Die Studio-Produktionen der Gesangsklasse Gesang an der HMT Leipzig haben Format. „Die schöne Helena“ war im Advent zum Schreien komisch, Zimmermanns zweite Fassung von „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ im Winter eindrucksvoll. Die große Produktion im Mai nimmt sich dann „Kommilitoninnen!“ von Peter Maxwell Davies vor, volles Programm also. Wie macht sich Tom Johnsons Sängerkabarett, im weiteren Sinne durchaus eine Leipziger Regionalspezialität, dazwischen?
Der Ernstfall: Eine vom Grippeteufel gepackte Primadonna und eine Premiere, bei der das Publikum in Tuchfühlung zum Spiel sitzt! Auch dazu sind Hochschulproduktionen gut, als Training für den nicht kalkulierbaren Ernstfall. Nun, die Mezzosopranistin Amanda Martikainen wirft sich mit ihren drei Solisten-Kollegen in die vertonten Artikel aus Riemanns Musiklexikon, als sei da nichts. Und sie lässt ihre geringfügigen vokalen Beeinträchtigungen vergessen. Das ist auf der weißen Quadratfläche von gefühlten 50m2 (nur) mit Klavier viel schwerer als mit dem Samtpuffer eines großen Orchesters zwischen sich und dem Auditorium. Amanda Martikainen reißt die Premiere der Hochschule für Musik am Dittrichring. Damit zeigt sie, was im Opernzirkus ebenso wichtig ist wie Potenzial und Charisma: Nämlich Kondition und Nerven!
Nerven und Geduld brauchen auch Musikstudierende, die sich Inhalte aus Riemanns Musiklexikon einbläuen. Tom Johnson, Musiksatiriker und neben Kagel der einzige echte Absurde der Avantgarde, landet seit 1988 mit seinem 70-Minuten-Opus für Vokalquartett, Klavier und Sprecher den intimen Megahit der zeitgenössischen Oper. Wahrscheinlich sind es schon Myriaden von Aufführungen an Musiktheatern, Ausbildungsstätten und Dilettantenbühnen ... Die genrespezifisch mit Floskeln aufgeladenen Nummern von „Deklamation“ bis „Rezitativ“, von „Primadonna“ bis „Soubrette“ entfalten ihren trockenen Witz auch in Tokio und Rio, gleichwohl Johnson die Texte in der deutschen Originalsprache vertonte. Das ermöglicht Spiele mit der halben Bildung in Tonsatz und ein ganzes Feuerwerk an Gesangsklischees.
„Alles Bullshit!“ dröhnt Riemanns Stimme (alias KS Prof. Roland Schubert) aus dem Off, erklärt die Wissensheiligtümer für bienenfleißiges Bla-Bla-Bla und entlässt die so emsigen Soli in den etwas ratlosen Abgesang. Weg von den hölzernen Schminktischen mit den üblichen Utensilien – Wasser, Teddy, Puderquaste. Aha, Künstlergarderobe! Rainer Koch am Flügel injiziert Johnsons minimalistische Stiletüden wie abgekühlten Czerny. Die phantastischen Ebenen einer Ästhetik der Tonkunst werden zitiert, nicht durchpulst.
Steffen Piontek, der Seelentüftler für echt unter die Haut gehende „Butterflys“, gewährt einen Blick hinter die Kulissen, wo es so sicher nicht zugeht. Anika Paulick wechselt vom „Freischütz“-Ännchen zur Primadonna assoluta in Rot, auch Christopher Fischer mit Tenorino-Urlaubs-Hawaii-Hemd und Andreas Drescher – zurückhaltend elegant – sind aus der „Schönen Helena“ in schmunzelnd-freudvoller Erinnerung. Die Überwältigung durch den szenischen Spaß stellt sich diesmal aber nicht ganz so ein wie zu erwarten. Vielleicht auch deshalb, weil das sympathische Ensemble professionell schon weiter ist als es in dieser Premiere zeigen kann.
Johnsons Witz liegt in der Darstellung des Siegs spielerischer Lust über graue Theorie. Da tut sich ja einiges. Heute – das ist weiter dimensioniert als im Uraufführungsjahr 1988 – sind Interpreten und Publikum durch die Musiktheater-Archäologie viel vertrauter mit den Geister- und Totenbeschwörungen aller „Medeas“ und den Klabautereien bei Paisiello und Pergolesi. Dieses Bewusstsein fehlt etwas, wenn sich die maskierten Soli zur braven venezianischen Gondel aus Stühlen zusammenschlichten. Im „Nocturne“ schlägt dafür eine deutlichst frontale „Geisterstunde“ zwischen Primadonnna assoluta und Bariton, nach Riemann die „schönste Stimmlage“. Bei Nennung von „Leipzig“ zeigt man immer Wangengrübchen und zierlich erhobene Finger, als wären die Nietennagel-Geschirre aus „Leipzig in Schwarz“ nicht längst Standard auf allen Opernbühnen von Brüssel bis Zagreb. Bei „Leitmotiv!“ respektvolles Einfrieren der Bewegungen – Johnsons Witz, dass „Leitmotiv“ in romanischen und anglikanischen Sprachen noch immer „Leitmotiv“ heißt und als „typisch deutsch“ gilt, mussten die Soli ignorieren.
Musikalischer Minimalismus ist nicht nur dauerhaftes Ostinato-Staccato in Reih‘ und Glied. Vielleicht werden die vier mit jedem Ton bestens präparierten Teamplayer noch massiver und zeigen, was sie als Koloraturschleudern und Rampentiger können. Für Repertoire-Abende in soliden Produktionen ist die „Riemannoper“ hier eine gute Studie, Johnsons animierender Witz und heitre Laune kommen sicher noch.
- Wieder am 7. (19.30 Uhr), 10. April (19.30 Uhr), Großer Probesaal (-1.33, Black Box), Hochschule für Musik und Theater, Dittrichring 21, Fon 0341 - 2144 615;