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Frederike Schulten (Octavian), Karola Sophia Schmid (Sophie), Evmorfia Metaxaki (Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg). Foto: Jochen Quast

Frederike Schulten (Octavian), Karola Sophia Schmid (Sophie), Evmorfia Metaxaki (Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg). Foto: Jochen Quast

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Lübecks „Rosenkavalier“: Drastische Liebeslust in melancholischem Flair

Vorspann / Teaser

115 Jahre Bühnenleben hat „Der Rosenkavalier“ hinter sich. Oft ist er zu sehen, mal hier, mal dort, mal pornografisch angehaucht, mal mit Tränen in den Augen wegen angeblicher Endzeitstimmung. Diesmal, scheint es, hatten sich die Lübecker entschieden, sich auf die Anfänge zu besinnen. Der Grund dafür mag sein, dass Lübecks Theater 1908 nach Entwürfen des Dresdner Jugendstilarchitekten Martin Dülfer (1859–1942) entstanden war, beide, der „Rosenkavalier“ und das Haus, also nahezu gleichaltrig sind. Immer noch ist die Hansestadt stolz auf das anregende Jugendstilhaus, in dem bereits im Uraufführungsjahr der „Rosenkavalier“ nachgespielt wurde.

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Es sei noch erwähnt, dass 1911 das Jahr und Lübeck der Ort war, an dem „Kapellmeister“ Hermann Abendroth nach sechs Jahren sein Amt als Leiter des Musikfreunde-Orchesters an Wilhelm Furtwängler übergab. Später wurden daraus die „Lübecker Philharmoniker“, die seit 2019/20 Stefan Vladar als Generalmusikdirektor dirigiert, auch an diesem Premierenabend.

Besonderes

Damit waren es gleich zwei Österreicher in den verantwortlichen Positionen. Der in Wien gebürtige Stefan Vladar leitete die Aufführung, der andere, in Graz geboren, hatte inszeniert. Michael Wallner war es, oft schon am Theater Lübeck beschäftigt. Beide erwiesen sich als Lokalpatrioten in Wort und Ton, nutzten ihre intimen Kenntnisse des Besonderen in dieser „Komödie für Musik“. Vladar setzte sachgemäß vor allem beim Wienerischen in Strauss‘ Musik an und Wallner förderte das der Sprache und der Diktion im Dialekt. Im Programmheft hatten beide auf Fragen des verantwortlichen Dramaturgen Jens Ponath geantwortet. Kern bei beiden sei, dass sie von der „unglaublich guten Geschichte“ (Vladar) etwas über das „österreichische Wesen vermitteln“ wollten (Wallner). Gelungen ist es beiden, zumal sie Stefan Rieckhoff mit seinen eindrucksvollen Bühnenbauten ebenso unterstützte wie Tanja Liebermann mit ihren reizvoll charakterisierenden, zugleich üppigen Kostümen.

Ein anderes Problem ist inhaltlich noch bedeutsamer. Es quälte vor allem die weibliche Protagonistin, die Marschallin. Es ist das Älterwerden und beschäftigt sie in allen drei Aufzügen, füllte auch das Programmheft. Dort wird der Regisseur nach seiner Richtschnur gefragt. Eine seiner Antworten verrät eine entgegengesetzte Lebenseinstellung, eine weniger melancholische: „Überhaupt ist das Älterwerden zu empfehlen.“ Seine Feldmarschallin aber konnte er nicht umstimmen. Gekonnt und sparsam eingesetzt wurde dieser Dissens und nicht zum beherrschenden Thema.

Wunderbarer Gesang

Gleiches gilt auch für die anderen Darstellungsmittel, wie im Musikalischen etwa das Orchester nicht nur die Walzer, für die Strauss in seiner Klangwelt reichlich Anlass fand, mit großer Sensibilität anging, sondern Stefan Vladar auch die schönen Momente der Liebesszenen sehr behutsam dirigierte. So war schnell kompensiert, was anfangs allzu laut und poltrig aus dem Graben heraufdröhnte und sich kaum als das Erwachen nach einer Liebesnacht deuten ließ. Doch bei der Besetzung der Rollen hatte das Theater einmal wieder großes Glück. Die Athenerin Evmorfia Metaxaki ist schon länger im Ensemble und besitzt eine Stimme von großer Klarheit und außerordentlicher Feinheit, wie geschaffen, das Sensible der Feldmarschallin Fürstin Werdenberg hörbar zu zeichnen. Auch sie hat quasi österreichisches im Blut, weil sie am Mozarteum Gesang studierte, so gründlich, dass sie mit der „Lilly-Lehmann“-Medaille die höchste Auszeichnung erhielt. Grandios ist, wie sie im Solo im ersten Aufzug ihre etwas trübsinnigen Gedanken darüber umsetzt, dass „die Zeit … ein sonderbar Ding“ sei. Wie sie dann im Duett mit Octavian, dem begehrten Quinquin, alle Register von Liebe über Enttäuschung bis hin zu ihrem generösen Verzicht gestaltet. Dabei harmonierte ihre Stimme mit dem farbigeren, auch burschikoseren Mezzo von Frederike Schulten als junger Herr aus großem Haus bestens. Mit einer leichten Schärfe und Klarheit modulierte sie das Jungenhafte hinreißend, wie es ihre Rolle halt auch verlangte. Und auch mit der dritten im Bunde, mit Karola Sophia Schmid, hatte man einen jungen Gast mit charaktervollem Stimmvolumen verpflichten können. Sie sang die Sophie jugendlich klar und kraftvoll, vermochte sich aber auch trotzig und eigensinnig durchzusetzen und selbstbewusste Töne anzuschlagen. Das Terzett, zu dem sich die drei Stimmen zum Schluss vereinigten, wurde nicht nur gesanglich schön und berührend, es wurde zum absoluten Höhepunkt, den auch der Inszenierungsstil bestätigte.

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Johannes Maria Wimmer (Der Baron Ochs auf Lerchenau), Ensemble. Foto: Jochen Quast

Johannes Maria Wimmer (Der Baron Ochs auf Lerchenau), Ensemble. Foto: Jochen Quast

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Denn der betonte weniger das Komödiantische als die sensiblen Partien. So hatten die männlichen Gegenstücke, vor allem der Ochs auf Lerchenau, es schon aus Inszenierungsgründen schwerer. Michael Wallner ließ ihn weniger derb als aus anderen Aufführungen gewohnt agieren. Hier durfte er auch nachdenklich sein, in die Nähe von reumütigen Tönen kommen. Das kam auch der Stimme von Johannes Maria Wimmer entgegen. Sie ist kraftvoll, auch wendig, hat aber etwas weniger Substanz in der Tiefe. Das ließ sie weniger für Karikatur oder Derbheit geeignet sein, als dafür, dem Charakter und der Musik Geist zu leihen.

Die vielen anderen Rollen waren zumeist mit Ensemblemitgliedern besetzt. Andrea Stadel mit ihrem stilsicheren Sopran als Duenna gehört dazu, ebenso das Intrigantenpaar, das Delia Bacher und Noah Schaul übernommen hatten. Wie immer, wenn er eingesetzt wird, machte Steffen Kubach aus seiner Rolle ein Kabinettstück. Diesmal stellte er mit Grandezza den reichen Neuadligen dar, Sophias Vater.

Wird ein „Rosenkavalier“ so aufgeführt, wie hier, ist es ein Spaß für alle, für die auf und im Graben unter der Bühne wie die davor. Wunderbar mischte sich dabei Richard Strauss’ raffiniert schwelgerische Musik mit Hugo von Hofmannsthals exakter wie verschmitzter Sprache.

Langer und ausgiebiger Beifall war selbstverständlich.

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