Flüchtig und geheimnisvoll sind die Klänge aus dem Reich der Toten, das die Lebenden seit jeher angezogen hat. Dunkle Mythologien wurden um den Ahnenkult gezimmert, auch die Kraft der Religionen beruht nicht zuletzt darin, den Menschen glauben zu machen, im Jenseits wende sich alles zum Besseren. Heilserwartungen im Himmelreich wird man Hans Neuenfels zwar kaum vorwerfen können, wenngleich seine Proklamation durchaus im Trend jahrtausendealter Traditionen steht: „Wir müssen die Toten retten“ lautet ein Kernsatz seines für die Stuttgarter Staatsoper entstandenen Librettos, das wohl auf die Geschichtsphilosophie Walter Benjamins reflektiert, mit der Kraft „rettender Kritik“ Bruchstücke des Vergangenen dem Trümmerfeld der Geschichte zu entreißen, um sie für die Gegenwart nutzbar zu machen.
Flüchtig und geheimnisvoll sind die Klänge aus dem Reich der Toten, das die Lebenden seit jeher angezogen hat. Dunkle Mythologien wurden um den Ahnenkult gezimmert, auch die Kraft der Religionen beruht nicht zuletzt darin, den Menschen glauben zu machen, im Jenseits wende sich alles zum Besseren. Heilserwartungen im Himmelreich wird man Hans Neuenfels zwar kaum vorwerfen können, wenngleich seine Proklamation durchaus im Trend jahrtausendealter Traditionen steht: „Wir müssen die Toten retten“ lautet ein Kernsatz seines für die Stuttgarter Staatsoper entstandenen Librettos, das wohl auf die Geschichtsphilosophie Walter Benjamins reflektiert, mit der Kraft „rettender Kritik“ Bruchstücke des Vergangenen dem Trümmerfeld der Geschichte zu entreißen, um sie für die Gegenwart nutzbar zu machen.Schon 1981, im Vorfeld seiner legendären Frankfurter „Aida“-Inszenierung meinte Neuenfels, eine merkwürdige Parallele der Biografien Giuseppe Verdis und Sylvia Plaths entdeckt zu haben, die er in einer kurzen Novelle festhielt. Dass Neuenfels just im todesseligen Wien auf eine Partnerin stieß, um diese lang gehegte Idee zu verwirklichen, den italienischen Komponisten und die britische Dichterin auf der Bühne einander begegnen zu lassen, ist auch kein Zufall: Die rumänien-deutsche Komponistin Adriana Hölszky, deren Musik stets mit einem transsylvanischen Lächeln auf das Totenreich blickt, war mit ihrer Genet-Vertonung „Die Wände“, die Neuenfels 1995 für die Wiener Festwochen inszeniert hatte, bereits ganz beim Thema.Für die im Auftrag des Stuttgarter Staatstheaters entstandene Oper „Giuseppe e Sylvia“ wird dieses fiktive, von vielerlei Projektionen bestimmte Treffen von einem Filmregisseur arrangiert, der die beiden Toten wieder erweckt, um mit ihnen eine unsterbliche Filmszene drehen zu können. Dazu gesellt sich ein ermordeter Kellner, Roberto, der sich gleichsam als geiler Götterbote zwischen Giuseppe und Sylvia drängt. Was Verdi, den erfolgreichen Opernkomponisten, mit der an ihren eigenen Ansprüchen gescheiterten Dichterin verbindet, ist freilich nur in blassen Konturen erahnbar: Psychoanalytisch angehauchte Rückblenden auf das verflossene Leben lassen ein Trauma Verdis erkennen, als er um 1840 innerhalb zweier Jahre seine beiden Kinder und seine erste Frau Margherita durch den Tod verlor. Sylvia Plath, von der Mutter zur Perfektionistin getrimmt, erlebte einen ähnlichen Schock durch die Trennung von ihrem Ehemann, dem englischen Dichter Ted Hughes, die 1963 letztlich in den Selbstmord der erst 31-jährigen amerikanischen Dichterin mündete.
Daraus eine Parallele zu ziehen, wirkt aber doch reichlich konstruiert, selbst wenn Neuenfels’ deftige Sprache alle Unebenheiten glatt bügeln will. Da nutzte auch der Kulminationspunkt der Oper wenig, als der virile Roberto, der stets einen Knoten in seinen überlangen Schwanz dreht, um seine Geilheit zu bezähmen, den Geschlechterkampf gegen den alten Verdi gewinnt, um die im Negligee umhergeisternde Sylvia triumphierend davonzutragen. Am Ende der dreizehn Bilder sitzt das Totentrio dennoch friedlich an einem Tisch der Bar Ridente auf Ischia: „Ja, lassen wir die Lebenden ruhen“, verkündet Sylvia, weil sie den Liebesalptraum der Lebenden nicht länger spielen will. Worin ihr schließlich sogar Roberto Recht gibt.
Adriana Hölszky ist diese mit vagen Assoziationen spielende Story, die Neuenfels selbst auf dem glatten, aber von schrundigen Rissen durchzogenen Marmorboden der sonst ziemlich leeren Bühne Reinhard von der Thannens inszenierte, hörbar fremd geblieben. Dennoch schlägt die Musik ihrer rund achtzigminütigen Oper, die vieles von der Tonsprache der „Wände“ weiterspinnt, immer wieder in den Bann. Ohne Verdi je zu zitieren, kokettiert die Musik mit höchst melodiösen Phrasen, um sogleich oft nur dumpf artikulierte, streng durchrhythmisierte Passagen folgen zu lassen. Mit solch jähen, filmischen Schnitten sucht die filigrane Partitur Neuenfels’ wildem Libretto zu begegnen. Schattenhaft sind vor allem die oft nur per Computer zugespielten und über Lautsprecher im gesamten Auditorium kreisenden Chöre, die Otto Kränzler vom Studio des Künstlerhauses Stuttgart überaus gekonnt abgemischt hat.
Durch diese elektronischen Zuspielungen erhält die sehr streng konstruierte Partitur eine große Dichte, obwohl – unter der profunden Leitung Johannes Kalitzkes – nur 23 Musiker des Staatsorchesters Stuttgart im Orchestergraben spielen. Celesta, Cembalo und Gitarre verleihen der Musik überdies eine gläserne Jenseitigkeit, durch die vor allem die Szenen mit den bleich geschminkten Toten in surreale Abgehobenheit gleiten. Der würdevolle Bariton Michael Ebbecke als Giuseppe, die Sopranistin Evelyn Herlitzius als hysterisch aufgeladene Sylvia, der counterartige Tenor Rolf Romei als buhlender Roberto und vor allem der Chor der Stuttgarter Oper verleihen dieser Aufführung eine charakteristisch entrückte Atmosphäre.