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Häuptling Halbschatten in Zwirn und Federschmuck: Meik Schwalm als Chief Joseph II. Foto: Ruth Walz
Häuptling Halbschatten in Zwirn und Federschmuck: Meik Schwalm als Chief Joseph II. Foto: Ruth Walz
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Lehrszenen aus dem Wilden Westen

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Zur Uraufführung von Hans Zenders „Chief Joseph“ an der Berliner Staatsoper
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„Diese Show ist ganz schön exzentrisch. Aber mir passen die Absichten des Entertainers nicht, dem Zuschauer ein schlechtes Gewissen machen zu wollen.“ Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als habe Hans Zender mit diesem, im Libretto englisch gesungenen Statement eines Touristen den Haupteinwand, den er als Reaktion auf seine neue Oper schon erwartet haben dürfte, gleich einkomponiert. Auch der Gegenpart ist natürlich präsent, jener andere Tourist nämlich, der als Bewunderer das Grab des Nez-Percé-Häuptlings Chief Joseph besucht, was als Rahmenhandlung die nicht-lineare Szenenfolge auslöst.

So erleben wir den Aufstieg des „Donners, der über die Berge rollt“ (so die Übersetzung seines indianischen Namens) zum Häuptling, werden Zeuge seiner vergeblichen Versuche zwischen seinem Volk und den Weißen zu vermitteln und eines letzten Aufbäumens vor der endgültigen Deportation in die Reservate. Wobei das mit dem Erleben so eine Sache ist. Im Grunde sind es Argumente, Drohungen und Klagegesänge, die Zender aus historischen Quellen, zuallererst aus Chief Josephs Rede vor dem Kongress, zu einem Thesenpapier zusammengestellt hat. Handlungselemente ergeben sich daraus kaum, auch die Dialogpassagen entbehren jeglicher Theatralik, schließlich hatte Zender selbst die Unmöglichkeit einer Kommunikation zwischen den Kulturen zu einem Hauptthema seines Musiktheaterwerks erklärt. Die nicht eben originelle Aufspaltung der Titelfigur in mehrere Personen verstärkt den Eindruck, dass Menschen hier vornehmlich als Träger von Ideen und nicht als dramatis personae auf der Bühne stehen.

Auf formaler Ebene hat Zender dies freilich souverän umgesetzt. Die wiederkehrenden Elemente, seien es die Rezitative der Rahmenhandlung, die ausgedehnteren Verhandlungsszenen, die Klagegesänge oder indianischen Lieder, korrespondieren jederzeit nachvollziehbar miteinander: in der Instrumentation, die das 28-köpfige Instrumentalensemble in wieder erkennbare Mischungen unterteilt und in der Orchestersprache, die sich von der temperierten Skala bis in zwölfteltönig differenzierte Bereiche verästelt. Die Abfolge dieser Formbausteine rhythmisiert den Ablauf auf der Makroebene, gliedert ihn sinnfällig. Zwingend im musikdramatischen Sinne wird die Musik jedoch nur dort, wo sie sich einmal nicht hinter den beflissen deklamierten Texten zurückhält, sondern wirklich Raum greift und das gesungene Wort um eine Dimension bereichert.

Die totale Verfremdung der Klagegesänge durch das koreanische (!) Ajeng ist in ihrer Reduktion eine solche Bereicherung, eine andere liefern die gegen Ende der drei ohne Pause aufeinander folgenden Akte sich verdichtenden „Rotationen“. Hier montiert Zender weitere Texte (Goethe, Brecht, Pound und andere) und weitet sie auf der Basis einer Machaut-Motette zu komplexen Kommentaren. Auch dank der grandiosen Bewältigung durch die Stuttgarter Vokalsolisten waren dies Höhepunkte, nach denen die knappen, rein rhythmisch-geräuschhaften „Leer-Szenen“ nur um so stärker wirkten, nicht zuletzt weil sie am wenigsten als „Lehr-Szenen“ fungieren.

Die Inszenierung der nicht eben enthusiastisch aufgenommenen Uraufführung an der Berliner Staatsoper hatte Intendant Peter Mussbach höchstselbst übernommen, ohne dass sein Versuch, dem spröden Sujet durch Überblendung mit geschäftigem Gegenwartstreiben szenische Relevanz zu verleihen, wirklich erfolgreich gewesen wäre.

Immerhin gelang es ihm, durch eine Verlagerung vor den Eisernen Vorhang die am Ende zwar eindrücklich, dramaturgisch aber eher wacklig eingeflochtenen Hiroshima-Bezüge optisch sinnfällig abzugrenzen. Schade auch, dass der indianisch-amerikanische Künstler Jimmy Durham auf den als Einheitsbühne fungierenden Gerüstbau nicht halb soviel Inspiration verwandt hatte wie auf seine ethnisch-augenzwinkernden Objekte, die so manche Ecke des Opernhauses zierten.

So blieb die Hochachtung vor der ausgezeichneten Ensembleleistung, aus der allenfalls Meik Schwalm als Chief Joseph II herauszuheben wäre, und vor der über jeden Zweifel erhabenen Umsetzung durch die Mitglieder der Staatskapelle unter Johannes Kalitzkes animierender Leitung.

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