Am Ende durften sich alle Beteiligten an einem über zehnminüntigen Beifallssturm erfreuen. Und das mit Recht. Der „Ring“ von Valentin Schwarz geht mit souveräner Gelassenheit in sein viertes und letztes Bayreuthjahr. Wem der Ansatz grundsätzlich gegen den Erwartungsstrich geht, wird sich nicht überzeugen lassen. Wer nicht so festgelegt oder einfach neugierig ist, was man mit Wagners Vorlage so alles anstellen kann, der wird sich über den neuerlichen Besuch bei den feindlichen Brüdern im Geiste Wotan und Alberich (die bei Schwarz zu solchen von Geburt an mutiert sind) freuen.

Das Rheingold. 1. SzeneKatharina Konradi (Woglinde), Olafur Sigurdarson (Alberich), Natalie Skrycka (Wellgunde) und Kinderstatisterie der Bayreuther Festspiele. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Kein Stein wankt in Gestemm’ – Erste Rheingold Vorstellung der aktuellen Bayreuther Festspiele als eindeutiger Publikumserfolg
Für Simone Young ist es der zweite Jahrgang – sie wird damit, nach der letzten „Götterdämmerung“ also die Hälfte der Ringaufführungen verantwortet haben. Nach diesem „Rheingold“ verspricht das, was aus dem Graben aufsteigt, zu einem Hochgenuss zu werden. Betörend ist schon, wie sie den Rhein wie aus dem Nichts fliessen lässt, alles zusammenhält, zügig vorwärts schreitet, die Sänger im Blick hat, ihnen jeden Entfaltungsspielraum lässt. Nach der peinlichen Einlasspanne vom Vorabend bei den „Meistersingern“ herrschte jetzt auch wieder die übliche Reihenfolge – die letzten Gäste nehmen zwischen dritter Fanfare und Türenschließen platz, dann verlischt das Licht und von da an haben Wagner und seine heutigen Interpreten allein das Sagen bzw. Singen.
Der letzte Jahrgang einer Hügelproduktion hat den Vorzug, dass jeder wissen (oder fürchten – je nachdem) kann, was auf der Bühne passieren wird, vor allem aber, dass die Interpreten im günstigsten Falle, ihre Rollen verinnerlicht haben und nicht mehr mit ihnen fremdeln oder gar hadern, sondern sie wie selbstverständlich servieren. Nun sind zwar nur Christa Mayer als Fricka und Olafur Siguardarson als Alberich von Anfang an dabei, aber auch Tomasz Konieczny als Wotan und Tobias Kehrer als Fafner gehen in ihr drittes Ringjahr. Neu sind nur Anna Kissjudit als referenzverdächtige Erda, Daniel Behle als höchst beweglicher Loge, Patrick Zielke als Fasolt und Katharina Konradi als Woglinde.
Selbst wenn man in der Vergangenheit eine gewisse Eingewöhnung für das kraftvoll markige Losdonnern von Koniecznys Wotan hatte, so ist er mittlerweile durch die darstellerische Selbstverständlichkeit mit der er diesen windigen Clan-Boss spielt ein charismatisches Kraftzentrum, bei dem man auf jede Geste achtet und über das Gesamtpaket staunt. Auch Siguardarson als sein Gegenspieler Alberich hat es fertig bekommen, (zugegeben: im ersten Jahr) anfängliche Irritationen über manche stimmliche Rauheit durch eine vokale und darstellerische Intensität vergessen zu machen, mit der er den Außenseiter gestaltet. Christa Mayer ist mit großer Zuverlässigkeit in Ton und Haltung eine Göttergattin, die den Schein wahrt und mitmischen will. Dass die Freia von Christina Nilsson (die am Vorabend schon als Eva reüssierte) dieses Rheingold nicht überleben dürfte, ahnt man, auch wenn man es noch nicht weiß, im letzten Bild, wenn sie eine Pistole an ihre Schläfe führt. Ob dieser Selbstmord mit dem Trauma einer Vergewaltigung durch Fasolt oder mit der Trauer über dessen Tod zu begründen ist, ist nicht so ganz klar. Möglich wäre beides. Auf den Gag, dass sich Erda Gehör verschafft, indem sie ein Tablett mit Gläsern auf den Boden knallt, folgt ein atemberaubendes „Weiche Wotan …“, das man lange so nicht gehört hat und das dem ganzen Abend einen dunkel funkelnden vokalen Edelstein hinzufügt.
Wer akzeptiert, dass in dieser Inszenierung der Ring, sprich der Reichtum und die Macht über die Zukunft ein Knabe ist, den Alberich vom Pool weg entführt und in seinen Kindergarten Nibelheim nach seinen Wünschen zu einem antiautoritären Goldjungen er- (oder ver-)zieht, der wird es leichter haben, sich das zu übersetzen, was in den nächsten drei Teilen folgt. Wotan jedenfalls scheint das (wunderbar gespielte) Rebellieren des Knaben zu gefallen. Und dennoch: Das Maschinengewehr- und Blitzlicht-Gewitter bei der Verwandlung in den Wurm überbietet den ersten, schlichteren Einfall, für diese Inszenierungsklippe, bei der Alberich den Jungen einfach auf die Schulter nahm, und sich damit metaphorisch gleichsam in die Zukunft verlängerte, nicht. Aber sei’s drum. Das Rheingold ist szenisch und musikalisch aus einem Guss.
So spinnefeind sich alle im Stück auch sein mögen – die Familie der Interpreten auf Zeit hat offenkundig einen integrativen Sog, dem sich die Neulinge einfügen. Daran dürfte der Regisseur naturgemäß nicht ganz unschuldig sein. Seine Inszenierung hat sich als haltbarer und widerstandsfähiger erwiesen, als noch im ersten Jahr zu befürchten war. Ring-Konzepte mit Anspruch auf die eine Idee brauchen immer ihre Zeit bis sie spontane Abwehr überwinden und in produktiver Neugier münden.
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