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Ian Koziara (Parsifal) umringt von Klingsors Zaubermädchen und Chor. Foto: Monika Rittershaus

Ian Koziara (Parsifal) umringt von Klingsors Zaubermädchen und Chor. Foto: Monika Rittershaus

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Klangopulenz ohne Utopie – Richard Wagners „Parsifal“ an der Frankfurter Oper

Vorspann / Teaser

Die Titelfigur: „Durch Mitleid wissend, der reine Tor …“ das in einer Zeit der kommenden Daten-Weltherrscher von Bezos bis Zuckerberg, der kriegerischen Gewalttäter von Afrika über Arabien bis in Teile der Ukraine, dazu europäisch nahe Autokraten von Netanjahu über Erdogan, Orban, Meloni, Le Pen, Wilders, über Südamerika bis in die USA … wie kann da eine, dem Zitat nahe künstlerische Botschaft lauten und wirken?

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Für Frankfurts einst legendäre „Parsifal“-Deutung zeichneten Ruth Berghaus und Axel Manthey verantwortlich. Jetzt kamen jugendliche Hochbegabung und reife Musiktheatererfahrung zusammen: Frankfurts 32-jähriger, schon jetzt hochgehandelter GMD Thomas Guggeis und die reife Wagner-Kennerin Brigitte Fassbaender. Sie wolle „die ungeheuerliche Parabel vom ‚erlösten Erlöser so klar erzählen wie möglich‘ erklärte Fassbaender vorab. Zum Vorspiel erschien Claude Monets „Kathedrale von Rouen“ in unscharfer, leicht wechselnder Farbgebung auf dem schwarzen Zwischenvorhang, dieser Bildstreifen dann auch mehrfach in Himmelsblau. Dahinter zeigte Ausstatter Johannes Leiacker dann eine Mischung aus Ratio und Romantik: zwei glatte, mit geometrischen Linien durchzogenen (Fels?)-Wände, die sich nach hinten zu einer kleinen Wiedergabe von Monets „Morgenstimmung“ mit Wald und See öffneten. Gurnemanz und die ganze Ordensritterschaft traten im schwarzen Gehrock der Gründerzeit auf. Dementsprechend stand der Gral als übermannshoher Pokal in einem Saal von etwa 1883, mit edler, gelber Stofftapete – nur war da um ihn herum die „Natur“ mit wildem Felsgestein hereingebrochen. Der verstoßene Klingsor hatte sich den gleichen Saal wohl als Trost gebaut – mit Märchenkönig Ludwigs „Venusgrotte“ hinten im Bild – und übergab kampflos sterbend den Speer an den noch blondgelockten Parsifal.

Nach seinen Jahren der Suche kam dieser dann mit Hut, Sonnenbrille, schwarzem Trenchcoat und kurzem Haarschnitt vor der halb zerstörten Außenmauer des Gralssaals an. Als dieser hereindrehte, war er völlig von Felsgestein „überwältigt-wuchert“. Auch alle Ritter waren ohne Gralsnahrung zu steingrau-weiß-schwarzen „Grubenarbeitern“ geworden. Parsifals „Erlösung“ ließ ihn im weißen Hemd vor dem unveränderten Pokal stehen; die Ritter schminkten sich das graue Gesicht ab, ehe sie zum Sektkelch griffen; Amfortas küsste die miterlöste Kundry und ging glücklich mit ihr davon.

Zu Wagners eigentlich herausforderndem Schlusstext „Nicht soll der mehr verschlossen sein: Enthüllet den Gral, öffnet den Schrein!“ passierte: Nichts!

So schätzenswert viele feine Züge von Fassbaenders Personenführung, so verständlich ihre Abkehr von den hunderten Metern an Wagner-Interpretationsliteratur und so dankenswert ihr Verzicht auf – heute ja leider übliche – „Werkverbesserung“ durch Ein- oder Hinzufügungen waren: das wirkte alles zu wenig … vom Traum einer Wagner ja gemäßen politischen Aussage wie „radikal demokratische Öffnung“ zu schweigen.

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v.l.n.r. Jennifer Holloway (Kundry), Ian Koziara (Parsifal) und Andreas Bauer Kanabas (Gurnemanz). Foto: Monika Rittershaus

v.l.n.r. Jennifer Holloway (Kundry), Ian Koziara (Parsifal) und Andreas Bauer Kanabas (Gurnemanz). Foto: Monika Rittershaus 

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Ein musikdramatisch-vokaler Triumph

Bejubelter Trost: ein musikdramatisch-vokaler Triumph! Über die solistischen Gralsritter, die Knappen und die reizvollen Zaubermädchen bis hin zur finalen Stimme aus der Höhe spannte sich ein „High-End“-Bogen erstklassiger Stimmen – von Alfred Reiters gewollt zusammenbrechendem Titurel, Ian MacNeils eitlem Klingsor, Nicholas Brownlees gekonnt leidendem Amfortas-Bariton hin zu Jennifer Holloways erst zerquälten, dann auch verführerisch strömenden Kundry-Sopran: Ohne „Weihe“ ein „Bühnenfestspiel“, fast durchweg aus dem eigenen Ensemble besetzt, also halt das singuläre „Frankfurter Niveau“ – gekrönt von Andreas Bauer Kanabas, der mit imposanter Bühnenpräsenz, staunenswerten Legato-Qualitäten und einem mühelos strömenden Gurnemanz-Bass sich endgültig an die Spitze deutscher Bass-Stimmen sang. Dass all das so tönte und strömte und frappierend textverständlich zu erleben war, bestätigte erneut Thomas Guggeis’ eminente Begabung. Nach allem Italianità-Feuer in „Norma“ am Vorabend folgte das zu Recht preisgekrönte Frankfurter Opern- und Museumsorchester der differenzierten Zeichengebung von Guggeis minutiös und vor allem alle „Piano“-Vorgaben Wagners klangsinnlich erfüllend, nie blass oder matt tönend. Der verstärkte Chor war von Gerhard Polifka ebenso differenziert einstudiert.

So konnte Guggeis über die szenische Normalität hinaus den Abend zu jenem heimlichen Elend der Figuren, zu ihren dramatischen Verwicklungen und dann zumindest einer Klang-Erahnung steigern, die Wagners Vision einer von Mitleid, Liebe, Vergebung und Verständnis geprägten Welt klingen ließ.

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