Leipzigs „Ring“-Geschichte wird fortgeschrieben, hier nochmal die Eckdaten: 1878 gab es dort die erste Aufführung der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ außerhalb von Bayreuth. Einhundert Jahre danach wurde der Zyklus bislang letztmals in Wagners Vaterstadt gezeigt. Zum 200. Komponistengeburtstag startete eine Neuauflage (nmz-online 5.5.2013). Dem Vorabend folgte nun der Erste Tag des Bühnenfestspiels.
Man könnte „Die Walküre“ als nachträgliches Geburtstagsgeschenk sehen und dürfte gewiss davon ausgehen, dass Richard Wagner seine Freude an dieser Neuproduktion der Oper Leipzig gehabt haben würde. Erstes aus Gründen der Rehabilitierung, denn seine Vaterstadt hat es zu Lebzeiten nie sonderlich gut gemeint mit des Meisters Musikschaffen. Zweitens, weil nach dem mangels audiovisueller Dokumentation zunehmend verklärten „Ring“ von Joachim Herz endlich ein erneutes Herangehen gewagt wird. Drittens und aus weiteren Gründen wegen der Konsequenz, die Tetralogie in die Hände eines konstant bleibenden Teams zu legen sowie wegen der energischen Ambition des Gewandhausorchesters, sich Wagner wieder würdig zu erweisen. Wagnerwürdig sozusagen.
Der Intendant, Generalmusikdirektor und musikalische Leiter des neuen „Rings“ musste zur Premiere der „Walküre“ dennoch heftige Buh-Orkane über sich ergehen lassen, wobei Grenzen des Anstands teils schon überschritten wurden. Denn Ulf Schirmer schlug zwar ein recht verhaltenes Tempo an, ließ Themen- und Spannungsbögen aber nie zerreißen und baute prachtvoll Wirkung auf. Es gab da kein Durchhängen, wenngleich die fünfstündige Dauer des Premierenabends ganz wortwörtlich in seinen Händen lag. Die hätten einige klappernde Einsätze durchaus vermeiden können, besser gesagt, sie hätten es tun müssen. Sie hätten gewiss auch bei der Dynamik eingreifen sollen, um a) die Wagnersche Klanggewalt ein wenig auszudifferenzieren und es b) den Sänger-Darstellern nicht unnötig schwerzumachen. So aber blieb das sich ausnahmslos um beste Textverständlichkeit bemühende Ensemble mitunter ziemlich zugedeckt, stolperten die Walküren und blies manches Blech im Premiereneifer mit einigem Vorwitz. Insgesamt gewiss keine Aufnahmequalität, aber auch nichts, wofür man sich ganz verstecken muss.
In dieser mit Gästen und Hausmitgliedern besetzen Oper taten sich stimmlich Kathrin Göring als Fricka, Markus Marquardt als Wotan sowie Christiane Libor und Guy Mannheim als Sieglinde und Siegmund hervor. Überrascht hat die Brünnhilde von Eva Johansson mit ihrer enormen vokalen Kraft, die sich leider viel zu selten als höhentauglich erwies. Schon dafür hätte Siegvater Wotan als „Unfreiester aller Götterväter“ sie abstrafen müssen. Aber er tat es natürlich nur aus der Handlung heraus. Als würde nicht gerade dieses Werk eine Entsprechung von Bühne und Graben, von Hören und Sehen verlangen!
Mit der Sicht von Regisseurin Rosamund Gilmore, Bühnenbildner Carl Friedrich Oberle und Kostümbildnerin Nicola Reichert wird das einerseits frische, andererseits behutsam pastose Herangehen an Wagners Opus magnum fortgesetzt, wie es im „Rheingold“ schon angelegt war. Konsequent gibt es für jeden Aufzug ein eigenes Bild, die „Walküre“ startete logisch mit Hundings Heim, einem um die Weltesche herum gebauten Bunker. Darin eine ganze Menge an Gewehren, die einem passionierten Wilddieb gut anstünden, im Kampf gegen Nothung jedoch nicht ganz fair sind, schon gar nicht zeitgemäß, wahrscheinlich aber eher eine Anspielung an Wagners kurze Dresdner Revolutionsphase sein sollten. Reichlich bemüht geriet in diesem Ambiente die Liebesszene der beiden voluminösen Geschwister am Küchentisch, doch irgendwie musste der Held für den Zweiten Tag („Siegfried“ soll in der kommenden Spielzeit in Leipzig herauskommen) ja gebacken werden.
Noch biografischer wird es in der großen Wotan-Erzählung, die in einer zerrissenen Villa Wahnfried ausgetragen wird, wobei Fricka zunehmend Oberwasser gewinnt. Wer da ein Ringen zwischen Richard und Cosima hineindeutet, dürfte so falsch nicht liegen. Eine Paraderolle für Kathrin Göring, die erst ganz das frustrierte und bigotte Wohlstandsweib gibt, das Psychospiel mit ihrem Göttergatten Wotan aber bald so in der Hand hat, dass sie die Bedingungen stellt. Da hilft dem Manne kein Jammern, von wegen „ich Unfreiester aller“! Markus Marquardt mimt hier weniger leidenschaftsvoll denn fügsam geknickt. Um wie viel mehr wird ihn später die Enttäuschung wurmen, wegen dieser Schmach ausgerechnet sein „kühnes / herrliches Kind“ Brünnhilde abstrafen zu müssen.
Bis dahin ist Siegmund aber schon längst von Sieglindes Ekelpaket Hunding im feigen Nahkampf erschossen worden – und Wagner wie Wotan werden nie geahnt haben, wie sehr sich jeweils die Gattin noch ins eigene Schaffen einmischen mag. Wie dräuende Schatten der Zukunft lagerten Militärmäntel und Helme am Boden, die sich schließlich für den Bühnenumbau personifiziert erhoben, als wollten sie sogleich in die Winterschlacht von 1915 ziehen.
Doch das dritte Bild führt nicht in die Masuren, sondern – sinnbildlich – an den Canale Grande. Wagners Sterbehaus Palazzo Vendramin-Calergi scheint im sumpfigen Boden zu versinken, steht schief und bedeutet somit nichts Gutes. Die Welt ist ins Wanken geraten, muss – für diesen „Ring“ jedenfalls – noch ein wenig ausharren, denn die „Götterdämmerung“ wird es in Leipzig erst zur Saison 2014/15 geben. Bis dahin geht es sicherlich konsequent mit dieser Inszenierungsidee weiter. Musikalisch darf noch geputzt werden.
Termine: 22. Dezember 2013, 5. und 11. Januar 2014