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Demis Volpis Inszenierung von Benjamin Brittens Oper „Death in Venice“. Foto: Oper Stuttgart, Presse
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Kuss zum Tode – Benjamin Brittens „Death in Venice“ an der Oper Stuttgart

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Venedigs prächtigen Palazzi, der Lido, die Kanäle, das Grand Hotel des Bains sind in Stuttgart eine Sache der Imagination. Demis Volpis Inszenierung von Benjamin Brittens Oper „Death in Venice“ zeigt die Hauptfigur Gustav von Aschenbach wie durch ein Teleobjektiv herangezoomt, zeigt, wie sie im Sog der Gefühle durch ein Labyrinth von aufragenden Milchglaswänden taumelt. Grandios verkörpert ihn das Stuttgarter Ensemblemitglied Matthias Klink als einen von unbekannten erotischen Empfindungen Getriebenen. Der Dirigent Kirill Karabits schafft mit dem Staatsorchester dazu einen farbsatten Strom, der dem Helden einen lichten Tod bereitet, nachdem er überraschend nicht von dem geküsst wurde, den er bislang offenkundig mit seinem Blick begehrte.

Benjamin Brittens Opern sind glücklicherweise keine Rarität mehr auf den deutschen Spielplänen. Außer in Stuttgart. 1954 „The Rape of Lucretia“, 1960 John Crankos Ballett „The Prince of the Pagodas“, 1975 die Kammeropernsatire „Albert Herring“. Das war’s. Kein „Peter Grimes“, kein „Billy Budd“, nicht „The Turn of the Screw“. Nach der Berliner Neuproduktion kürzlich an der Deutschen Oper Berlin (Verlinken: ) hatte Brittens letzte Oper „Death in Venice“ nach Thomas Manns Novelle nun an der Staatsoper Stuttgart Premiere.

„It’s either the best or the worst music I’ve ever written“, hatte Benjamin Britten nach Beginn der Arbeit in einem Brief am 21. Oktober 1972 an den Choreografen Frederick Ashton geschrieben. Weder noch, möchte man heute mit Wissen auf das Gesamtwerk sagen: weder ist es im Ganzen das (musikalisch) beste Werk des Orpheus britannicus, noch ist es sein (vom Sujet) schlechtestes. Britten wusste, dass sein „Tod in Venedig“ mit den unverhüllt autobiografischen Zügen zu solchen Verdikten Anlass geben würde: dass bereitete ihm einerseits Sorge, andererseits befreite die ablaufende Lebenszeit den schwer Herzkranken vor Versteckspielen. „Death in Venice“ ist ein Bekenntniswerk, geschrieben für den Lebenspartner Peter Pears, ihm gewidmet, der auch die Hauptrolle bei der Uraufführung 1973 in Aldeburgh übernahm, geschrieben als Zeugnis einer schwulen Partnerschaft. Schließlich ist es ein Zeugnis von Brittens Lebensthemen, der Verführung durch jugendlichen Eros, pädophile Sehnsüchte, den Verlust der Unschuld – und was all das für einen Künstler bedeutet. Heißt er Gustav von Aschenbach oder Benjamin Britten.

Alle Fallen umschifft

Demis Volpi, der Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts, umschifft in seiner zweiten Operninszenierung all die Fallen, die der Stoff bereithält, und in die Luchino Visconti bei aller Kunstfertigkeit (sehenden Auges?) mit seiner Film-Adaption 1971 getappt ist: den schwul-schwülen Kitsch vor Venedigs Wasser-Stein-Kulisse, die elegische Ausmalung der Platen’schen Verse „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,/Ist dem Tode schon anheimgegeben“. Volpi ist in diesem Fall auch die richtige Wahl, weil die oft nicht realisierte Vorgabe der Partitur, die Darstellung der polnischen Familie und Tadzio, des Knaben mit dem „Ausdruck von holdem und göttlichem Ernst“ (Thomas Mann), tatsächlich mit Tänzern realisiert wird; die Nachbarschaft der erstklassigen Sparten Oper und Ballett unterm Dach der Württembergischen Staatstheater legen es nahe. Mit diesem dramaturgischen Zug, dem Genre-Babylon, illustriert Britten die Unvereinbarkeit der Sprachen und Sphären des Dichterkünstlers Aschenbach mit denen von Tadzio (Gabriel Figueredo, Mitglied der John-Cranko-Schule). Volpi durchbricht zwar in einigen Momenten diese Grenze, indem er Matthias Klink als Gustav von Aschenbach in einen angedeuteten, dezenten tänzerischen Dialog mit dem Jüngling und seiner Familie treten lässt: Dass ein Regisseur-Choreograf sich bei einem so fabelhaften Darsteller wie Klink diese Gelegenheit nicht entgehen lässt, ist andererseits verständlich. Klinks musikalische Intelligenz – er emanzipiert sich von dem Vorbild Pears mit kräftigeren vokalen Farben ohne dafür die delikate Lineatur aufzugeben – entspricht seiner durch sportliche Figur begünstigten körperlichen Ausdrucksstärke: Timing, Biegsamkeit, Raumgefühl. Nicht umsonst bot ihm der Intendant des Stuttgarter Balletts, Reid Anderson, nach der Premiere scherzend einen Vertrag in seiner Kompanie an. Das deutet Klinks immense Identifikationsleistung mit dem intellektuellen Schriftsteller aus München an, der hier kein alter Mann inmitten einer massiven Schaffenskrise ist, sondern in der Mitte des Lebens steht. Ein Mann, der nicht nur durch die erotischen Gefühle einer anderen Zugehörigkeit im Kern getroffen wird, sondern daran leidet, dass ihm die sicher geglaubten Mittel für die Kunstproduktion entgleiten: „Form, Einfachheit, Disziplin“. Schönheit aber wird durch die Sinne erweckt, heißt es in Myfanwy Pipers Libretto. Was folgt sind Leidenschaft und der Abgrund.

Wunderbar ins Licht gesetzt

Solche grundstürzenden Fragen lassen sich nicht durch illustrativen Postkarterealismus auf die Bühne bringen. In der Stuttgarter Aufführung findet Venedig in den Köpfen der Akteure und Zuschauer statt. Die Kostüm- und Bühnenbildnerin Katharina Schlipf hat eine intelligent-elegante Lösung für die ineinander gleitenden 17 Bilder gefunden: aufragende Glaswände – mal milchgläsern diaphan, Körper dahinter andeutend, mal mit klaren Spiegeln, dann mit matten Goldflächen Tiefe suggerierend – bilden die von Reinhard Traub wunderbar ins Licht gesetzten variablen Spielorte, die anfangs mit kleinen Buchgebirgen ausstaffiert, durch geschickten Einsatz der Drehbühne ständig verändernde Perspektiven freigeben. Das gleicht Aschenbachs neugierigem Blick, der der polnischen Familie und Tadzio durch Venedigs Gassen folgend, hier einen Durchblick auf sie erhascht, dort von einem koketten Augenaufschlag des Jünglings überrascht wird. Sich windende, deformierte schwarze Hieronymus-Bosch-Körper (Catriona Smith, Idunnu Münch, Dominic Große) oder wild feierndem Proleten-Fangruppen bilden eine beunruhigende Gegenwart, die ebenso rasch verschwinden, wie sie hereingeweht wurden.

Als Todesbote in vielerlei Gestalten (Reisender, Gondoliere, ältlicher Geck, Coiffeur, Hotelmanager, Dionysos und wild auftrumpfender Anführer der Straßensänger) ist der geschmeidige Georg Nigl zugleich Vertreter der banalen Wirklichkeit und Antagonist des Künstlerhelden. Und dazu steckt in ihm, dem dunklen, lässig tänzelnden Verführer mit dem teuflisch rot gefärbtem Haar im Kapuzen-Shirt, auch ein Rest der Schönheit, der Aschenbach hinterherbibbert, er ist – und das ist der Clou der Inszenierung – das alt gewordene Prinzip Tadzio. So wie übrigens Aschenbach den vielen Namenlosen da draußen Modell ist, wenn der Chor wie er schwarz gekleidet in einer kurzen Szene einem ungesehenen Idol hinterhersehnt.

Von Sonnenreflexen überglitzertes Meer

Dieser Bote des Jenseits ist es, der den an der Cholera siechenden Aschenbach zu Tode küsst, es ist ein Moment, in dem kaleidoskopisch Künstlerdrama und sexuelles coming-out, Begehren und Erfüllung ineinanderfallen. Der Dirigent Kirill Karabits und das Württembergische Staatsorchester stimmen dazu den mahlerisch strömenden Abgesang an, lassen das von Sonnenreflexen überglitzerte Meer flirren. Benjamin Brittens mit kleinen Dissonanzeinschlüssen zu noch lichterer A-Dur-Schönheit getriebener Abschied von der Oper verdichtet sich hier zur Transzendenz von Geist und Körper in Klang. Orchestral ein überragender Abend, weil Karabits, das Verlaufen der Farben einerseits diszipliniert steuert, ohne andererseits die dahinter wirkende Mechanik merkbar werden zu lassen. So satt, fein, rhythmisch frei belebt tönte es hier lange nicht mehr aus dem Graben.

Leicht zerfasert wirkt die Inszenierung, wo Benjamin Britten nicht auf seiner Höhe komponiert hat, wie in dem überlangen Apollo-Traumbild, einem Knaben-Wettstreit unter der Patronage des Gottes Apoll, das in Stuttgart leicht gekürzt wurde; der Komponist hatte selbst mit dem Gedanken an einer Raffung gespielt. Obwohl Volpi den in bronzegold bemalten, fast nackten Gott als Shiva-Inkarnation im Flammenkreis überzeichnend zeigt (skulptural muskeldefiniert: David Moore, erster Solist des Stuttgarter Balletts), mag sich die parodistische Note nicht völlig entfalten, auch wenn Tadzios Strandgefährten versuchen, es dem vielarmigen König der Tänzer posierend gleichzutun. Klar, das Objekt (der allgemeinen Begierde) ist eine mechanische Puppe. Als solche findet im letzten Bild Apolls Entgöttlichung statt, wenn der Todesbote/Dionysos ihn mit Hilfe des Hotelportiers (Daniel Kluge) versucht, aufzurichten, ein erst seltsam aufgekratzt wirkender, dann schlüssiger Slapstick-Moment, ihm darauf die Farbe abschminkt, der Gott plötzlich alle Körperspannung verliert und nun aus der Rolle fallend lässig schlendernd abgeht. Da wiederum zeigt sich Volpis kühle Strategie der Gefühligkeitsvermeidung.

  • Weitere Aufführungen: 11., 14., 18., 25. Mai, 5., 18. Juni, 7., 19. Juli

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