei Fragen solcher Art kann Adorno helfen: „Wer kein Organ für schöne Stellen hat, (…) ist dem Kunstwerk so fremd wie der zur Erfahrung von Einheit Unfähige“.
Ein Netzwerk-Resümee sowie erschöpfendes Zahlenmaterial zu vier Jahren Netzwerkerei finden Sie im beiliegenden Magazin „D sounding/nnm“.