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Das Ensemble Ayangil.
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„Krieg und Frieden“ – Das KlangZeit-Festival für Neue Musik Münster glückt

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Irgendwie hängt dem westfälischen Münster immer noch das Klischee einer verschlafenen ehemaligen preußischen Provinzialhauptstadt an. Was gibt es dort schon außer Kirchen und Regen? Es gibt dort viel Musik! Und vor allem für Kenner der Neuen Musik-Szene alle zwei Jahre die „KlangZeit“, ein ausgedehntes Festival der Gesellschaft für Neue Musik Münster, diesmal überschrieben mit dem Motto „Krieg und Frieden“.

„Krieg und Frieden“ – ein Thema, das für die Domstadt, in der 1648 der „Westfälische Friede“ geschlossen wurde, kaum passender hätte ausfallen können. Im Fokus dabei: der östliche Mittelmeerraum, die riesige Region zwischen Kairo und Istanbul – eines der weltweiten Krisengebiete unserer Zeit, weshalb die „KlangZeit“ ganz klar von einem kritisch-politischen Kern durchzogen war. In den zwölf Konzerten mit elf Uraufführungen konnte man viel erfahren über die aktuellen Verhältnisse im Libanon und in Israel, in Griechenland und in Ägypten. Weil sich Komponisten wie Manos Charalabopoulos und Zeynep Gedizlioglu, Taner Akyol, Chatchatur Kanajan oder Samir Odeh-Tamimi dezidiert mit den Zuständen in ihrer Heimat auseinandersetzen. Von Vertreibung, Folter und Tod erzählte ihre Musik am Eröffnungsabend („Music of Displacement“ mit dem türkischen Hezarfen-Ensemble). Ein paar Jahrzehnte früher schrieb Arnold Schönberg „A Survivor from Warsaw“, Igor Strawinsky seine „Histoire du Soldat“ – womit die „KlangZeit“-Programmplaner einen Bogen in die Geschichte spannten, auch hinein in die vom Ensemble Ayangil vorgestellte höfische türkische Musik des frühen 18. Jahrhunderts, die bei den Friedensverhandlungen des Großbotschafters Ibrahim Pascha in Wien zur Aufführung kam – und die weniger höfische denn eher bodenständige „Schlachtenmusik“ eines Heinrich Ignaz Franz Biber mit dem münsterschen Ensemble „Compania“.

Vielfalt war überhaupt ein prägendes Element dieser „KlangZeit“, in der sich sowohl geladene Gäste aus dem Ausland als auch die vor Ort etablierten Protagonisten der zeitgenössischen Musik hören ließen – ein Konzept, das sich seit vielen Jahren als tragfähig erweist und regen internationalen Austausch befördert. Bewährt hat sich außerdem auch die gute Zusammenarbeit mit den institutionellen Kulturträgern der Stadt wie der Musikhochschule Münster, der Akademie „Franz-Hitze-Haus“ und dem Sinfonieorchester Münster. Letzteres präsentierte die Uraufführung der „Reflets“ für Klavier und Orchester des Schweizer Komponisten Michael Jarrell – eine Herkulesaufgabe für den Pianisten Nicolas Hodges, der echte Schwerstarbeit am Flügel zu leisten hatte im Dienste eines Stücks, das hoffentlich Eingang ins Repertoire findet. Übrigens ein Konzert, das der WDR live im Hörfunk übertrug!

Was beim Thema „Krieg und Frieden“ nie und nimmer vergessen werden darf: der Holocaust. Dem näherte sich die Komponistin Betty Olivero sehr subtil mit ihrer Erinnerung an die Kinder, die dieser Barbarei zum Opfer fielen; dem spürte das renommierte Nomos-Quartett nach und fragte mit Luca Lombardi nach dem „Warum?“ – so der Titel von Lombardis Streichquartett von 2006.

Nach Auschwitz ließe sich kein Gedicht mehr schreiben, konstatierte Theodor W. Adorno zwar – gleichwohl ginge es darum, Leiden beredt werden zu lassen, wie er an anderer Stelle schrieb. Just dies war ein Movens vieler der Kompositionen dieser „KlangZeit“, darunter auch (neben Schönbergs „Survivor“) der bezwingenden Meditation „Remember the Remembering“ für Mezzosopran und Gitarre, mit der die Koreanerin Cecilia Kim eine Erinnerungskultur einklagt. Oder dem Streichquartett „Different Trains“ des Minimalisten Steve Reich, in dem die Klang-Monotonie gleichförmig ratternder Züge für die Deportation von Millionen Juden in die Gaskammern steht.

Kriegsbilder evozierte auch Yuri Kasparows uraufgeführtes Stück „WAR“, während Taner Akyol mit „Drei Bäume in Taksin und die Banditen“ die Ereignisse rund um den Istanbuler Gezi-Park thematisiert, die vor gut einem Jahr international Aufsehen erregt haben und für eine anhaltenden Regierungskrise in der Türkei sorgen.

Das Fazit der diesjährigen „KlangZeit“ fällt ausgesprochen gut aus: sicher, es war ein anstrengendes Festival, ein anspruchsvolles und ein dichtes, aber auch ein sehr ertragreiches. Gestemmt von Musikerinnen und Musikern aus der Szene vor Ort, sehr klug und intelligent disponiert von den „KlangZeit“-Machern der Gesellschaft für Neue Musik Münster, bereichert durch die musizierenden Gäste aus Israel, Palästina, der Türkei, aus Griechenland und diversen anderen Staaten des Mittelmeer-Raumes. Und wie zu hören war, fiel die Publikumsresonanz – sprich: die Festival-Auslastung – so hoch aus wie nie zuvor. Dafür haben die Organisatoren lange und hart gearbeitet. Es hat sich gelohnt!

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