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Mima Millo, Birger Radde, Christoph Heinrich (v.l.). Foto: Jörg Landsberg
Mima Millo, Birger Radde, Christoph Heinrich (v.l.). Foto: Jörg Landsberg
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Maßlos, entfesselt und durchgeknallt – Tatjana Gürbaca inszeniert in Bremen „Don Giovanni“

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An der Wucht und der vieldeutigen Rätselhaftigkeit des „dramma giocoso“ haben sich Generationen von Regisseuren die Zähne ausgebissen. Günther Rennert, einer der großen des vergangenen Jahrhunderts glaubte „nicht an die Möglichkeit, für diese Partitur auch nur eine annähernd szenische Entsprechung finden zu können“. Die „Oper aller Opern“ (E.T.A. Hoffmann 1813) ist ein „Gipfel, der nie wieder erreicht worden ist“ (Bertolt Brecht). Nun also Tatjana Gürbaca, preisgekrönte erfolgreiche Regisseurin, die unvergessliche Arbeiten am Theater Bremen hinterlassen hat – Eugen Onegin und Mazeppa von Peter Tschaikowsky, Grand Macabre von György Ligeti, Simplicius Simplicissimus von Karl Amadeus Hartmann.

Sie versuchte es nun und landete einen außerordentlichen Publikumserfolg. Dabei machte es die Regisseurin dem Zuschauer zunächst nicht leicht. In den abstrakten Bildern und Bühnenbildern war am Anfang zu lange Strecken schwer zu merken, worauf das hinauslaufen sollte. Letztendlich war jedoch genau das gut so, denn Gürbaca breitete damit die Fragen des Stückes auf: wer ist eigentlich Don Giovanni, wer ist sein Spiegelbild Leporello, wer sind wir, wie spiegeln wir uns in einer Geschichte, die in der Auslegung von Mozart nur Rätsel aufgibt. Wer ist der Tod, der hier eine zentrale Rolle spielt – die Grube, in die der Komtur anfangs hineinfällt, bildet einen Mittelpunkt, in dem nicht nur er immer mal wieder hinaussteigt, sondern alle anderen auch mal hineinsteigen. 

Wer ist der Tod, der hier eine zentrale Rolle spielt?

Das Bühnenbild (Klaus Grünberg), eine öde verregnete verlassene Gegend, zeigte keinen Ort an, ebenso die Kostüme (Silke Willrett) keine Zeit. So wurden die Exzesse des Don Giovanni, der über seiner inneren Leere schon fast wahnsinnig geworden ist, wie auf einem Tablett serviert: mitreißend macht das Birger Radde, entfesselt, durchgeknallt und vor allem zeitlos in jedem Augenblick. Er trägt dazu krasse Fantasiekostüme, mal weiße, gestickte Seide, mal einen riesigen roten Pelzmantel, mal einen kurzen schwarzen Rock mit einem halben Oberteil, mal pinkfarbene Hosen, stets wird auch mit weiß geschminkten Gesicht und den wirren schwarzen Haaren seine maßlose Außenseiterstellung deutlich.

Das gilt auch für den ihm geradezu hörigen „siamesischen Zwilling“ Leporello: in keiner mir bekannten Inszenierung wurde derart klar, wie sehr Leporello Don Giovanni ist (oder besser sein will) und umgekehrt. Christoph Heinrich tobt durch den Abend mit großer Stimme und einer Intensität, die in bestem Sinne manchmal erschreckend ist. Gürbaca setzt den Fokus auf die permanente Grenz- und Tabuüberschreitung, mit der der verzweifelt suchende Don Giovanni alle in seinen Bann zieht, so sehr, dass nach seinem Tod die Verlassenen nicht erleichtert sind, sondern weiter in eine sinnlose Leere laufen. Die schwierigste Aufgabe für die Regie ist immer wieder die Darstellung der Stein-Statue Komtur, die Gürbaca ebenso einfach wie sinnvoll löst: Don Giovanni, begleitet von einem wahnsinnigen Schrei Leporellos, stürzt in die Grube und der Komtur geht ab.

Die geradezu kranken Bewegungsapparate Don Giovannis und Leporellos sind durch viele surreale Szenen aufgeladen, eine Realität zeigt Gürbaca nie. So die Zeitlupenorgie der Bauernhochzeit, das kleine Mädchen, das auch so gerne in Don Giovannis Nähe geraten will, die Gartenkarre, mit der Leporello seinen Herrn zum Treffen mit dem Komtur fährt. Das Ständchen, das Don Giovanni in den Kleidern Leporellos singt: es gibt im ganzen Stück keine Stelle, in der Don Giovanni derart seine auch bemitleidenswerte Einsamkeit zeigt.

Mima Millo als Donna Anna, Patricia Andress als schwangere Elvira sind zwei hochdramatische Soprane, die erst im zweiten Teil zu weichen und flexiblen Tönen finden, Millo zu scharfkantiger Rachsucht und Andress in ihren Kantilenen zu endlosem Weinen. KaEun Kim als Zerlina und Hyojong Kim als Ottavio, Stephen Clark als praller Masetto und Loren Lang als Komtur spielen differenzierte Perspektiven: das Bauernmädchen Zerlina macht nicht mehr mit und zeigt ihre Ambivalenz schon im Liebesduett mit Don Giovanni. Hyojong Kim markiert deutlich ebenso die neue bürgerliche Zeit und gleichzeitig deren Spießigkeit.

Ebenso, wie die Inszenierung im zweiten Akt an erschütternder Deutlichkeit wuchs, wurde auch das Orchester unter der Leitung von Hartmut Keil besser. Im ersten Teil noch vieles pauschal, im zweiten wunderbare Feinheiten, die die Mischung aus Dämonie und Komik bestens hören ließen.

  • Die nächsten Aufführungen: 26.10., 3., 14., 17. und 21. 11.

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