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Pierre Boulez: Die Alumni ehren den Meister. Foto: Charlotte Oswald
Pierre Boulez: Die Alumni ehren den Meister. Foto: Charlotte Oswald
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Lebendige Musiker, virtuelle Orchester

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Das Alumni-Orchester der Lucerne Festival Academy: Geburt einer neuen Orchesterstruktur
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Für das Lucerne Festival war Pierre Boulez eine Leitfigur im Bereich der Neuen Musik und Nachwuchsförderung. Nun wurde zwei Monate nach seinem Tod seiner gedacht mit einem Konzert, das durch seine Organisationsform interessante neue Perspektiven eröffnet.

„Alumni-Orchester der Lucerne Festival Academy“: Der Name ist etwas umständlich, erklärt aber genau, um was es sich bei dieser neuen, ad hoc ins Leben gerufenen Formation handelt. Sie besteht aus ehemaligen Mitgliedern des Orchesters der Festival Academy, der von Pierre Boulez und Festivalleiter Michael Haefliger gegründeten Einrichtung, wo jeden Sommer Neue Musik gelehrt und aufgeführt wird. Nun kamen die Alumni zu einem Gedenkkonzert für Boulez zusammen, das kurzfristig in das Programm des Luzerner Osterfestivals eingeschoben worden war. Über 100 junge Musikerinnen und Musiker aus allen Teilen der Welt, aufgeboten in weniger als zwei Monaten – schon logistisch ist das eine Meisterleistung. Aber auch musikalisch war es ein Kraftakt ohnegleichen, und trotz extrem kurzer Probenzeiten war das künstlerische Niveau erstaunlich hoch. Das war nicht nur der hohen Motivationsenergie und Partitursicherheit des Dirigenten Matthias Pintscher zu verdanken, sondern auch der über die Jahre hinweg gewachsenen Vertrautheit der Interpreten mit den Auffassungen ihres Mentors Boulez. Sie bildete ein einigendes Band für die vielen jungen Musiker, die sich zum Teil jahrelang nicht mehr oder sogar überhaupt noch nie gesehen hatten und sich nun plötzlich miteinander auf der Bühne des großen Luzerner Konzertsaals wiederfanden.

Im Zentrum des Programms standen die drei Orchesterstücke op. 6 von Alban Berg und Strawinskys „Sacre du printemps“, zwei klanggewaltige, strukturell dichte Werke aus der Frühzeit der Moderne, die zum Kernrepertoire des Dirigenten Boulez gehört hatten. Eingerahmt wurden sie von zwei Kompositionen von Boulez: „Don“ aus „Pli selon pli“, dem großen Mallarmé-Zyklus für Sopran und Orchester aus der seriellen Phase um 1960, und, als introvertierter Nachklang, vom kurzen Ensemblestück „Mémoriale“ für Flöte und acht Instrumente. Wie alle Beteiligten zählten auch die beiden Solisten, die Sopranistin Yeree Suh und der Flötist Yi Wei Angus Lee, zu den hier erstmals versammelten Luzerner Alumni.

Der Geist des Akademiegründers Boulez war in diesem Konzert für alle spürbar präsent, sowohl auf dem Podium als auch im vollbesetzten Saal. Das kam auch in der Gedenkrede von Wolfgang Rihm zum Ausdruck, der daran erinnerte, dass für den institutionell denkenden und handelnden Künstler Pierre Boulez Institutionen nie bürokratische Einrichtungen waren, sondern schöpferische, in die Zukunft hineinwirkende Kraftzentren. Ein solches Kraftzentrum ist auch die Lucerne Festival Academy, und nun schickt sie sich an, ihr seit ihrer Gründung 2003 akkumuliertes künstlerisches und organisatorisches Potenzial in globalem Maßstab fruchtbar zu machen. Das klingt verwegen, ist aber dank der heutigen Kommunikationstechniken Realität. Datenbank und Internet machen es möglich. Aus den Akademisten, die jedes Jahr in Luzern zwei Wochen lang zusammen musizieren, ist im Laufe der Zeit ein Pool von mehr als tausend jungen, über alle Welt verstreuten Alumni entstanden; sie haben den künstlerischen Geist der Festival Academy bewahrt und geben ihre Erfahrungen oft auch schon beruflich weiter. Nun sind sie über eine zentrale Datenbank und ein Intranet miteinander vernetzt, sie können ihre Erfahrungen untereinander austauschen, gemeinsam Pläne entwerfen und bei Gelegenheit von der Luzerner Zentrale aus auch künstlerisch aktiviert werden. Dort verfolgt man das Ziel, aus der über alle Kontinente verstreuten Schar der Alumni immer wieder andere Gruppierungen zu formen, je nach Auftrittsort, Veranstalter und Musiker vor Ort. Fest geplant sind bereits Konzerte im Juni in New York im Rahmen der NY Phil Biennial und im Sommer in Luzern.

Das Organisationsprinzip ist von verblüffender Aktualität. Es entspricht dem allgemeinen Prinzip des digitalen Rechners, wo die vorhandenen Daten auch erst abgerufen werden, um sich dann im Arbeitsspeicher zu flüchtigen Konstellationen von sinngebender Wirkung zusammenzufügen. Nur mit dem Unterschied, dass sich hier lebendige Menschen, Teilnehmer eines Netzwerks, treffen, um auf dem Konzertpodium lebendige Musik zu machen. Auch das Alumni-Orchester, das nun in Luzern zusammenkam, ist ein solches „virtuelles Orchester“, geschöpft aus dem großen Reservoir verfügbarer Musiker. Nichts ist dabei von dauerhaftem Bestand, außer der Struktur selbst. Das ist eigentlich ein Gedanke, wie er dem Kopf von Pierre Boulez entsprungen sein könnte.

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