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Kulturpartisanen im Land von Freedom and Democracy

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Osterfestival in Innsbruck mit dem Motto „Das bessere Amerika“
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Das Innsbrucker Osterfestival hat sich seit nunmehr zwölf Jahren einen guten Namen im Kreis der Veranstaltungen mit zeitgenössischer Musik gemacht. Basierend auf christlichem Verständnis, sucht es das Widerständige darin mit neuen musikalischen Denkformen zu verbinden.

Das Innsbrucker Osterfestival hat sich seit nunmehr zwölf Jahren einen guten Namen im Kreis der Veranstaltungen mit zeitgenössischer Musik gemacht. Basierend auf christlichem Verständnis, sucht es das Widerständige darin mit neuen musikalischen Denkformen zu verbinden.Es ist kein Geheimnis, dass die Freiheitsstatue innen hohl ist. Was ermöglicht, dass man von unten zu den spinnennetzartigen Verstrebungen der Fackel blicken kann, durch die buntes Licht einfällt. Hoffnung, eisern umzäunt, das wurde zum Logo des Innsbrucker Osterfestivals 2001. Mit dem Motto „Das bessere Amerika“ war man den musikkulturellen Enklaven auf der Spur, die sich im gesund geredeten Körper von „Freedom and Democracy“ einnisten. Es sind Kulturpartisanen, die dem insbesondere ökonomisch verordneten Gleichschritt kritisch entgegentreten.

Namen? Es gibt viele. Da sind schon im 19. Jahrhundert die philosophischen Freigeister wie Emerson oder Thoreau, der einst in die Wälder bei dem Städtchen Concord zog, um am eigenen Leib experimentell zu erkunden, wie wenig ein Mensch benötigt, ohne dabei Geist und Würde zu verlieren. Auf musikalischem Gebiet schreibt sich die Reihe fort mit dem Universaldemokraten Charles Ives, dem Zufalls- und Zenmeister John Cage, dem Erkunder von verfließender Dauer Morton Feldman, dem Konstrukteur von Freiheitsmustern Christian Wolff... Die künstlerischen Modelle, die da vorgelegt wurden und werden, entwerfen Visionen, die nur mit dem einfallenden Licht durch das Fackelgerät der Freiheitsstatue zu vergleichen sind.
Konzept des Osterfestivals, das von der Familie Crepatz aufopferungsvoll betreut wird, ist – und am entschiedensten wird das in der Osternacht verwirklicht –, den ganzen Tagesablauf in liturgisch-künstlerische Formen einzubinden. Bewusstes Leben und Erleben reichen sich die Hand. Hierzu werden Kompositionsaufträge vergeben, die immer wieder auf das Thema des Festivals bezogen sind.

„Das bessere Amerika, das sind doch wir Mexikaner“, hatte der junge Komponist Arturo Fuentes auf Anfrage geäußert. Und er schrieb ein Werk für vier Schlagzeuger, Flöte, Erzähler, Licht und gefrorene Stimme, das direkt an der Mexiko aufgezwungenen Grenze zu den USA spielt. Der große nationale Schriftsteller Carlos Fuentes hatte hier seinen Roman „Die gläserne Grenze“ angesiedelt: hier die Heimat, drüben die siegreiche Welt. Ein alter Patriot, gebrochen im Rollstuhl, denkt über sein Leben nach, erinnert sich, weiß, dass er vergessen muss, träumt. Carlos Fuentes hat selbst Passagen für die Komposition von Arturo Fuentes (nicht verwandt) gesprochen. Daraus entstand eine musikalisch inszenierte, fragmentarische Lesung; das an vier Ecken aufgestellte Münchner Percussion Art Quartet umzäunte das Publikum und spann flirrende Klanggewebe, aus denen sich die Flöte (Burkhard Jäckle) immer wieder emphatisch herauszuwinden suchte. Doch Arturo Fuentes’ Musik tat sich schwer gegenüber den amerikanischen Werken des Abends, vor allem gegen eine freche Version von John Cages Trivial-Collage mit dem doppeldeutigen Titel „Credo in US“ oder auch gegen Georges Crumbs „An Idyll for the misbegotten“, das die Verrottung und Zerstörung der Welt in einem musikalischen Prozess schildert, der von lyrischer Gelöstheit in immer desaströsere Regionen brutaler Klanggewalt schliddert.

Am nächsten Abend stand in der Innsbrucker Jesuitenkirche die in den liturgischen Verlauf der Palmsonntagprozession integrierte Lukas-Passion des in Liverpool lebenden Österreichers Norbert Zehm an. Das 40-minütige Werk parzelliert den Bibel-Text, haut ihn zu Schründen, integriert auf die USA bezogenes Gegenwärtiges: „70 Kinder! Warten derzeit in amerikanischen Todeszellen auf die Korrekturmaßnahmen der Gesellschaft.“ Der Leidensgang Christi ist auch heute nicht zu Ende, teilte das Stück emphatisch mit. Diese Emphase freilich stieß sich nicht selten an zwar prägnant gesetzten, aber zu Selbstläufern verblassenden repetitiven Modellen die Nase wund. Zehm sucht Verbindliches (Verständliches?) über den Zugriff rhythmisch-motivischer Wiederholungsmuster. Modelle aber, die jeder sogleich begreift, die goutiert werden, gehen oft einher mit der Gefahr des Beliebigen.

In der Osternacht gab es dann noch eine Uraufführung, die dem Geist des Festivals umfassend entsprach. Es war Klaus Langs „der weisse pfirsich und der lallende quell“: Leise mikrotonale Klänge von im Raum verteilten Interpreten, ausgehaltene Schwebungen, Stille aus der Ferne, hellhörig empfunden. So müssen die Sirenen einst über das weite Meer herübergeklungen haben. Langs Musik lässt den Hörer bei sich, lässt ihn sich finden, und zugleich markiert das Insistierende seiner Musik die Auflehnung gegen stumpfen Gleichlauf. Dass er von dem US-Amerikaner Morton Feldman inspiriert ist, wird ebensowenig geleugnet, wie eine Kopie versucht wird. Dafür ist die Musik Langs zu eigenwillig.

Das Innsbrucker Osterfestival „Das bessere Amerika“ bewies somit, dass im Gärkessel von ökonomischer Härte und permanent propagierter Freiheitsideologie Modelle wachsen, die unser abendländisches Dasein fruchtbar unterminieren können. Ostern heißt ja auch, an die Möglichkeit des Besseren zu glauben. Und woher dies Bessere kommt, spielt im „global village“ ohnehin kaum mehr eine Rolle.

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