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Liegend: Sarah Vautour (Violetta Valéry), darüber Seungwoon Lee (Dottore Grenvil), Dorothee Bienert (Flora Bervoix), Irakli Atanelishvili (Marchese d’Obigny), Kammersänger Paul Brady (Barone Douphol), mit Opernchor und Statisterie.  Foto: © Stephan Walzl

Liegend: Sarah Vautour (Violetta Valéry), darüber Seungwoon Lee (Dottore Grenvil), Dorothee Bienert (Flora Bervoix), Irakli Atanelishvili (Marchese d’Obigny), Kammersänger Paul Brady (Barone Douphol), mit Opernchor und Statisterie.  Foto: © Stephan Walzl

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Kein „Herzschlag des Universums“ – Jan Eßinger inszeniert in Oldenburg „La Traviata“ als ergreifende Einsamkeitsstudie

Vorspann / Teaser

Der bürgerliche Alfredo verliebt sich in die Edelkurtisane Violetta und sie fängt mit ihm ein neues Leben an. Bis Alfredos Vater sie bittet, wegen der Familienehre auf seinen Sohn zu verzichten. Als sie im Sterben liegt, kommen beide Männer zurück und bereuen tränentreibend. So weit, so bekannt über Giuseppe Verdis Erfolgsoper „La Traviata“ (1853). Dieses Schlussbild war jetzt am Oldenburgischen Staatstheater in einer Version zu sehen, dass die beiden Männer gar nicht kommen – denen man die Reue über ihr unmenschliches Verhalten ohnehin kaum glaubt –, sondern die an Tuberkulose todkranke Violetta sich das nur einbildet: die Szene wird in der Inszenierung von Jan Eßinger von einem Double gespielt und von der an der Seite beobachtenden Violetta gesungen. Das erinnert an die unvergessene Einsamkeitsstudie vor vielen Jahren an den Theatern von Hannover, Bremen und Luzern von Benedikt von Peter, in der dieser alles Geschehen in die visionäre und sehnsüchtige Vorstellung der drei Stunden lang alleine auftretenden jungen Frau legte. Auch eine zweite interpretatorische Vision bietet Eßinger: die halbnackte Violetta wird von der feiernden Gesellschaft als ihr Märtyreropfer über die Bühne getragen. Und eine dritte: ihre Rückkehr in ihren Pariser Salon erlebt Violetta als Alptraum. 

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Verdi hatte einmal an einen fragenden Sänger geschrieben, er solle sich um „Text und Darstellung“ kümmern, die „Musik kommt von selbst“. In diesem Sinne ist Eßinger ebenfalls eine feine Inszenierung einer Einsamkeitsstudie gelungen. Am Ende des ersten Aktes, in dem Violetta von einem anderen Leben träumt, erscheint bereits visionär das Sonnenblumenfeld (Bühne von Sonja Füsti), in dem dann das aussichtslose Leben des Liebespaares spielt. Die Personenführung ist ein sensibles, emotionales Kammerspiel der Beziehungen, das in der besuchten zweiten Aufführung Laura Pisani (Violetta), Luis Olivares Sandoval (Alfredo) und Eddie Wade (Germont) ergreifend füllen. Freilich doch mit Unterschieden: an der Spitze der argentinische Gast Laura Pisani, die Violettas Schicksal großartig in ihre Stimme verlegen konnte – vielleicht wäre etwas weniger Vibrato schön. Sandoval begann etwas unverbindlich, fand aber zunehmend zum „Herzschlag des Universums“ mit den anrührenden Stimmfärbungen, die man von seiner intensiven und warmen Stimme kennt. Dagegen fiel Eddie Wade doch ab: sehr unregelmässig die Stimmregister. Die Pariser Gesellschaft ist eine sozial nicht näher erkennbare Schicht, deren Mitglieder in unterschiedlichen Bekleidungen von der spärlichen Unterwäsche und sogar Nacktheit bis zu zeitlosen Abendkleidern und Fräcken über einander herfallen – „fratzenhaft und entmenschlicht“, so der Regisseur (Kostüme von Benita Roth). 

Besonders musikalisch gelang dem Oldenburgischen Staatsorchester unter der Leitung des Gastes Carlo Goldstein ein ergreifendes und vielseitiges Klangbild zwischen geradezu weinenden Pianotönen bis zu wilden Verzweiflungsattacken. Ein sehenswerter Abend, für die musikalische Interpretation lohnt eine Anfahrt.

  • Nächste Aufführungen: 24., 27. und 30.9., 3., 9., 16. und 31.10., 9.11., 5. und 19.12. 

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