Dirigent Paweł Kotla und das Giya Kancheli Tbilisi Youth Orchestra setzen zum Ende der polnischen EU-Ratspräsidentschaft ein Zeichen für die Freiheit – mit Beethoven, Górecki und Meyer gegen russischen Einfluss in Georgien. Im Januar hatte es bereits mit derselben Intention ein Konzert in Kiew gegeben.

Paweł Kotla dirigiert das Giya Kancheli Tbilisi Youth Orchestra. Foto: Stefan Pieper
Kulturelle Diplomatie – Polens sanfte Rebellion im Tiflis Auditorium
40 junge Musikerinnen und Musiker, die meisten unter 25, geboren in die Unabhängigkeit hinein und aufgewachsen mit europäischen Träumen. Sie sitzen im Tiflis Auditorium und warten darauf, dass Paweł Kotla den Taktstock hebt. Was folgt, ist mehr als Musik – es ist kulturelle Diplomatie als Überlebensstrategie. Das Konzert am 20. Juni 2025 im Tiflis Auditorium war auf den ersten Blick ein würdiger Abschluss der polnischen EU-Ratspräsidentschaft gewesen. Doch der Abend offenbarte eine noch tiefere Dimension: Hier wurde Musik zur politischen Mission und kulturelle Diplomatie zur Überlebensstrategie.
Keine EU-Fahnen, kein Pomp, kein Protokoll. Als Paweł Kotla den Taktstock hob, ging es um mehr als das offizielle Ende der polnischen EU-Ratspräsidentschaft. Es ging ums Überleben der Kultur. Und auch um die Zukunft eines freien Georgiens, das die EU-Mitgliedschaft anstrebt. Um die Frage, wer die besseren Geschichten erzählt – Putin oder Europa.
Der polnische Dirigent hat eine Mission. Seit Monaten konzertiert er in den Konzerthallen der Krisengebiete, in denen die Kultur nicht verstummt, und sammelt Geschichten von Menschen, die um ihre Freiheit kämpfen. Das Stichwort, das hier alles auf den Punkt bringt, heißt kulturelle Diplomatie – und die kann auch ein weicher Akt von Notwehr sein.
Ein junges Orchester, aufgewachsen mit europäischen Träumen
Sein Instrument an diesem Abend im Tiflis Auditorium war das Giya Kancheli Tbilisi Youth Orchestra. 40 Musikerinnen und Musiker, geboren in die Unabhängigkeit hinein und aufgewachsen mit europäischen Träumen. Gespräche während meines kurzen Aufenthalts in Georgien mit vielen Menschen waren eine Primärquelle für die gegenwärtige Stimmung: Jenseits der generösen Freundlichkeit und lässigen Lebensfreude, die einen überall dort umgibt, ist auch viel Panik in den Köpfen, dass möglicherweise bald Schluss mit lustig ist. Während für dieses Konzert geprobt wurde, regieren in der aktuellen Regierung bereits russische Oligarchen mit. Georgia first? Von wegen. Russia first ist das aktuelle Damoklesschwert.
Das Tiflis Auditorium ist ein organischer Bau mit perfekter Akustik auf allen Plätzen – und ja, diese Offenheit wird zum Symbol und trägt die Musik so frei wie möglich zu den Menschen. Henryk Mikołaj Góreckis „Three Pieces in Old Style“ wirkten zu Beginn des Konzertes wie eine sanfte Rebellion gegen die Lautstärke der Macht. Der polnische Komponist wusste, wie man mit sparsamen Mitteln große Gefühle erzeugt. Góreckis Stück mit seinen atmenden Texturen, diese zarten, reibungsvollen Dissonanzharmonien, diese subtilen Wechselbäder aus Kontemplation und expressiver Dringlichkeit – all das klang wie das Gegenteil einer strategischen, misstrauischen Kulturpolitik, die aus Russland kommt.
Europa als Lebensgefühl
Dann Krzysztof Meyer, ein Schüler Schostakowitschs und auch Pendereckis, der aber im freien Deutschland lebt. Seine „Musica Concertante“ op. 130 entwickelt eine chromatische Sprache voller rhythmischer Finessen, polyphoner Textur und manchmal bedrängender Ausdrucksdichte. Vier Sätze zwischen Ruhe und Raserei, zwischen Trauer und Aufbruch. Krzysztof Meyers Werk klang manchmal wie ein Update des sowjetischen Meisters, dann wieder ganz anders – und heute ohne Angst vor dem Geheimdienst. Die Solisten des Cracow Duo – Jan Kalinowski (Violoncello) und Marek Szlezer (Klavier) – navigierten mit zupackender Spiellust in hitziger Interaktion durch die anspruchsvolle Partitur. Das war Polen nach 1989 in Tönen.
Den Höhepunkt bildete Beethoven. Die „Eroica“, ursprünglich für Napoleon komponiert, bis der sich zum Kaiser krönte und Beethoven die Widmung tilgte. Ein Werk über verratene Ideale – eine perfekte Wahl für die drohende Situation in Georgien im Jahr 2025. Paweł Kotla sieht darin genau das. Aber diese Musik stärkt und setzt pure Freude gegen die Furcht, das stand auch Kotla selbst ins Gesicht geschrieben, der die jungen Georgierinnen und Georgier spielen ließ, als würde es um ihr Leben und die ganze Zukunft gehen. Was es auch tat.
Concerts for Freedom and Solidarity
Seit 2011 hat Paweł Kotla junge Musikerinnen und Musiker aus der Region zusammengebracht. Ausgiebige Gespräche mit Paweł Kotla vor und nach dem Konzert machten die Intention dahinter deutlich. Das Projekt „Concerts for Freedom and Solidarity“, organisiert von der Temida Arts & Business Foundation und der Porta Musicae Artistic Association mit Unterstützung des polnischen Außenministeriums und der polnischen Institute in Kiew und Tiflis, positioniert sich bewusst als Gegenmodell zu autoritären Kulturstrategien. Während despotische Regime die Kultur oft als strategisches Instrument hybrider Kriegsführung einsetzen, setzte Polen mit dem kulturellen Fokus seiner EU-Ratspräsidentenschaft auf Authentizität und Partnerschaft auf Augenhöhe.
Die historische Klammer ist bedeutsam: Bereits 2011 führte Kotla während der damaligen polnischen EU-Ratspräsidentschaft junge Musiker aus der östlichen Partnerschaft zusammen. Vierzehn Jahre später nutzte Polen erneut seine EU-Führungsrolle für ein kulturpolitisches Statement – diesmal jedoch unter dramatisch veränderten Vorzeichen. Solche kulturpolitischen Statements haben heute eine andere Tonart.
Auch im Giya Kancheli Orchestra saßen an diesem Abend im Tiflis Auditorium junge Menschen, die Europa nicht als politisches Projekt sehen, sondern als Lebensgefühl. Und die eben, was hörbar war und schließlich langanhaltenden warmen Applaus hervorrief, Beethoven so spielten, als würden sie gerade ihre Zukunft komponieren.
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