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Am Staatstheater Saarbrücken kam Manuel Hidalgos Musiktheater „Dalí, der große Masturbator“ zur Uraufführung. Gekoppelt war das Werk abendfüllend mit Ravels Kurzoper „L`Heure Espagnol“, was nicht nur wegen der doppelten spanischen Thematik sinnvoll erschien, sondern auch durch die Präsenz zweier „starker“ Frauen: hier Dalís Lebensgefährtin Gala, dort die mit ihrem Los als Uhrmachersgattin unzufriedene Conceptión. Beide Werke erfuhren in Saarbrücken sorgfältig gestaltete Aufführungen, vor allem Hidalgos komplexes Stück faszinierte durch die Einheit von Bild, Bewegung, Gestik und Musik.
Manuel Hidalgo bezeichnet sein neues Bühnenwerk „Dalí“ als „Musiktheater“. Es ist aber auch „Tanztheater“, „Bilder-Theater“, „Schauspiel-Theater“. Die gute alte Oper bestand auch aus diesen Ausdruckselementen, doch die Dominanz von Gesang und begleitendem Orchester diffamierte die Gattungsbezeichnung „Oper“, so daß mit dem Erscheinen avancierter Regisseure auf der Opernbühne zugleich der Begriff des „Musiktheaters“ sich einnistete. Traditionelle Opernfreunde verbinden mit „Musiktheater“ grelle Inszenierungen und wenig Belcanto. Auch ein Dirigent wie Gerd Albrecht, gewiß kein Reaktionär, mag das Wort „Musiktheater“ nicht besonders, und Gerard Mortier nannte das, was er zu seiner Brüsseler Zeit auf die Bretter des Théàtre de la Monnaie stellte, bevorzugt „Opern-Theater“, eigentlich ein „weißer Schimmel“, weil in der „Oper“ das „Theater“ mit enthalten ist. Aber „Opern-Theater“ signalisierte, daß Musik und Gesang die gleiche Wichtigkeit besaßen, wie das Szenische. Man könnte Hidalgos „Dalí“ also auch so nennen, und als „Oper“ wäre sie durch die Gleichwertigkeit aller Teile sogar eine sehr gute Oper. Man könnte das Thema noch weiter durch-paraphrasieren, aber das wäre gerade bei „Dalí“ nicht weiter ergiebig.
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„Dali“ ist in gewisser Weise ein Künstlerdrama, ein dreifaches sogar. Die Oper als autobiographisches Künstlerdrama ist ein speziell romantisches Sujet. Sie entstand mit der Emanzipiation des Künstlers von den Einbindungen in eine konkrete gesellschaftliche Ordnung. Der schöpferische Künstler, Maler, Musiker wurde autonom. Beethoven vor allem steht für diesen Akt der Befreiung. Hans Pfitzner reflektierte seine künstlerische Positionierung in seiner Oper „Palestrina“. Diese Reflexion zielte mehr nach innen als nach außen. Richard Wagners Werk enthält in seiner Totalität immer auch das Drama des Künstlers Wagner. Das Künstlerdrama kann sich aber auch in der Stilisierung nach außen darstellen: Wenn die Exaltation zum Stilprinzip avanciert. In der Musik wäre das Beispiel Berlioz zu nennen. In der Malerei ohne Zweifel der Spanier Salvador Dalí. Der Künstler stilisiert sich zum „Verrückten“. Seine Phantasie schlägt unentwegt die tollsten Kapriolen. Das Unbewußte der Seele gerät zur sichtbaren Figurine. Das Triebhafte tritt spontan und heftig ins Bild. Die Egozentrik steigert sich in die Manie. Der Künstler kehrt in die Position des Artisten zurück. Sein bevorzugter Aufenthaltsort ist das Hochseil, von dort aus schwingt er sich todesmutig durch die Welt der Phänomene. Er gehört nur sich selbst. Bindungen funktionieren allein als Beobachtungsstationen für menschliches Verhalten. Der aktive Künstler, der Maler, der Literat, kann und darf alles verwenden und, was für Dalí besonders kennzeichnend ist, verwerten. Wie es „Drinnen“ aussieht, geht – wie es in einem Lehár-Operettenlied heißt – kein niemand was an. Vielleicht geschieht nichts mehr im Inneren bei Dalí, deshalb die halbbewußte Flucht in die Attitüde, die unablässige Selbstinszenierung. Aber überraschend dann auch wieder die Genauigkeit der Beobachtung, die Präzision des Auges, die an Dalí fasziniert.
Was aber interessierte Manuel Hidalgo an der Dalí-Figur? Er komponierte kein biographisches Stück, keine Literaturoper über einen Maler, wie Hindemiths „Mathis der Maler“. Hidalgo lehnt es ab, zu seinen Werken begleitende Kommentare zu liefern. Man muß sich also an das Sicht-und Hörbare halten. Einerseits scheint Hidalgo durchaus von der Faszination, die von Dalí ausstrahlt, angezogen. Hidalgos Künstlerdrama „Dalí“ besteht aus einer Übersetzung der Obsessionen des Malers in szenische Bilder und optische Chiffren. Es ist gleichsam ein prismatisch gebrochenes Künstlerdrama, dem er als drittes „Künstlerdrama“ das eigene gegenüberstellt: als Verweigerung und Kritik einer künstlerischen Existenz á la Salvador Dalí. Die Distanzierung von Dalí deutet sich zumindest im vollständigen Titel des Werkes an: „Dalí, der große Masturbator“. Das klingt negativ besetzt, Selbstbefriedigung ist ein Stimulans vieler Kunst. Bei Dalí erscheint es als Prinzip und totale Stilisierung. Pallas Athene entsprang dem Kopf des Zeus, Dali entsprang gleichsam dem eigenen Auge: ein Akt der Selbstzeugung.
Damit beginnt die vierteilige Szenenfolge von Hidalgos „Dalí“ Ein riesiger Augapfel schiebt sich langsam nach vorn, raffiniert ausgeleuchtet in changierenden Helligkeiten und Farben. Insekten zerhacken und durchbrechen die Netzhaut (unser Bild oben), mit den Tieren fällt auch der kleine Dalí auf die Bühne. Er überwindet die Insekten ebenso wie den auftretenden Übervater, der ihn wie ein Bruder des Komturs aus Mozarts Oper mit Betonfüßen zu zertreten sucht. Schon in diesen Szenen gewinnt die Tänzerin Anke Glasow, die den „beweglichen“ Teil der dreifach geteilten Dalí-Figur darstellt, ein hinreißende Präsenz in Körperspiel und Gestik. Seine „Stimme“ gewinnt Dalí durch einen Alt (Barbara Brückner) und einen Contratenor (Ralf Peter) hinter der Bühne. Mit dem Übervater werden auch alle anderen Überreste der Herkunft beseitigt: Dalí besetzt den Punkt „Null“, auch sexuell: er ist alles - mehrgeschlechtlich, ungeschlechtlich, impotent. Im zweiten Bild erscheint Dalí als Torero kostümiert und arrangiert mit seinen beiden „Stimmschatten“ auf einer Bühne eine Beischlafszene als zerhackte Wort- und Silben-Struktur aus den Teilen seines Namens. Der dritte Teil steigert sich ins Blasphemische: Gala wird als Madonna des Sexus inthronisiert, Dalí inszeniert sich als Akt einer Selbstvergöttlichung im Rahmen einer Liturgie. Das vierte und letzte Bild endet pessimistisch und verzweifelt: Dali und ein Sekretär „verramschen“ das „Kunstwerk Dalí“, der greise, umhergeisternde Künstler versucht schließlich, in das nurmehr als kahles Gestell erscheinende „Auge“ zurückzufliehen: ein sinnloses Unterfangen.
... Die kritischen Implikationen, die Hidalgo mit seiner Dalí-Darstellung zu verfolgen scheint, ließen sich unschwer aus den bilderreichen, mit zahlreichen Dalí-Zitaten gespickten Szenen ablesen. Der Gegenstand Dalí hat manches von seiner Faszination verloren: Dalí wirkt wie eine einstmals sehr aufregende, exzentrische Theaterinszenierung, die bei wiederholtem Ansehen ihre Überraschungseffekte verliert.
Das Verwirrende ist dabei, daß der verbrauchte „Gegenstand“ in der Mutation zum „Musiktheater“ unerwartete szenische Lebendigkeit gewinnt. Das liegt vor allem in Hidalgos avancierter Musik begründet. Hidalgo überzieht seine Partitur bei passenden Szenen mit einem Netz von musikalischen Zitaten (Zarathustra-Motiv zum Vatermord etcetera). Es gibt – analog zur lockeren, offenen Szenen- und Bildfolge – keine kompositorischen Entwicklungen herkömmlicher Art. Klänge, Geräuscherzeugungen, musikalische Gesten, die Zitate und zitatähnlichen Ausdrucksgesten (Beethoven zur Gottwerdung) werden mit großer Souveränität zu einer dichten musikalischen Struktur verknüpft, ohne daß der zweifellos intendierte Montagecharakter ins Flache abgleitet. Hidalgos „Dalí“-Musik zeichnet eine bemerkenswerte Plastizität und Griffigkeit aus, eine eigenständige Klangmagie.
Kein Wort des Lobes ist zu hoch für die Saarbrücker Uraufführung. Hiroaki Masuda und dem Saarländischen Staatsorchester gelang eine der Vorlage adäquate Darstellung der Partitur. Gerhard Michalskis Chor sang markant und präzis. Ann-Katrin Naidu stattete Gala mit üppigem Mezzo-Ton aus, Robert Körner als Vater und Ben Daniel Jöhnk als Dalís Sekretär zeichneten vokal und darstellerisch genaue Figuren. Die Inszenierung von Birgit Scherzer und Matthias Kaiser in den Bühnenimaginationen von Sebastian Stiebert (Kostüme: hervorragend und witzig von Gera Graf) überzeugte durch Phantasie und Kompetenz: Dalís bildnerischen Elemente dienten als Assoziationsmaterial für eigenständige szenische Bild-Räume, in denen sich die Obsessionen eines bizarren Künstlers plastisch widerspiegelten.