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Thomas Mohr, Kammersängerin Romelia Lichtenstein. Foto: © Bühnen Halle, Foto: Federico Pedrotti
Thomas Mohr, Kammersängerin Romelia Lichtenstein. Foto: © Bühnen Halle, Foto: Federico Pedrotti
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Keine Chance für die Liebe – Ignacy Jan Paderewskis „Manru“ an der Oper Halle ausgegraben

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Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Rezeptionsgeschichte, dass eine Inszenierung der Oper „Manru“ von Ignacy Jan Paderewski heute nur als ambitionierte Ausgrabung auf einen Spielplan kommt. Nicht nur in Deutschland – aber da besonders.

Der Dreiakter startete nach seiner Uraufführung – immerhin 1901 in Dresden unter Ernst von Schuch – im Handumdrehen zu einem echten Welterfolg durch. Paderewski (1860-1941) war da längst als Pianist ein Weltstar. Und doch verschwand das Stück nach ein paar Jahren wieder in der Versenkung. Das lag vor allem daran, dass der Komponist als politischer Protagonist der staatlichen Wiedergeburt Polens zwischen die Fronten geraten war. Paderewski war bis 1920 der erste Ministerpräsident und Außenminister des wiederbegründeten Polens und unterzeichnete in dieser Funktion 1919 den Versailler Vertrag, der die polnische Unabhängigkeit bestätigte!  Hier wirkte demonstratives erwachendes Nationalbewusstsein auf der einen Seite und die preußisch-deutschnationalistische Furcht vor dessen Folgen für den eigenen Machtanspruch auf der anderen. So wurde die Oper zu einem frühen Fall von Cancel Culture: zwar zu einem deutschsprachigen Libretto komponiert, war sie vor allem der Wiedergeburt eines selbständigen Polens musikalisch verpflichtet. Zumindest wurde das so gesehen. Paderewski musste Position beziehen und entschied sich für Polen. 

An der Komposition selbst hat all das nicht gelegen. Bei der Premiere der jüngsten Neuproduktion in Halle bewies die Musik ein Format und eine emotionale Durchschlagskraft, die bei einem heute ja immer noch auf Spätromantik und Verismo geeichten Opernpublikum direkt ankommt! Nicht nur der Interpret der Titelpartie, Thomas Mohr, der in Halle schon Siegmund gesungen hat, dürfte sich im ersten Akt-Finale an den des ersten Walküre-Aktes erinnert haben. Auch das große Liebesduett im zweiten Akt kommt „Tristan und Isolde“ schon sehr nahe.

Neben der Rezeptionsgeschichte des Werkes selbst und der Biografie des Komponisten ist auch die seines Librettisten Alfred Nossig (1864-1943) auf atemberaubende Weise mit den Verwerfungen der 20. Jahrhunderts verbunden. In Lemberg (Lviv) geboren, führte ihn sein bewegtes Leben an die Seite von Theodor Herzl. Mit dem Begründer des politischen Zionismus überwarf er sich allerdings gründlich. Über etliche Umwege wurde der einstige Opernlibrettist dann 1939 auf Befehl der GESTAPO von der Jüdischen Gemeinde in Warschau als Leiter der Abteilung Kultur und Künste angestellt und vier Jahre später von der jüdischen Untergrundorganisation im Ghetto als Spitzel hingerichtet.

Dass in seinem Libretto (nach Józef Ignacy Kraszewskis Roman Chaty za wsią „Die Hütte hinter dem Dorf“ aus dem Jahre 1843) die Roma-Sippe der Erumanuels für die Juden steht, ist kaum zu übersehen. Im Detail frönt er dabei einer ausgiebigen Neigung zum Endreim. Auf Herz Schmerz, auf Ketten retten, auf Lohn Hohn usw. Und es finden sich auch so markige Sätze wie „Wird der Mond am Himmel voll, da wird der Zigeuner toll …“ Ein Spottlied, das Manru geradzu verfolgt und fertig macht. (Im Programmheft wird der Umgang mit der brisanten Vokabel, zwischen „Rufmord und Verklärung“ ausführlich erörtert.)

Es geht also um die – im Libretto dutzende Male so benannten – Zigeuner und die Konfrontation mit der übrigen Gesellschaft in Gestalt der sesshaften Bauern in der Hohen Tatra. Das Bauernmädchen Ulana und Manru haben gegen den erklärten Widerstand auf allen Seiten einander aus Liebe geheiratet. Der Bruch Ulanas mit ihrer Familie und Herkunft wird klar, als die in Not geratene ihre Mutter bei einem Dorffest trifft und um Hilfe bittet. Die verlangt, dass sie sich dafür von ihrem Mann trennt und verflucht die Tochter, als die das verweigert. Dass sie gerade noch einen gewalttätigen Übergriff auf Ulana und Manru verhindert, ist das höchste der Gefühle. Szenisch bleibt der musikalisch komponierte pogromartige Übergriff hier eine Rangelei auf dem Dorffest. 

Für den zweite Aufzug wechselt die Perspektive auf die Beziehung zwischen dem Paar. Er hadert mit dem sesshaften Leben, bekommt es einfach nicht hin, als „Zigeuner zu verbauern“ wie es heißt. Nach dem großen tristanesken Liebesduett aber geht es bergab. Sie greift (gut spätromantisch opernhaft) zum Liebestrank. Er lässt sich nach einigem Gewissens-Hin-und-Her, von der Musik der „seinen“, eigentlich der Stimme des Blutes und wohl auch der seiner Jugendliebe Asa verführen, sich von Ulana zu trennen, alle Klischees zu bestätigen und sogar der neue Anführer seiner Leute zu werden. Die Katastrophe ist perfekt: Manru bringt sich um und ihr Vertrauter Urok erdolcht Manru in aller Ruhe inmitten seiner Leute. Die Trennwand zwischen den Welten hebt sich. Mit einem Blick erfasst man die beiden Toten. Zurück bleibt ihr gemeinsames Kind.

So direkt wie der Konflikt zwischen der Roma-Sippe und den Bauern hier auf eine gescheiterte Liebe bezogen ist, würde das Ganze szenisch einen beherzten Zugriff auf oder durch die zeitlichen und inhaltlichen Schichtungen ermöglichen, ja erfordern. Schon, weil man heute die Korrektur der Worte oft mit der Korrektur der Wirklichkeit gleichsetzt. Und weil die Spaltung in der Gesellschaft ein Thema ist, das immer mehr den Diskurs bestimmt.

Leider bleibt das die Inszenierung von Katharina Kastening in der Ausstattung von Gideon Davey komplett schuldig. Das ist der Schwachpunkt dieses ansonsten so beachtlichen Projektes. Die Bühne besteht aus einer schwebend-beweglichen durchscheinenden Trennwand. Dahinter gibt es zwei Glasboxen als Hütte des Paares Ulana und Manru. Einmal ist das Wort „HEIDE“ an die Hütte geschmiert und einmal das Wort „ZIGEUNER“. Aufgehübschte Alltagskleidung für die Bauernbevölkerung samt eines pinken Kostüms mit Hut und Handtasche für die Mutter Ulanas, das von der Queen abgelegt worden sein könnte. Und das Ganze in etwas bunter für die Roma. Dazu eine Chorregie und Personenführung, die arrangiert und sonst recht unbeholfen wirkt.

Natürlich braucht man keine Folklore mit Originalkostümen, wie sie Paderewski für die Vorstellungen an der MET seinerzeit aus der Hohen Tatra nach Amerika holen ließ. Aber eine sinnliche Ebene für die Szene, die bräuchte man schon. So geht es, szenisch verzagt, allenfalls um den scheiternden Versuch einer Emanzipation von zwei Liebenden aus den Zwängen ihrer sozialen oder kulturellen Prägungen.

Zum Projekt „Manru“ gehörte in Halle ein von Chefdramaturg Boris Kehrmann organisiertes zweitägiges Symposion mit interdisziplinären Annäherungen. Dazu ein gescheites Programmheft, das man sich diesmal unbedingt zulegen und lesen sollte.

Musikalisch ist der Abend ein Erfolg. Vor allem die Staatskapelle glänzt unter ihrem ersten Kapellmeister Michael Wendeberg. Nordeuropäischer Verismo auf den Schultern Wagners – so ungefähr. Angeführt wird das Ensemble eindeutig und mit Abstand von Thomas Mohr als Manru. Der gibt mit seiner wagnergestählten und flexiblen Strahlkraft den vokalen Maßstab vor. Romelia Lichtenstein ist als Ulana vor allem in den lyrischen Passagen berührend und setzt natürlich all ihre Erfahrung und Technik ein, um dem heldentenoralen Furor standzuhalten. Mit beweglicher Eloquenz stattet Levent Barici Ulanas Vertrauten Urok aus. Die schneidende Schärfe von Gabriella Guilfoil passt zur Unnachsichtigkeit von Ulanas Mutter Hedwig. Franziska Krötenheerdt gehört als Asa mit ihrem schlanken Mezzo zu den Argumenten, die Manru „zurückholen“ und sogar dazu bringen, anstelle des tyrannischen Oros (auftrumpfend: Ki-Hyun Park) selbst zum Anführer zu werden. Andrew Nolen vertrat den verletzten Michael Zehe als Jagu von der Seite aus beisteuern. Zusammen mit dem Opernchor (Johannes Köhler) und dem Kinder- und Jugendchor (Batholomew Berzonksy) bejubelte das Premierenpublikum vor allem eine musikalische Kraftanstrengung. Bei der Live-Übertragung im mdr störte die verpasste Chance zu einer angemessenen Szene zum Glück nicht.

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